Ein Königreich für die Babenberger?
Mitte August 1186 fanden auf dem Georgenberg nordöstlich von Enns – noch auf Gebiet des steirischen Herzogs, aber unmittelbar an der Grenze zu Österreich – Verhandlungen zwischen Leopold V. von Österreich und Otakar IV. von Steier statt. Der unheilbar kranke, kinderlose steirische Herzog entschied sich nach Beratung mit seinen Landleuten (meliores) – ein einzigartig frühes Zeugnis für die Einbindung des Landesadels in die Entscheidungsprozesse – für eine babenbergische Nachfolge in der Steiermark, worüber zwei Urkunden (die sogenannte »große« und »kleine« Georgenberger Handfeste) ausgefertigt wurden. Die beiden Dokumente sind kein Erbvertrag – einen solchen hat es ziemlich sicher nicht gegeben –, sondern eine Bestätigung der Rechte der steirischen Ministerialen und Klöster. Nicht die Verwandtschaft der Fürstenfamilien untereinander, sondern die geographische Nachbarschaft der beiden Länder, so gibt Herzog Otakar an, habe seine Entscheidung zugunsten der Babenberger bestimmt. Die Länderverbindung sollte eine Personalunion sein, von der die landrechtliche Individualität der beiden Länder Österreich und Steiermark nicht berührt wird. Unter den zahlreichen, die steirischen Ministerialen und Klöster begünstigenden Bestimmungen der Georgenberger Urkunden sticht das Recht hervor, gegen einen tyrannischen Landesfürsten an den Kaiser zu appellieren. Der Willkür eines zukünftigen Herzogs schob man damit einen effektiven Riegel vor. Nichts enthalten die Georgenberger Urkunden über eine Zustimmung des Reichsoberhauptes zu den Verfügungen Herzog Otakars, ja es ist ungewiss, ob eine solche förmliche Genehmigung Friedrich Barbarossas überhaupt eingeholt wurde. Als 1192 mit dem Tod Herzog Otakars der Erbfall eintrat, ergaben sich für den Babenberger Herzog Leopold V. jedenfalls keinerlei Schwierigkeiten bei der Nachfolge in der Steiermark.
Kurz vor dem steirischen Erbfall, der Herzog Leopold V. in die Spitze der Reichsfürsten aufrücken ließ, hatte der Babenberger 1190/91 am Kreuzzug teilgenommen. An die tatsächlich nicht allzu gloriose Akkonfahrt des Herzogs knüpfte im spätmittelalterlichen Österreich eine reiche Legendenbildung an. Insbesondere die Entstehung des österreichischen Wappens, des 1230 erstmals quellenmäßig bezeugten Bindenschildes: rot-weiß-rot, wurde damit seit dem 14. Jahrhundert im Stile einer typischen Wappensage verbunden. Die vermeintlich schwere Kränkung des Babenbergers durch Richard Löwenherz, der das Banner des Herzogs von einem Turm der Stadt Akkon habe herunterreißen lassen, gab der späteren österreichischen Historiographie die willkommene Rechtfertigung ab für die Gefangennahme des englischen Königs bei Wien zu Ende 1192. Richard Löwenherz hatte auf der Rückreise aus dem Heiligen Land an der oberen Adria Schiffbruch erlitten und von dort den Landweg nach Norden genommen. Durch die Gefangennahme eines Kreuzfahrers verfiel Leopold V. ipso facto dem Kirchenbann. Mit dem englischen König in seiner Gewalt hatte sich der österreichische Herzog aber gleichzeitig in den Brennpunkt der europäischen Politik manövriert. Die Führung bei den Verhandlungen, die auf die Forderung eines horrenden Lösegeldes für Richard hinausliefen, übernahm alsbald König Heinrich VI., dem der englische Gefangene in der Folge von Leopold übergeben wurde. Wie hoch die Summe wirklich war, die dem österreichischen Herzog aus dem Lösegeld zufloss, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Die Rede ist von 50 000 Mark Silber. In den österreichischen Quellen hat sich jedenfalls die Erinnerung an den englischen Geldsegen, auf den der Ausbau von Wien, die Gründung von Wiener Neustadt und etlicher anderer österreichischer bzw. steirischer Städte zurückgeführt wurde, über Jahrhunderte tief eingegraben. Herzog Leopold V. starb am 31. Dezember 1194 an den Folgen eines Reitunfalls, nachdem er auf dem Totenbett noch die Lösung vom Bann durch den Salzburger Erzbischof erwirkt hatte.
