Natalie war gerade fünf Minuten in ihrem Zimmer, als eine Schwester hereinkam, die ebenfalls einen sehr gepflegten Eindruck machte.
»Ich werde Ihnen nur ein biß-chen Blut abnehmen«, erklärte sie mit einem freundlichen Lächeln. »Außerdem brauche ich eine Urinprobe. Wenn wir hier fertig sind, bringe ich Sie gleich hinunter zum EKG.«
Erstaunt sah Natalie sie an. »EKG? Wozu denn das? Ich soll doch vorerst nur untersucht werden.«
»Dr. Kreutzer hat gern alle Befunde vorliegen, ehe er eine Untersuchung vornimmt«, entgegnete die Schwester.
Natalie nickte zwar, trotzdem erschien es ihr ein wenig übertrieben, daß vor der eigentlichen Untersuchung ein EKG gemacht werden sollte.
Das war allerdings nicht das einzige. Natalie bekam verschiedene Konstrastmittel verabreicht, dann wurden Röntgenaufnahmen gemacht. Als sie Stunden später wieder in ihrem Zimmer war, waren die Schmerzen schlimmer als je zuvor.
»Die Bauchschmerzen werden von dem Barium-Einlauf verursacht, den Sie wegen der nötigen Röntgenaufnahmen bekommen mußten«, erklärte die Schwester, als Natalie ihre Beschwerde äußerte. »Bis morgen ist alles vorbei.«
Damit hatte sie sogar recht, aber der Morgen begann für Natalie nicht gerade vielversprechend. Eine andere Schwester hatte den Dienst übernommen und eröffnete Natalie, daß sie anstatt eines Frühstücks einen Einlauf bekommen würde.
Entsetzt starrte Natalie sie an. »Aber warum denn?«
»Dr. Kreutzer will eine Darmspiegelung vornehmen«, lautete die lapidare Antwort.
»Eine Darmspiegelung?« wiederholte Natalie verständnislos. »Mein Darm wurde doch gestern geröntgt.«
»Eben deswegen«, entgegnete die Schwester nur. »Legen Sie sich bitte auf die Seite. Es ist nur halb so schlimm.«
Im Vergleich mit der nach-
folgenden Darmspiegelung war der Einlauf tatsächlich kaum schmerzhaft. Natalie hatte das Gefühl, als würde sie plötzlich in einem Alptraum stecken, und sie war entschlossen, die Klinik unmittelbar nach dieser Untersuchung auf eigenen Wunsch wieder zu verlassen.
»Es tut mir leid, daß ich Ihnen Schmerzen zufügen mußte«, entschuldigte sich Dr. Kreutzer, als er fertig war. »Leider war diese Untersuchung nicht zu umgehen. Das Röntgenbild zeigte einige nicht definierbare Schatten.«
Natalie erschrak. »Sie wollen doch nicht andeuten … ich meine…«
Der Arzt konnte ihren Gedankengang leicht nachvollziehen. »Keine Sorge, Fräulein Meinhardt, es handelt sich nicht um Krebs, sondern nur um harmlose Polypen, die ich im Zuge der Darmspiegelung gleich entfernt habe.«
Natalie atmete auf, und ihr Entschluß, die Klinik zu verlassen, war vergessen. Dr. Kreutzer hatte also nur gewissenhaft gearbeitet, und sie schämte sich fast, daß sie ihm etwas ganz anderes unterstellt hatte.
»Rührten meine Unterleibsschmerzen womöglich von diesen Polypen her?« wollte sie wissen.
Bedauernd schüttelte Dr. Kreutzer den Kopf. »Leider nicht. Ich fürchte… so leid es mir für Sie tut… wir müssen Sie operieren.«
Erneut erschrak Natalie. »Operieren? Ist es denn so schlimm?«
»Sagen wir mal so«, wich Dr. Kreutzer aus. »Ich kann die Ursache für Ihre Unterleibsschmerzen erst feststellen, wenn ich in den Bauch hineingeschaut habe.«
»Ach so«, murmelte Natalie niedergeschlagen. So etwas hatte ihr noch kein Arzt gesagt, allerdings hatte ihr ja auch noch keiner helfen können. Vielleicht sollte sie wirklich volles Vertrauen zu Dr. Kreutzer haben. Immerhin hatte er sie ja von den Darmpolypen befreit – wenn es auch äußerst schmerzhaft gewesen war.
