NACHKRIEGSZEIT (2024—2035)
»Die technologische Entwicklung stagnierte während dieser Periode.«
DIE WELT BRAUCHTE MEHR ALS EIN JAHRZEHNT, um sich vom globalen Krieg zu erholen, und die ersten dieser Jahre waren alles andere als friedlich: Aufstände und Rebellionen rumorten in allen Winkeln der Erde. Südamerika war noch immer im freien politischen Fall, und Nationen in Europa und Asien versuchten, den Welthandel anzukurbeln, indem sie die Aktivitäten der verbliebenen Konzerne regulierten – ihr Ziel: nach Jahren der Unternehmensherrschaft die staatliche Kontrolle wiederherzustellen.
In den Vereinigten Staaten verhängte Präsidentin Elizabeth Kress das Kriegsrecht über die Teile des Landes, die noch unter Konzernkontrolle standen. Arasaka wurde offiziell für die Zündung der Bombe verantwortlich gemacht, die das Zentrum von Night City verwüstet hatte; es hielten sich aber weiterhin Gerüchte, wonach die mysteriösen Angreifer von Militech finanziert und mit einem mobilen Nuklearsprengkopf ausgestattet worden waren. Die Bürger verlangten eine Erklärung, und Präsidentin Kress nutzte die öffentliche Stimmung aus, um Militech an der kurzen Leine zu halten. Es gab keine konkreten Beweise, die Militech belasteten, trotzdem wurden die Vermögenswerte des Unternehmens verstaatlicht, um die US-Regierung zu stärken. Mehrere prominente Militech-Funktionäre erhielten aber lukrative Positionen im reformierten Verteidigungsministerium, nachdem man sie von allen Vorwürfen freigesprochen hatte.
Die technologische Entwicklung stagnierte während dieser Periode. Die Konzerne mussten ums Überleben kämpfen, und die Regierungen konzentrierten sich auf innere Angelegenheiten wie die Befriedung ziviler Unruhen und den Wiederaufbau. Nomads wurden zum Lebensblut des Tech-Handels. Sie streiften durch die Schlachtfelder und verlassenen Anlagen und schmuggelten verbotene Güter in ihren schwer bewaffneten Konvois.
Trotz ihrer Zusicherungen hatte Präsidentin Kress kein echtes Interesse daran, dem verwüsteten Night City zu helfen. Die verwundete Stadt leiden zu lassen, war für sie der perfekte Weg, um sich den Freien Staat Nordkalifornien gefügig zu machen. Doch die eigensinnigen Bewohner von NC weigerten sich, ihre Autonomie aufzugeben und begannen allein mit dem mühseligen Wiederaufbau.
NetWatch versuchte unterdessen jahrelang vergeblich, das Old Net von wild gewordenen Intelligenten Systemen (IS) und Militärprogrammen zu säubern. Schließlich entwickelte NetWatch die sogenannte »Blackwall«, eine virtuelle Barriere zwischen den Menschen- und den KI-kontrollierten Bereichen des Old Net. Angesichts der Größenordnung dieser Operation könnte durchaus etwas an den Gerüchten dran sein, dass NetWatch einen Pakt mit den IS eingehen musste, um die Blackwall zu errichten.
05: Südkalifornische Grenzwachen drangsalieren Zivilisten, die nach Night City wollen.
06: Die Flagge von Nordkalifornien, erstmals verwendet 2012.
WIEDERVEREINIGUNG (2035–2069)
»So oblag es den Bürgern, Night City wiederaufzubauen, unterstützt von Nomads und kleinen Unternehmen.«
WÄHREND DER NÄCHSTEN FÜNF JAHRE kehrten die Nationen und Konzerne der Erde allmählich zur Normalität zurück. Durch die Wiedereröffnung der Handelsrouten konnten Städte mit dem Neuaufbau beginnen. Man setzte die beschädigte Infrastruktur wieder instand, und Technologie wurde allgegenwärtig.