Entgegen den Georgenberger Vereinbarungen teilten die Söhne Leopolds V. das Erbe, der ältere Friedrich I. übernahm die Herrschaft in Österreich, der jüngere Leopold VI. in der Steiermark. Friedrich starb aber schon 1198 auf dem Heimweg von einem als Sühne für den Vater gelobten Kreuzzug, so dass die beiden Herzogtümer bald erneut in einer Hand lagen. Die Nachwelt hat Leopold VI. (reg. 1195/98–1230) den Beinamen »der Glorreiche« verliehen, nicht zu Unrecht, denn mit ihm erreichte das Geschlecht der Babenberger tatsächlich den Höhepunkt an Geltung und Glanz. Späteren Generationen galt seine Herrschaft im freilich bewusst verklärenden Blick auf die Vergangenheit geradezu als goldene Zeit. Politisch gewandt, bei Verhandlungen ebenso zäh wie geschmeidig, verstand es Leopold, in einer Zeit schärfster Gegensätze zwischen Papst und Kaiser strenge Kirchlichkeit mit kaiserlich-staufischer Gesinnung zu vereinbaren und dabei die Interessen des mächtig aufstrebenden babenbergischen Landesfürstentums nie aus dem Auge zu verlieren. Wie sein Großvater Heinrich Jasomirgott war Leopold VI. seit 1203 mit einer byzantinischen Prinzessin, Theodora, einer Enkelin des Kaisers Isaak II. Angelos, verheiratet. Weite des politischen Horizonts zeichnete den Babenberger nicht nur bei seiner eigenen Ehe aus, für eine seiner Töchter stand eine Heirat mit dem englischen König 1224/25 zumindest in Verhandlung.
Als unerschütterlichen Glaubenskämpfer sehen Leopold VI. die zeitgenössischen Quellen. 1208 nahm er erstmalig das Kreuz. An der Durchführung des Vorhabens durch die unübersichtliche Situation im Reich zunächst gehindert, folgte er 1212 dem päpstlichen Aufruf zur Kreuzfahrt gegen die Albigenser nach Südfrankreich, um, weil bei seinem Eintreffen dort die heftigsten Kämpfe bereits vorbei waren, gleich nach Spanien weiterzuziehen. Bis ins kastilische Calatrava ist er dabei gekommen, ohne freilich in den Krieg gegen die Mauren noch einzugreifen. 1217 rüstete sich Herzog Leopold dann ein zweites Mal zum Kreuzzug, jetzt ins Heilige Land, von wo das christliche Heer den Krieg bald weiter nach Ägypten lenkte. Bei der Belagerung der Hafenstadt Damiette tat sich der österreichische Herzog, Kosten und Mühen nicht scheuend, hervor und kehrte erst nach fast zweijähriger Abwesenheit im Herbst 1219 in seine Länder zurück. Nicht allein als frommer Kreuzritter indes empfahl sich Herzog Leopold der Kirche. Sein religiöser Eifer fand ebenso Ausdruck, so scheint es, in der strengen Verfolgung von häretischen Bewegungen. Über die engeren Grenzen seines Herrschaftsgebietes hinaus drang der Ruf Leopolds als eines Fürsten, der »die Ketzer sieden kann«, wie es Thomasin von Zerclaere, der päpstlich gesinnte Verfasser des Welschen Gastes, ausdrückte.
Nächst dem König von Böhmen der mächtigste Fürst im Reich, hielt Leopold VI. im deutschen Thronstreit zur staufischen Partei, nur eine kurze Phase (ab 1208) sieht ihn an der Seite des Welfen Otto IV., ehe er 1211 schon wieder unter den Wählern Friedrichs II. auftritt. Die Ehe seiner Tochter Margarethe mit dem Kaisersohn Heinrich (VII.) 1225 lässt seinen Einfluss auf die Reichspolitik als Schwiegervater des römisch-deutschen Königs zeitweilig deutlich anwachsen. Den Höhepunkt seiner reichspolitischen Bedeutung erreichte der Babenberger aber unzweifelhaft in seinem Todesjahr 1230 als Vermittler zwischen Imperium und Sacerdotium, zwischen Kaiser Friedrich II. und Papst Gregor IX., in Italien.
Mit Kirchen- und Reichspolitik eng verwoben erscheint Leopolds Arbeit am Ausbau der landesherrlichen Macht in Österreich und in der Steiermark. Das Landesfürstentum hat er tatsächlich auf ganz neue Grundlagen gestellt, die am besten mit den Schlagworten römisches Recht, Monetarisierung, rationale Verwaltung und Städtewesen zu charakterisieren sind. Auf römischrechtliche Argumentation im Dienst der landesfürstlichen Machtpolitik stößt man, wenn der Herzog etwa 1210 den reichen Grundbesitz eines ohne Erben verstorbenen Grafen, mit der Begründung,