Die Männer traten jetzt näher herzu und sahen nun vor sich einen Greis, der, seinem verwitterten Äußeren nach zu urteilen, mindestens achtzig Winter erlebt haben mußte. Trotzdem war seine Haltung noch aufrecht und fest, seine Gliedmaßen, wenn auch hager und dürr, zeigten noch kräftige Muskeln und Sehnen, so daß es schien, als werde die Altersschwäche noch auf lange hinaus keine Gewalt über ihn erlangen. Seine Kleidung bestand hauptsächlich aus Tierfellen, die Haarseite nach außen gekehrt; Jagdtasche und Pulverhorn hingen ihm zur Seite; er stand auf eine Büchse von ungewöhnlicher Länge gestützt, die, wie ihr Eigentümer, deutliche Spuren langen und harten Dienstes aufwies.
Beim Herannahen der Emigranten erhob sich ein großer, alter, zahnloser Hund, der zu des Greises Füßen gelegen hatte, und ließ ein dumpfes Knurren hören.
„Still, Hektor, leg' dich!“ gebot sein Herr mit einer Stimme, die hohl und bebend klang. „Was gehen dich die Leute an, die hier ihre rechtmäßige Straße ziehen?“
„Fremder,“ begann der Führer der Emigranten, „seid Ihr hier in dieser Gegend bekannt, so daß wir von Euch erfahren können, wo ein Platz zur Nachtrast zu finden ist? Gebt uns immerhin Euern Rat,“ fuhr er fort, als der Greis die Schar forschend und schweigend musterte, „das kostet Euch nichts und ist nur eine Gabe in Worten.“
„Keine Gabe, sondern eine Schuld der Alten gegen die Jüngeren,“ entgegnete der Angeredete, die klaren, hellblauen Augen forschend auf den Auswanderer heftend. „Folgt mir, Wasser und Weide für Euer Vieh kann ich Euch zeigen.“
Damit warf er die Büchse über die Schulter und schritt ohne weiteres in die jenseits der Bodenerhebung liegende Senkung hinab. Auf einen Wink des Führers folgte ihm die Karawane.
Nach kurzem Marsche gelangte man zu einer Quelle, die, am Fuße eines Abhanges sprudelnd, ihr Wasser bald mit dem anderer in der Nähe hervorsickernder Quellen vereinte, so daß ein Flüßchen entstand, dessen Lauf durch die an seinen Ufern wachsenden Sträucher und Bäume weithin zu verfolgen war. Es währte nicht lange, da erreichte man einen Ort, den der Emigrantenführer für zweckentsprechend erklärte. Er warf seine Bürde zur Erde und machte sich unter dem Beistande des Mannes, der vorhin so schnell mit der Büchse bei der Hand gewesen, daran, die Zugtiere auszuspannen, während seine Söhne die Baumwollenbäume niederzuschlagen begannen, bis die Stätte aussah, als sei ein Wirbelwind darüber hingegangen.
Auf seine Büchse gelehnt, schaute der Fremde still diesen Verwüstungen zu, ab und zu trübsinnig den Kopf schüttelnd. Er beobachtete, wie die Kinder ein Feuer anzündeten, und richtete dann seine Aufmerksamkeit auf den Führer der Karawane, der, nachdem das Vieh zu grasen begonnen, sich in eigentümlicher Weise mit einem der Planwagen zu schaffen machte. Mit Hilfe einiger der jungen Männer trieb derselbe rings um den Wagen Pfähle in den Boden und erweiterte dann den Leinwandplan bis zu diesen, so daß auf diese Weise ein umfangreiches, dicht verschlossenes Zelt entstand, unter welchem man schließlich den Wagen hervorzog, der nun nichts mehr enthielt als einiges Hausgerät; was er sonst noch beherbergt hatte, war unter dem geheimnisvollen Zelte geblieben, welchem, wie bald ersichtlich wurde, außer dem Führer niemand sich nahen durfte.
Mit der unbefangenen Neugierde des Alters trat der Fremde herzu, in der augenscheinlichen Absicht, zu erspähen, was das Zelt in sich barg. Sogleich aber packte der Führer ihn rauh am Arm und hielt ihn fest.
„Kümmert Euch nicht um Dinge, die Euch nichts angehen, Freund,“ sagte er grob.
