»Aber wenn Stefan dich auch zum Weinen bringt, muß er wieder gehen«, verlangte Alex in bestimmtem Ton. »Dann sind Jana und ich nämlich auch traurig.«
»Ich werde Stefan ausrichten, daß er uns glücklich machen muß«, sagte Silvia und küßte Alex zärtlich auf den Scheitel. »Und ich denke, er wird sich auf diesen Kompromiß einlassen.«
»Und er muß uns erlauben, Tobi zu behalten!« rief Jana, um Silvias Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Hoffentlich mag er Hunde.«
»Bestimmt mag er Tobi genauso, wie wir ihn mögen. Was meint ihr? Sollen wir Stefan am Sonntag zum Essen einladen?«
*
Silvia war erleichtert, als sie hörte, das Robert die Stadt verlassen hatte. Inzwischen war es wieder Vorweihnachtszeit geworden, und sie dachte mit Schaudern an die Zeit vor einem Jahr zurück. Damals fühlte sie sich einsam und nicht wissend, wie es weitergehen sollte.
In diesem Jahr war alles anders. Stefan war nun häufiger Gast im Hause Kirstein. Die Kinder freuten sich, wenn er kam, und sogar Tobi hatte ihn längst als neues Familienmitglied akzeptiert. Es hätte alles so schön sein können, wenn Silvia ihr Gewissen nicht geplagt hätte.
Sonja hatte sie schon mehrmals bedrängt, Stefan zu sagen, wessen Tochter Jana sei – doch sie fürchtete sich vor seiner Reaktion. Was sollte sie tun, wenn er sich danach von ihr enttäuscht abwendete, weil sie ihm seine Vaterschaft so lange verschwiegen hatte?
Doch sie sah ein, daß sie erst wieder ruhig schlafen konnte, wenn Stefan Bescheid wußte – egal, wie er reagieren würde.
Die Kinder waren schon im Bett, als sie schließlich begann: »Ich muß mit dir reden.«
Er nahm sie in die Arme und küßte sie auf die Nasenspitze. »Du siehst so ernst aus. Geht es um die Weihnachtsgeschenke für die Kinder?« versuchte er zu scherzen.
Sie seufzte. »Schön wär’s. Leider gibt es etwas viel Schlimmeres, was du wissen mußt, bevor wir heiraten.«
»Was bedrückt dich, Liebling?«
»Ich habe schreckliche Angst, daß du mich danach nicht mehr willst«, antwortete sie leise und drückte sich so nah an ihn heran, als wäre es das letzte Mal.
Er hob behutsam ihr Kinn an. »Ist es wegen Jana?«
Erschrocken riß sie sich los. »Was weißt du darüber?«
»Sie ist meine Tochter, nicht wahr?«
Silvia senkte den Blick und nickte. »Hat Sonja ihren Mund nicht halten können?«
»Wieso Sonja? Sie hat mir keinen Ton davon erzählt, ich wußte noch nicht einmal, daß du sie eingeweiht hast.«
»Aber woher weißt du es dann?«
»Ich habe es nur geahnt. Mir ist sofort die Ähnlichkeit deiner Tochter mit mir aufgefallen, und als ich hörte, wann sie geboren wurde, war mir klar, daß Robert nicht ihr Vater sein konnte.«
»Und du bist nicht böse, daß ich so lange geschwiegen habe?« fragte sie und sah ihn unsicher an.
Stefan streichelte ihr tränenüberströmtes Gesicht. »Nein, ich bin nur erleichtert, daß du es mir endlich gesagt hast. Ich verstehe nur nicht, warum du mich damals nicht informiert hast.«
Silvia erklärte in knappen Sätzen von dem Mißverständnis. »Als mir klar wurde, daß Robert gar nicht Janas Vater sein konnte, war es zu spät. Das Hochzeitsaufgebot war bereits bestellt, und du wolltest nichts mehr von mir wissen. Was hätte ich denn tun sollen?«
»Ist schon in Ordnung, mein Liebling. Jetzt ist ja alles gesagt. Was meinst du, wollen wir Jana einweihen?«
*
Die Sonne strahlte vom wolkenlosen Maihimmel, als das frischgebackene Ehepaar aus der Kirche trat. Draußen wurden sie durch Applaus befreundeter Kollegen und Kolleginnen begrüßt.
