Sechstes Kapitel.
»Auf dein Zimmer, Mädchen!« schrie er mit heiserer, barscher Stimme, indem er zwischen uns trat und gebieterisch nach dem Hause zeigte.
Er wartete, bis Gabriele, mit einem letzten, erschreckten Blick auf mich, durch die Lücke hindurch verschwunden war; dann wandte er sich mir zu mit einem so drohenden Ausdruck in seinem Gesicht, daß ich unwillkürlich ein paar Schritte zurücktrat und meinen eichenen Stock fester faßte.
»Sie – Sie!« stammelte er, sich mit der Hand nach der Kehle greifend, als ob er vor Wut beinahe erstickte. »Sie haben es gewagt, in mein Privatleben einzudringen? Glauben Sie vielleicht, daß ich diesen Zaun errichtet habe, damit sich alles Ungeziefer im Lande daherum versammeln soll? O, Sie sind Ihrem Tode nahe gewesen; näher werden Sie ihm in Ihrem ganzen Leben nicht sein. Sehen Sie her!« Er zog einen kurzen, dicken Revolver aus seiner Brusttasche. »Wenn Sie sich durch jene Lücke gewagt und mein Eigentum betreten hätten, so würde ich Ihnen das Lebenslicht ausgeblasen haben. Ich will hier keine Vagabunden haben. Ich weiß mit solchen Herrschaften umzugehen, ob sie nun schwarz oder weiß sind!«
»Mein Herr,« sagte ich, »ich hatte nichts Schlimmes im Sinne, als ich hierher kam, und verstehe nicht, wie Sie zu diesem sonderbaren Wutausbruch kommen. Erlauben Sie mir aber gefälligst, zu bemerken, daß Sie noch immer Ihren Revolver auf mich gerichtet halten, und da Ihre Hand zittert, ist es sehr gut möglich, daß er losgeht. Wenn Sie also nicht sofort den Lauf niederhalten, werde ich mich genötigt sehen, Ihre Hand mit meinem Stock niederzuschlagen.«
»Was zum Teufel hat Sie denn hierher gebracht?« fragte er, etwas ruhiger, während er seine Waffe in seine Brusttasche zurückschob. »Kann denn ein Gentleman nicht in Frieden leben, ohne daß jedweder hierher kommt, um zu spionieren? Können Sie sich nicht um Ihre eigenen Geschäfte bekümmern? Und meine Tochter? Wie kommt es, daß Sie die kennen? Und was versuchten Sie eben, aus ihr herauszubekommen? Es ist kein Zufall, daß Sie hier sind!«
»Nein,« sagte ich offen, »es ist kein Zufall, daß ich hier bin. Ich habe verschiedentlich Gelegenheit gehabt, mit Ihrer Tochter zusammenzukommen und ihre vielen guten Eigenschaften kennen zu lernen. Wir sind Verlobte, und ich kam eigens in der Absicht hierher, um sie zu sprechen!«
Anstatt aber rasend zu werden, wie ich erwartet hatte, ließ er einen langen Pfiff des Erstaunens hören und lehnte sich gegen das Staket, indem er leise in seinen Bart hineinlachte.
»Englische Jagdhunde spielen gern mit Würmern!« bemerkte er dann. »Wenn wir sie nach Ostindien brachten, trabten sie gewöhnlich in die Dschungeln hinein und schnüffelten dort an vermeintlichen Würmern herum. Aber der Wurm entpuppte sich als eine giftige Schlange, und der Hund mußte es büßen. Und es kommt mir vor, als ob Sie sich in einer ähnlichen Stellung befinden werden, wenn Sie nicht aufpassen!«
»Sie werden doch wohl Ihre eigene Tochter nicht verdächtigen wollen!« rief ich, vor Entrüstung errötend.
»O, mit Gabriele ist es schon richtig!« antwortete er nachlässig. »Aber unsere Familie ist nicht derart, daß ich einem jungen Manne raten möchte, hineinzuheiraten. Und bitte, wie kommt es denn, daß mir von diesem Arrangement nichts gesagt wurde?«
»Wir fürchteten, mein Herr, daß Sie uns trennen würden,« antwortete ich, da ich fühlte, daß absolute Offenheit unter diesen Umständen das beste war. »Es ist ja möglich, daß wir uns irrten. Ehe Sie aber eine endgültige Entscheidung treffen, muß ich Sie dringend bitten, zu bedenken, daß unser beider Glück hier auf dem Spiele steht. Sie können unsere Körper trennen, aber unsere Herzen werden auf ewig vereint sein.«
»Mein lieber Junge,« sagte der General, in einem nicht unfreundlichen Tone. »Sie wissen nicht, was Sie verlangen. Die Kluft, die zwischen Ihnen und denen besteht, in deren Adern das Blut der Heatherstones fließt, kann nie überbrückt werden.«
Sein Ärger war jetzt gänzlich verschwunden und hatte einem leichten Anflug von Spott Platz gemacht.
Mein Familienstolz regte sich bei diesen Worten.