Bescheiden und verlegen ging der alte Mann zurück. „Ich meinte es nicht böse,“ antwortete er begütigend; „ich wußte nicht, daß Ihr etwas zu verbergen habt.“
Während er seine Schritte nun langsam der Wagenburg zulenkte, denn zu einer solchen hatte sich das Lager der Emigranten inzwischen gestaltet, hörte er den Führer gebieterisch das junge Mädchen herbeirufen, das, wie er nun vernahm, den Namen Ellen Wade führte. Schnell und leicht wie ein Reh huschte die Jungfrau an ihm vorüber und verschwand hinter den Falten des Zeltvorhanges.
Inzwischen hatte die Mutter einen Kessel voll Haferbrei zur Abendmahlzeit gekocht, zu der sie jetzt mit schallender Stimme die Ihrigen herbeirief. Der Vater aber schaute sich nach dem alten Fremdling um und lud denselben, nach der Sitte der Wildnis, kurz und gleichgültig ein, sich mit ihnen an das gastliche Feuer zu setzen.
„Ich danke Euch von Herzen,“ antwortete dieser, „ja, von Herzen; aber ich bin für heute bereits gesättigt, und ich gehöre nicht zu den Leuten, die sich ihr Grab mit den Zähnen graben. Zum Feuer will ich mich jedoch mit Euch setzen, denn es ist lange her, seit ich Menschen von meiner Farbe ihr täglich Brot essen sah.“
Man ließ sich nieder, und die Auswanderer griffen tüchtig zu.
„Ihr seid wohl ein Ansiedler in dieser Gegend,“ wendete sich der Vater, mit vollem Munde kauend, an den Alten. „Dick scheinen die Weißen hier nicht zu sitzen, denn außer Euch bin ich auf fünfhundert Meilen keinem begegnet.“
„Einen Ansiedler kann man mich nicht nennen,“ antwortete der Gefragte, „da ich keinen festen Wohnsitz habe und selten länger als einen Monat in einer Gegend verweile.“
„Also ein Jäger,“ sagte der andere, mit einem Blick die Ausrüstung seines neuen Bekannten streifend. „Euer Geschirr scheint mir aber nicht mehr das beste für solch einen Beruf zu sein.“
„Meine Büchse ist alt und hat nahezu ausgedient, ganz so wie ihr Herr,“ versetzte der alte Mann, die Waffe liebevoll und zugleich traurig betrachtend, „aber ich bedarf ihrer auch kaum noch. Ihr irrt, Freund, wenn Ihr mich einen Jäger nennt; ich bin jetzt nichts besseres mehr als ein Trapper, ein Fallensteller. Ein Jäger bin ich gewesen; fünfzig Jahre lang und darüber durchzog ich mit dieser Büchse die Wälder. Damals hätte ich es für Sünde gehalten, einer Kreatur mit Fallen nachzustellen.“
„Einträglich scheint Euer Handwerk nicht gewesen zu sein,“ bemerkte der Emigrant, das Äußere des Alten musternd. „Na, hoffentlich habt Ihr irgendwo tüchtig Felle aufgespeichert.“
Der Trapper schüttelte den Kopf.
„In meinem Alter braucht man nur wenig an Kleidung und Nahrung,“ erwiderte er ruhig, „und wenn ich mir ab und zu ein Horn voll Pulver und eine Stange Blei eintauschen kann, dann sind alle meine Bedürfnisse befriedigt.“
„Ihr seid also in dieser Gegend nicht zu Hause?“ fragte der andere, nachdem er eine Weile schweigend gegessen hatte.
„Nein, ich bin am Strande der See geboren, den größten Teil meines Lebens aber brachte ich in den Wäldern zu.“
Bei der Erwähnung des Seestrandes schauten die jungen Männer und auch die Mutter den alten Trapper aufmerksam an; ein Mann, der so weit in der Welt herumgekommen war, erregte ihr Interesse.
„Wie man mir gesagt hat, ist es eine lange Strecke von den Gewässern des Westens bis an das Meer,“ nahm Vater Ismael nach einer Pause wieder das Wort.
„Ja, Freund, eine lange Strecke, und viel habe ich gesehen und erlebt, und viel habe ich zu erleiden gehabt während der fünfundsiebzig Jahre, die ich zu dem Wege brauchte. Aber nur gering ist die Zahl der Meilen auf dieser ganzen Strecke, wo ich nicht Wildbret gegessen, das unter meiner Kugel fiel. Doch das ist eitle Ruhmredigkeit; warum soll ein alter Mann, dessen Ende so nahe ist, noch von den Taten reden, die er einstmals vollbrachte.“
Träumenden Blickes starrte der Trapper ins Feuer; endlich wendete er sich wieder an seinen Gastfreund.
„Gedenkt Ihr noch weit gen Westen zu ziehen?“ fragte er.
„So weit es mir gefällt,“ antwortete der Emigrant