In den USA wurden viele Städte, die während des Kollapses von 1990–2016 aufgegeben worden waren, mithilfe der Regierung und der Konzerne neu besiedelt. Letztere sahen darin eine Gelegenheit, ihr Image zu verbessern, nachdem ihr Ansehen in der Öffentlichkeit durch den Krieg stark gelitten hatte. Außerdem wollten sie ihren kulturellen Einfluss wiederherstellen.
Night City war von Präsidentin Kress und der US-Regierung im Stich gelassen worden. So oblag es den Bürgern, ihre Stadt wiederaufzubauen, unterstützt von Nomads und kleinen Konzernen. Zu jener Zeit gab es zahlreiche Gerüchte darüber, dass die Regierung Arasaka nur zum Sündenbock für die nukleare Explosion gemacht hatte, weswegen viele Großunternehmen nach möglichst viel Unabhängigkeit strebten. Was die Bürger selbst anging – sie hätten lieber die Rückkehr des asiatischen Sicherheitskonzerns gesehen, als sich der US-Regierung zu unterwerfen.
In Europa hingegen entwickelten sich die Dinge nicht so gut für die alten Megakonzerne. Die etablierten Akteure waren durch den Krieg geschwächt, und aufstrebende Unternehmen, die von den europäischen Regierungen unterstützt wurden, liefen ihnen schnell den Rang ab.
In Asien stellte sich Arasaka hoch erhobenen Hauptes der Schmach der Niederlage. Das Unternehmen musste einen Großteil seiner Vermögenswerte für Reparationen aufwenden, aber eine Handvoll lukrativer Verträge erlaubten es ihm, schnell wieder eine marktführende Position in der Waffenproduktion und der Sicherheitsindustrie einzunehmen. Der Rückschlag zog dennoch bleibende Konsequenzen nach sich, denn Berichten zufolge kam es zu einem geheimen Bürgerkrieg in den Rängen des Konzerns, ausgefochten zwischen Saburo Arasaka und seinen Kritikern.
Neue, isolierte Netzwerke erschienen auf der Bildfläche, die meisten davon regionale Intranetze. Die wenigen Verbindungen zwischen diesen Netzwerken wurden sorgsam von NetWatch kontrolliert, obwohl dessen Einfluss in Europa und Ozeanien stark eingeschränkt war. Zivile Nutzer hatten keinen Zugang zu diesem neuen Net, und es war auch besser gegen Netrunner gesichert, da wichtige Informationen gesondert abgespeichert wurden.
07: Ein Stadtangestellter sterilisiert ausgelaufene Gefahrenstoffe in Aroyo.
VEREINIGUNGSKRIEG/ METALLKRIEGE (2069—2070)
»Unterstützt von verstaatlichten Militärtruppen, erklärte die Regierung der New United States den lose verbündeten Separatistenstaaten den Krieg.«
UNTER DEM VORWAND, DIE NATION STÄRKEN ZU WOLLEN, präsentierte die neu gewählte Präsidentin Rosalind Myers Ende 2069 ein Einheitsprogramm, um die abtrünnigen Free States wieder unter Bundeskontrolle zu bringen. Die meisten unabhängigen Territorien hingegen waren gegen eine Wiedervereinigung. Ein Konflikt war unvermeidbar. Unterstützt von verstaatlichten Militärtruppen, erklärte die Regierung der New United States den lose verbündeten Separatistenstaaten den Krieg. Betroffen waren Colorado, New Mexico, Wyoming, Montana, Arizona, Nevada und Nordkalifornien. Washington, Oregon und Idaho schafften es, während des Konflikts neutral zu bleiben, wofür sie aber einige Zugeständnisse an die Bundesregierung machen mussten. Die Free States wurden zwar im Geheimen von Arasaka mit Waffen und »Militärberatern« versorgt, trotzdem wurden sie durch die Truppen der NUSA stark unter Druck gesetzt, die ihrerseits von Pro-Einheit-Staaten unterstützt wurden. Diesen Konflikt, der mit modernster Militärtechnologie ausgefochten wurde, kennen wir heute als die Metallkriege.
Night City entging den Kampfhandlungen nur knapp. Nord- und Südkalifornien standen auf unterschiedlichen Seiten – der Süden war mit der US-Regierung verbündet, während der Norden unabhängig