»Wenn der Konkursschuldner ein anständiger Mensch ist und wieder in die Höhe kommt, so wird er Ihnen seine Schulden bezahlen. Wenn ihm das nicht gelingt und er wirklich im Elend ist, wozu ihn quälen? Und ist es ein Schuft, so werden Sie doch nichts erhalten. Ihre strenge Anschauung ist bekannt und man weiß, daß Sie nicht mit sich handeln lassen; da man Ihnen also nichts abdingen kann, solange man noch imstande ist, zu zahlen, so sind Sie derjenige, der sein Geld bekommt.«
Bei einer Verabredung erschien Cäsar zur festgesetzten Stunde, aber zehn Minuten später verschwand er, ohne sich darin jemals irremachen zu lassen; daher bewirkte seine Pünktlichkeit, daß die Leute, die mit ihm zu tun hatten, ebenso pünktlich waren.
Seine Kleidung paßte zu seinen Gewohnheiten und seinem Äußeren. Keine Macht der Erde hätte ihn bestimmen können, auf die weißen Musselinkrawatten zu verzichten, deren von seiner Frau oder seiner Tochter gestickte Enden ihm unter dem Kinn herabhingen. Seine rechtwinklig zugeknöpfte Weste aus weißem Pikee ging ziemlich tief über seinen Bauch herunter, der hervortrat, da er etwas zur Fettleibigkeit neigte. Er trug eine blaue Hose, schwarzseidene Strümpfe und Schnürschuhe, deren Schleifen ihm oft aufgingen. Sein stets sehr weiter, olivengrüner Überrock und sein breitrandiger Hut gaben ihm das Aussehen eines Quäkers. Bei den Sonntagsgesellschaften legte er ein seidenes Beinkleid, Schuhe mit goldenen Schnallen und die unvermeidliche rechteckige Weste an, deren Öffnung dann ein plissiertes Jabot sehen ließ. Sein brauner Frack war in breiten Bahnen geschnitten und hatte lange Schöße. Er trug selbst noch im Jahre 1819 zwei parallel herabhängende Uhrketten, legte aber die zweite nur bei der Sonntagstracht an.
So war Cäsar Birotteau beschaffen, ein würdiger Mann, dem die geheimnisvollen Mächte, die über der Geburt der Menschen walten, es versagt hatten, das politische und das bürgerliche Leben in seinem Zusammenhang beurteilen zu können und sich über das soziale Niveau des Mittelstandes zu erheben, und der in allen Dingen den eingewurzelten Irrtümern huldigte; alle seine Ansichten hatte er von andern empfangen und handelte nach ihnen, ohne sie zu prüfen. Blind, aber gut, wenig geistvoll, aber tief religiös, war er ein Mensch mit reinem Herzen. Dieses Herz war ausgefüllt von einer einzigen Liebe, dem Licht und der Kraft seines Lebens; denn sein Wunsch, emporzustreben, das Erwerben seiner wenigen Kenntnisse, alles beruhte auf der hingebenden Liebe für seine Frau und seine Tochter.
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Was Frau Konstanze anlangt, so war sie damals siebenunddreißig Jahre alt und glich vollkommen der Venus von Milo, so daß alle, die sie kannten, in ihr das Abbild jener schönen Statue sahen, als der Herzog von Rivière diese nach Paris gebracht hatte. Aber in wenigen Monaten färbte dann der Kummer die blendende Weiße ihres Teints gelb und runzelte und schwärzte den bläulichen Kreis, aus dem ihre schönen grünlichen Augen hervorstrahlten, so grausam, daß sie das Ansehen einer alten Madonna bekam; denn sie bewahrte sich selbst mitten in ihrem Elend ihre anmutige Unberührtheit, ihren reinen, wenn auch traurigen Blick, und man mußte sie immer noch als eine schöne Frau von zurückhaltendem, dezentem Wesen ansehen. Bei dem von Cäsar geplanten Balle sollte sie zum letztenmal sich des allgemein auffallenden Glanzes ihrer Schönheit zu erfreuen haben.
Eine jede Existenz hat ihren Höhepunkt, die Zeit, da die wirksamen Ursachen genau im richtigen Verhältnis zu den erzielten Resultaten stehen. Dieser Mittag des Lebens, wo die lebendigen Kräfte sich im Gleichgewicht halten und ihre volle Macht zeigen, ist nicht allein allen Lebewesen, sondern auch den Städten, den Nationen, den Ideen, den Institutionen, dem Handel und den Unternehmungen gemeinsam, die ähnlich wie edle Rassen und Dynastien entstehen, in die Höhe kommen und zu Boden sinken. Woher rührt die Gewalt, mit der dieses Wesen des Aufstiegs und Niedergangs allem Organischen hienieden anhaftet? Selbst der Tod hat in Pestzeiten sein Ansteigen, sein Abschwellen,