»Die Kluft ist vielleicht nicht so weit, wie Sie sich einbilden,« sagte ich kalt. »Wir sind keine Klutentrampler, wenn wir auch in dieser abgelegenen Gegend leben. Ich bin väterlicherseits von adliger Abkunft, und meine Mutter war eine geborene von Buchenau. Ich kann Ihnen versichern, daß die Ungleichheit zwischen uns nicht so groß ist, wie Sie anzunehmen scheinen.« –
»Sie mißverstehen mich,« antwortete der General. »Der Vergleich würde schon zu Ihren Gunsten ausfallen. Es gibt aber gewisse Gründe, derentwegen Gabriele ledig leben und sterben muß. Es würde Ihnen nicht zum Vorteil gereichen, sie zu heiraten.«
»Aber, mein Herr,« widersprach ich ihm, »ich kann doch sicher selbst am besten über meine Interessen und Vorteile entscheiden. Wenn Sie diesen Standpunkt einnehmen, wird die Sache schon leichter; denn ich schwöre Ihnen, das einzige Interesse, das mir am Herzen liegt, ist, daß ich meine Geliebte heimführen möchte. Wenn das Ihr einziger Einwand gegen unsere Verbindung ist, können Sie uns getrost Ihre Einwilligung geben. Die etwaigen Gefahren, welche ich durch meine Heirat mit Gabriele auf mich herabbeschwöre, machen mir verzweifelt wenig aus.«
»Nun sieh mal einer den jungen Kampfhahn an!« rief der General aus, über meinen Eifer lächelnd. »Es ist leicht, einer Gefahr zu trotzen, wenn man nicht weiß, worin sie besteht!«
»Worin besteht sie denn?« fragte ich erregt. »Keine Gefahr auf Erden wird mich von Gabrieles Seite vertreiben. Sagen Sie mir, worin sie besteht, und prüfen Sie mich!«
»Nein, das wird niemals möglich sein,« seufzte er, und nachdenklich, wie im Selbstgespräch, fuhr er fort: »Er hat viel Mut und ist auch ein kräftiger Kerl. Wir könnten ihn am Ende gut gebrauchen.«
Er murmelte eine Zeitlang so vor sich hin, mit seinen Augen ins Leere starrend, als ob er meine Anwesenheit vergessen hätte.
»Sehen Sie mal her, West!« sagte er plötzlich. »Sie werden es mir nicht übelnehmen, daß ich Sie vorhin etwas barsch anfuhr. Es ist das zweitemal, daß ich für dasselbe Vergehen Abbitte leisten muß. Es soll auch nicht wieder vorkommen. Ich bin zweifelsohne etwas überängstlich in meinem Wunsche nach vollkommener Einsamkeit, aber ich habe meine guten Gründe, darauf zu bestehen. Ich habe nun eine Ahnung – ob begründet oder nicht, ist gleichgültig –, daß hier eines Tages eine organisierte Razzia auf mein Eigentum stattfinden wird. Wenn nun etwas derartiges vorkommen sollte, kann ich auf Ihre Hilfe rechnen?«
»Von ganzem Herzen!«
»Wenn Sie also jemals eine Botschaft bekämen, wie zum Beispiel: ›Komm!‹ oder auch nur ›Cloomber!‹ so würden Sie wissen, daß es ein Hilferuf ist, und sofort zu uns eilen, mitten in der Nacht, wenn nötig?«
»Auf jeden Fall!« antwortete ich. »Aber darf ich fragen, worin diese fürchterliche Gefahr denn eigentlich besteht?«
»Es würde Ihnen nichts nützen, wenn Sie es auch wüßten. Sie würden es kaum verstehen, wenn ich es Ihnen auch verriete. Ich muß Ihnen jetzt Adieu sagen; ich habe mich sowieso schon zu lange aufgehalten. Vergessen Sie nicht: wir rechnen jetzt auf Sie als ein Mitglied der Garnison von Cloomber!«
»Noch eins,« sagte ich eilig, denn er wandte sich schon ab. »Hoffentlich zürnen Sie Ihrer Tochter nicht. Sie hat nur meinetwegen Ihnen gegenüber ein Geheimnis aus unserem Verhältnis gemacht.«
»Schon gut!« meinte er, mit seinem kalten rätselhaften Lächeln. »Ich bin nicht solch ein Oger im Schoße meiner Familie, wie Sie anzunehmen scheinen. Was diese Heirat anbelangt, rate ich Ihnen als Ihr Freund, die ganze Geschichte fallen zu lassen. Sollte das aber unmöglich sein, so muß ich darauf bestehen, daß die Sache vorläufig ganz ruhen bleibt. Man kann im voraus nicht sagen, wie sich die Ereignisse entwickeln werden. Adieu!«
Er schlug sich seitwärts in die Büsche und war bald hinter dem Gestrüpp verschwunden.
So endete dieses sonderbare Gespräch, in welchem mir der seltsame Mensch zuerst eine Pistole auf die Brust gesetzt und mich am Ende als eventuellen