Sonja nahm Jana und Alex an die Hand und sagte seufzend: »Vielleicht ist es doch keine gute Idee, als Single durchs Leben zu gehen.«
Jana sah aus wie eine kleine Prinzessin in ihrem langen rosa Kleidchen. »So einen Mann wie meinen Papi findest du aber nicht.«
»Das befürchte ich auch«, gab Sonja schmunzelnd zurück. »Der einzige Trost ist die Freude auf die Hochzeitstorte nachher.«
Wehmütig blickte sie auf das Paar, das sich nun zur Freude aller auf der Kirchentreppe küßte. Doch im nächsten Moment dachte sie daran, daß auch sie ein kleines Stückchen dazu beigetragen hatte, daß sich Stefan und Silvia wiedergefunden hatten – und das machte sie sehr, sehr froh…
Gerhard Schilling fand wenig Schlaf in dieser Nacht. Im Schein der Leuchtreklame, der vom gegenüberliegenden Haus durch das Fenster fiel, sah er die gepackten Koffer, den leergeräumten Schreibtisch. Darauf lag nur noch seine Brieftasche mit, unter anderem, den Flugtickets für sich und für sein Kind.
Manchmal stand er auf, ging auf leisen Sohlen herum. Wie nackt solche Zimmer wirkten, wenn nichts Persönliches mehr darin war. Morgen würde der neue Mieter einziehen, die Wohnung und die Möbel übernehmen. Nur das Kinderbett brauchte er nicht. Er konnte es verkaufen oder verschenken.
Gerhard betrachtete sein Töchterchen, das reglos darin schlief, das »Bärli« neben sich auf dem Kopfkissen. Seine Züge wurden weich. Seine Angela, sein Engelchen. Sie sah so süß aus mit dem blassen Gesichtlein unter dem leichtgelockten dunklen Haar. Auch für sie sollte nun ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Aber immer sollst du behütet sein, dachte der Mann voller Zärtlichkeit.
Er setzt sich wieder auf seine Bettkante und sah vor sich nieder.
Fünfeinhalb Jahre New York… Es war nun genug. Ohne Bedauern ließ er den Moloch einer Stadt hinter sich. Mit seinen Häuserschluchten, den Straßen ohne Grün, in denen jedermann auf der Jagd nach irgend etwas zu sein schien. Eine Stadt von einer bis ins Maßlose gesteigerten Ungewöhnlichkeit, in der alles möglich war.
Und für ihn, Gerhard Schilling, war hier das Märchen »Vom Tellerwäscher zum Millionär« möglich und Wahrheit geworden.
So war es freilich nicht, daß er hätte ganz unten anfangen müssen, wenn er nur aus Abenteuerlust nach Amerika gegangen wäre. Zwar hatte er kaum Geld in der Tasche gehabt, als er hier angekommen war, aber er hatte eine gute Ausbildung. Mit knapp neunzehn Abitur gemacht, dann eine Banklehre und ein weiterführendes Studium der Betriebslehre und Wirtschaftswissenschaften mit besten Noten absolviert.
Seinen guten Eltern hatte er es zu verdanken, daß er noch die Universität hatte besuchen können. Die Verhältnisse waren bescheiden. Der Vater war Hausmeister in einer Wohnanlage, es gab noch zwei jüngere Geschwister, da hieß es sich einschränken. Aber der Große sollte mal was Besseres werden, weil er den Kopf dafür hatte, war die Meinung der Eltern gewesen. Um ihnen nicht zu sehr auf der Tasche zu liegen, hatte er nebenbei gejobbt.
Als er gerade ins Erwerbsleben einsteigen wollte, sich schon seit längerem hier und dort um eine Anstellung beworben hatte, da war der Brief aus New York gekommen, von einem Notar namens Timothy Wesson. Er enthielt die Mitteilung, daß der verstorbene Arthur Hall mangels direkter Nachkommen seiner Nichte Monika Schilling, geb. Hall, eine Erbschaft über 30.000 Dollar hinterlassen hatte.
Das hatte einige Aufregung gegeben, denn auch die Mutter wußte doch kaum etwas über diesen Onkel, der nach dem 2. Weltkrieg nach Amerika ausgewandert war. Es war für eine Familie, in der es um die Haushaltskasse immer knapp bestellt war, eine beträchtliche Summe.
Alsbald war es beschlossene Sache, daß Gerhard sich dieser Angelegenheit annehmen sollte. Er sollte nach