»Da Sie noch nichts gefrühstückt haben, werden wir die Operation gleich in Angriff nehmen«, fuhr Dr. Kreutzer fort. »Das EKG liegt ja bereits vor, es ist vollkommen in Ordnung. Ich werde Sie also gleich hinunterbringen lassen, und in ein, zwei Stunden haben Sie dann alles hinter sich.«
Natalie fühlte sich irgendwie überrumpelt, doch sie bekam gar keine Gelegenheit mehr, sich gegen den geplanten Eingriff auszusprechen, denn Dr. Kreutzer verabreichte ihr noch im Untersuchungsraum die Spritze zur Narkoseeinleitung. Danach half er ihr, sich in das bereitgestellte Bett zu legen.
Schwindel und Übelkeit ergriffen Natalie, sie fühlte sich wie gelähmt, und der Versuch, Dr. Kreutzer auf ihre plötzlichen Beschwerden aufmerksam zu machen, scheiterte. Es gelang ihr zwar, den Mund zu öffnen, doch kein Wort kam hervor, und dann fielen ihr die Augen zu.
»Das war ja ein ziemlicher Hammer, den du ihr da verpaßt hast«, hörte sie eine männliche Stimme. Sie versuchte, ihre Augen wieder zu öffnen, um zu sehen, wer da gesprochen hatte, doch es ging nicht.
»Fünf Milliliter hätten wohl auch genügt«, entgegnete Dr. Kreutzer. »Aber dann brauchst du dafür weniger Narkosemittel.«
Natalie fühlte einen schmerzhaften Stich.
»So, die Infusionskanüle ist drin«, erklärte Dr. Kreutzer. »Du kannst mit der Narkose beginnen.«
Panische Angst ergriff Natalie. Sie wollte wach werden… wollte aus dieser Klinik fliehen, doch da glitt sie schon in einen tiefen Schlaf…
*
Dr. Kreutzer hatte sich die Hände gewaschen und von der OP-Schwester keimfreie Handschuhe überstreifen lassen, dann trat er an den OP-Tisch.
»Tubus ist drin«, erklärte der Anästhesist. »Du kannst anfangen.«
Dr. Kreutzer griff nach dem Skalpell und setzte den großen Bauchschnitt. Der junge Assistenzarzt Dr. Rainer Köhler setzte die Operationshaken an, um dem Chirurgen freie Sicht zu verschaffen.
»Sieh da, eine kleine Endometriose«, urteilte Dr. Kreutzer. »War doch gut, daß ich mich zur Operation entschlossen habe. Dann wollen wir die Kleine mal von ihrem Problem befreien.«
Aufmerksam sah der Assistenzarzt zu, wie Dr. Kreutzer die verirrten Schleimhautinseln und schließlich den rechten Eileiter entfernte.
»Dahinten sind ja noch welche«, stellte der Chirurg fest. »Na, da werden wir gleich Nägel mit Köpfen machen.«
Entsetzt sah Dr. Köhler ihn an. »Sie wollen hier doch wohl keine Totaloperation machen!«
Dr. Kreutzer warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. »Möchten Sie mich etwa belehren?«
Der Assistenzarzt errötete tief. »Das ist wirklich nicht meine Absicht, aber… die Frau ist doch noch im gebärfähigen Alter. Sollte man nicht versuchen…«
»Bei einer so ausgeprägten Endometriose tut man gut daran, Eileiter und Gebärmutter zu entfernen. Andernfalls kriegt die Frau ja nie Ruhe vor dieser Krankheit. Im übrigen ist die Möglichkeit, daß durch die Endometriose die Eileiter verklebt werden, sehr viel größer als die, daß sie jemals ein Kind bekommen wird.« Sein Blick wurde spöttisch. »Woher wissen Sie überhaupt, daß diese Frau Kinder möchte? Hausfrau und Mutter zu sein ist heutzutage doch gar nicht mehr gefragt.«
»Sie setzen also voraus, daß die Frau niemals Mutter werden möchte«, entfuhr es Dr. Köhler.
»Das reicht!« fuhr der Chirurg ihn böse an. »Von uns beiden bin ich der Arzt mit der größeren Erfahrung, also lassen Sie mich tun, was ich für richtig halte, und sparen Sie sich Ihre Kommentare.«
Hilflos mußte der junge Assistenzarzt zusehen, wie Dr. Kreutzer nun auch den linken Eileiter und schließlich die Gebärmutter entfernte.
»Damit wäre das Problem ein für allemal gelöst«, urteilte er, als er fertig war, dann sah er Dr. Köhler an. »Sie können die Patientin zumachen.«
Er verließ den OP, während der Assistenzarzt noch immer auf das Operationsfeld starrte und sich fragte, ob er wirklich nichts anderes tun konnte, als die Naht zu machen.
»Er