Nach dem Hochamt hielten die Nonnen, unter dem Vortritt der Äbtissin, die mit der Inful geschmückt war und den silbernen Hirtenstab trug, eine feierliche Prozession durch die Gänge des Klosters und durch die Kirche. Welche Heiligkeit, welche Würde, welche überirdische Größe strahlte aus jedem Blick der herrlichen Frau, leitete jede ihrer Bewegungen! Es war die triumphierende Kirche selbst, die dem frommen, gläubigen Volke Gnade und Segen verhieß. Ich hätte mich vor ihr in den Staub werfen mögen, wenn ihr Blick zufällig auf mich fiel. – Nach beendigtem Gottesdienst wurde die Geistlichkeit sowie die Kapelle des Bischofs in einem großen Saal des Klosters bewirtet. Mehrere Freunde des Klosters, Offizianten, Kaufleute aus der Stadt, nahmen an dem Mahle teil, und ich durfte, weil mich der Konzertmeister des Bischofs liebgewonnen und gern sich mit mir zu schaffen machte, auch dabeisein. Hatte sich erst mein Inneres, von heiliger Andacht durchglüht, ganz dem Oberirdischen zugewendet, so trat jetzt das frohe Leben auf mich ein und umfing mich mit seinen bunten Bildern. Allerlei lustige Erzählungen, Spaße und Schwanke wechselten unter dem lauten Gelächter der Gäste, wobei die Flaschen fleißig geleert wurden, bis der Abend hereinbrach und die Wagen zur Heimfahrt bereitstanden.
Sechzehn Jahre war ich alt geworden, als der Pfarrer erklärte, daß ich nun vorbereitet genug sei, die höheren theologischen Studien in dem Seminar der benachbarten Stadt zu beginnen: ich hatte mich nämlich ganz für den geistlichen Stand entschieden, und dies erfüllte meine Mutter mit der innigsten Freude, da sie hiedurch die geheimnisvollen Andeutungen des Pilgers, die in gewisser Art mit der merkwürdigen, mir unbekannten Vision meines Vaters in Verbindung stehen sollten, erklärt und erfüllt sah. Durch meinen Entschluß glaubte sie erst die Seele meines Vaters entsühnt und von der Qual ewiger Verdammnis errettet. Auch die Fürstin, die ich jetzt nur im Sprachzimmer sehen konnte, billigte höchlich mein Vorhaben und wiederholte ihr Versprechen, mich bis zur Erlangung einer geistlichen Würde mit allem Nötigen zu unterstützen. Unerachtet die Stadt so nahe lag, daß man von dem Kloster aus die Türme sehen konnte und nur irgend rüstige Fußgänger von dort her die heitre, anmutige Gegend des Klosters zu ihren Spaziergängen wählten, so wurde mir doch der Abschied von meiner guten Mutter, von der herrlichen Frau, die ich so tief im Gemüte verehrte, sowie von meinem guten Lehrer recht schwer. Es ist ja auch gewiß, daß dem Schmerz der Trennung jede Spanne außerhalb dem Kreise der Lieben der weitesten Entfernung gleich dünkt! – Die Fürstin war auf besondere Weise bewegt, ihre Stimme zitterte vor Wehmut, als sie noch salbungsvolle Worte der Ermahnung sprach. Sie schenkte mir einen zierlichen Rosenkranz und ein kleines Gebetbuch mit sauber illuminierten Bildern. Dann gab sie mir noch ein Empfehlungsschreiben an den Prior des Kapuzinerklosters in der Stadt, den sie mir empfahl gleich aufzusuchen, da er mir in allem mit Rat und Tat eifrigst beistehen werde.
Gewiß gibt es nicht so leicht eine anmutigere Gegend, als diejenige ist, in welcher das Kapuzinerkloster dicht vor der Stadt liegt. Der herrliche Klostergarten mit der Aussicht in die Gebürge hinein schien mir jedesmal, wenn ich in den langen Alleen wandelte und bald bei dieser, bald bei jener üppigen Baumgruppe stehenblieb, in neuer Schönheit zu erglänzen. – Gerade in diesem Garten traf ich den Prior Leonardus, als ich zum erstenmal das Kloster besuchte, um mein Empfehlungsschreiben von der Äbtissin abzugeben. – Die dem Prior eigne Freundlichkeit wurde noch erhöht, als er den Brief las, und er wußte so viel Anziehendes von der herrlichen Frau, die er schon in frühen Jahren in Rom kennengelernt, zu sagen, daß er schon dadurch im ersten Augenblick mich ganz an sich zog. Er war von den Brüdern umgeben, und man durchblickte bald das ganze Verhältnis des Priors mit den Mönchen, die ganze klösterliche Einrichtung und Lebensweise: die Ruhe und Heiterkeit des Geistes, welche sich in dem Äußerlichen des Priors deutlich aussprach, verbreitete sich über alle Brüder. Man sah nirgends eine Spur des Mißmuts oder jener feindlichen, ins Innere zehrenden Verschlossenheit, die man sonst wohl auf den Gesichtern der Mönche wahrnimmt. Unerachtet der strengen Ordensregel waren die Andachtsübungen dem Prior Leonardus mehr Bedürfnis des dem Himmlischen zugewandten Geistes als asketische Buße für die der menschlichen Natur anklebende Sünde, und er wußte diesen Sinn der Andacht so in den Brüdern zu entzünden, daß sich über alles, was sie tun mußten, um der Regel zu genügen, eine Heiterkeit und Gemütlichkeit ergoß, die in der Tat ein höheres Sein in der irdischen Beengtheit erzeugte. – Selbst eine gewisse schickliche Verbindung mit der Welt wußte der