»Darf ich fragen, Miß Porter, wer die beiden verunglückten Hubschrauberpiloten sind?« erkundigte sich Josuah Parker gemessen.
»Es sind ebenfalls Kaskadeure, die von den Conders engagiert wurden«, konnte Kathy Auskunft geben. »Man sollte mit ihnen nicht zu hart ins Gericht gehen, ich glaube, sie haben mir überhaupt die Gelegenheit verschafft, daß ich mich befreien konnte.«
»Wer hätte das von diesem skurrilen William P. Petters gedacht?« Lady Simpson schüttelte nachdenklich den Kopf. »Wieso hat er sich nur mit diesen ausgekochten Gangstern zusammentun können!«
»Abgesehen davon, Mylady, daß er dafür mit seinem Leben bezahlt hat«, schickte Parker voraus. »Mister Petters sah, daß mit seinen Ideen erfolgreiche Filme gedreht wurden. Man brauchte ihn wohl nicht lange zu überreden. Ihm dürfte es allein um seine weiteren Forschungen gegangen sein. Eine tragische Figur, wenn ich es so ausdrücken darf.«
»Die Hauptfigur in meinem ersten Filmstoff«, erklärte Agatha Simpson und sah sehr animiert aus. »Mister Parker, notieren Sie sich alle Einzelheiten, sobald wir zu Hause sind. Von mir aus können Sie auch bereits die ersten Szenen schreiben. Ich weiß schon jetzt, daß mein Film ein … was werden wird, Mister Parker? Wie heißt dieser Fachausdruck noch?«
»Ein Hit, Mylady!«
»Jawohl, ein Hit«, wiederholte die vielseitige Dame. »Ich werde mich sofort an die Arbeit machen und in Klausur gehen. Ab sofort möchte ich nicht mehr gestört werden, Mister Parker.«
»Sehr wohl, Mylady. Auch dann nicht, wenn einer neuer Fall sich abzeichnet?«
»Das wäre die einzige Ausnahme«, räumte Agatha Simpson ein, »dann haben Sie mich auf jeden Fall zu stören! Die Themen liegen auf der Straße, ich kann sie doch nicht ungenutzt lassen.«
In dieser Nacht wollten sie den endgültigen Beweis herbeischaffen.
Tom Haley und Peter Ward hockten seit Stunden in den Steilklippen der Küste und sahen immer wieder hinunter in die Brandung. Dort beobachteten sie vor ein paar Tagen die beiden Seejungfrauen. Sie hatten sich ganz bestimmt nicht getäuscht, aber leider etwas vorschnell in der Dorfkneipe davon erzählt. Sie waren von ihren Freunden und Bekannten nach allen Regeln der Kunst durch den sprichwörtlichen Kakao gezogen worden.
Doch jetzt wollten sie es wissen.
Sie hatten sich mit einem großen, grobmaschigen Fischernetz bewaffnet, mit dem sie wenigstens eine der Seejungfrauen an Land ziehen konnten. Sie freuten sich schon jetzt auf die Sensation, die ihr Fang hervorrief. Es war für
sie klar, daß die geheimnisvollen Wesen auch in dieser Nacht wieder aus der See auftauchten.
»Ob das noch was wird?« fragte Tom Haley skeptisch, als sich auch nach Stunden immer noch nichts tat.
»Die kommen«, behauptete Peter Ward hartnäckig, »die Brandung hat sich beruhigt. Sie werden bestimmt auftauchen.«
Tom Haley wollte antworten, doch genau in diesem Augenblick machte er eine Entdeckung, die ihn förmlich elektrisierte. Im Wasser trieb ein Gegenstand, den man auf den ersten Blick für ein Stück Treibholz halten konnte. Doch es war kein Treibholz, es handelte sich um einen Menschen, dessen Arme jetzt deutlich auszumachen waren. Die Gestalt wurde um einen mächtigen Felsklotz gespült, der wie ein Turm in der Brandung stand. Sie arbeitete sich dann mit kraftvollen Kraulschlägen an den schmalen Sandstreifen heran, der unten zwischen den Steilklippen zu sehen war.
»Da ist eine«, stieß Tom Haley hervor. »Mann, Peter, da ist eine!«
»Schon gesehen«, erwiderte Peter Ward, »komm’, wir steigen weiter runter!«
Sie kannten sich in den Klippen aus und fürchteten nicht die Dunkelheit. Zudem gab der Mond ausreichend Licht. Auf dem Wasser lag ein silbriger Schein, der bis hinauf in die Klippen wirkte. Schnell und geschmeidig stiegen die beiden jungen Männer weiter nach unten. Das Jagdfieber hatte sie erfaßt.
Das seltsame Wesen brauchte einige Minuten, bis es die Brandung endgültig überwunden hatte. Zu dieser Zeit standen Tom Haley und Peter Ward bereits neben dem »Nußknacker«, einem bizarr geformten Felsen, der von der See tief ausgewaschen worden war. Die Höhlungen in diesem Felsen hatten eine Art Gesicht geformt, das an das eines riesigen Nußknackers erinnerte.
Das Wesen aus der See hatte das relativ stille Wasser hinter dem Nußknacker erreicht. Es saß auf einem tischartigen Felsen und war im Mondlicht deutlich zu erkennen.
Nein, sie hatten sich wirklich nicht getäuscht!
Das dort war eine Seejungfrau. Ihr Oberkörper war nackt und zeigte feste Brüste. Das triefend nasse Haar fiel über die Schultern und war mit Seetang vermischt. Der Unterleib ging in einen schuppenartigen Fischkörper über, der in einer kräftigen Schwanzflosse endete. Dieses unheimliche Wesen strähnte sich das Haar mit seinen gespreizten Fingern, bewegte den fischartigen Leib und zog ihn noch weiter hoch auf den Felsen.
»Sagenhaft«, flüsterte Tom Haley.
»Ich kann’s kaum glauben«, gab Peter Ward fast andächtig zurück, »’ne echte Seejungfrau. Mann, werden die im Dorf Augen machen!«
»Warten wir noch auf die zweite?«
»Eine reicht vollkommen, Tom. Los, wir müssen sie erwischen, bevor sie wieder abhaut!«
Die beiden jungen Männer hatten sich vorher alles genau überlegt. Einzelheiten brauchten sie nicht mehr zu besprechen. Sie nickten sich zu und rannten aus ihrem Versteck, hielten das flatternde Netz zwischen sich und hetzten ins seichte Wasser. Die Beute war ihnen so gut wie sicher.
Sie hatten wirklich eine echte Chance, die Seejungfrau ins Netz zu ziehen, denn sie drehte ihnen den Rücken zu, sah auf die See hinaus und schien keine Ahnung zu haben, in welcher Gefahr sie schwebte. Von der drohenden Nähe der beiden Männer hatte sie nichts bemerkt.
Sie war jetzt in allen Einzelheiten genau zu erkennen. Es handelte sich tatsächlich um ein Fabelwesen, halb Mensch, halb Fisch. Die seltsame, faszinierende Gestalt, die aus den unergründlichen Tiefen des Meeres stammte, wandte sich plötzlich langsam um, sah die beiden heranjagenden Männer und … lächelte auf geheimnisvolle Weise. Erschrecken zeigte dieses Fabelwesen überhaupt nicht. Das Lächeln war lockend und vielleicht auch ein wenig melancholisch.
Tom Haley und Peter Ward waren bereits bis zu den Oberschenkeln im Wasser der auslaufenden Brandung. Sie ahnten nicht, daß der Tod bereits nach ihnen griff.
*
Lady Agatha Simpson saß vor ihrer elektrischen Schreibmaschine und sah das weiße, unbeschriebene Blatt beschwörend an. Sie wartete schon seit gut einer halben Stunde darauf, von der Muse geküßt zu werden. Bisher hatte ihr die Muse diese Gunstbezeigung allerdings hartnäckig verweigert.
Die große, etwas zu Fülle neigende Dame arbeitete bereits seit einigen Monaten an dem Bestseller, den sie schreiben wollte. Lady Agatha hatte die feste Absicht, eine gewisse Agatha Christie weit in den Schatten zu stellen. Sie hielt es für selbstverständlich, daß ihr das gelang.
Hinderlich an diesem Vorhaben war vielleicht die Tatsache, daß sie sich nicht auf ein bestimmtes Thema zu konzentrieren vermochte. Zu viele Ideen befanden sich in ihrem Kopf.
Lady Agatha Simpson war schon eine recht bemerkenswerte Dame. Verwandt und verschwägert mit dem Blut- und Geldadel Englands, immens reich und Witwe, konnte sie sich jede gewünschte Extravaganz leisten. Auf dem glatten