Der Kleine schwieg, und die Gesellschaft schrie, schlug auf den Tisch und fand für den ganzen Abend des Lärmens kein Ende. Es wurden wieder heitere Toaste ausgebracht. Herr Luffey und Herr Struggles, Herr Pickwick und Herr Jingle wurden nacheinander in prächtigen Reden bis in den Himmel gehoben, und jeder bedankte sich pflichtschuldigst für die ihm erwiesene Ehre.
Wir sind begeistert von der großen Sache, der wir uns gewidmet haben. Wir haben das stolze Bewußtsein von einer Leistung, die uns die Unsterblichkeit sichern müßte. Aber ach, sie schwindet wieder! Denn fürwahr: wir könnten uns über uns selbst erheben, vermöchten wir unsern wißbegierigen Lesern auch nur eine bescheidene Skizze von den Reden zu geben, die bei dieser Festivität noch alle gehalten wurden. So bot Herr Snodgraß wie gewöhnlich eine Fülle von Aphorismen, die uns ohne Zweifel die unterrichtendsten und schätzbarsten Belehrungen gegeben haben würden, hätte nicht der Feuerström der Rede oder der fiebererregende Einfluß des Weines die Hand unseres Berichterstatters so unsicher gemacht, daß seine Schrift ebenso unleserlich wie seine Darstellung verworren wurde. Unserm unermüdeten Forschungseifer verdanken wir es, daß wir einige flüchtige Andeutungen hinzuwerfen imstande waren, die den Zügen der Sprecher nicht ganz unähnlich sind, und wir glauben auch den Anfang eines Liedes herausbringen zu können (wenn es anders auch wirklich von Herrn Jingle gesungen wurde), in dem die Worte »Bowl«, »Glanz«, »Rubin«, »Goldschimmer« und »Wein« nach kurzen Zwischenräumen wiederholt vorkommen. Wir glauben auch am Schlusse der Notizen etwas von »Zänkerei und Schlägerei« und dann die Worte »kalt« und »draußen« zu finden: doch da jede Vermutung, die wir darauf bauen könnten, notwendig bloß auf Mutmaßungen hinauslaufen würde, so wollen wir gar keinen Folgerungen nachdenken, auf die wir etwa stoßen könnten.
Wir wollen deshalb zu Herrn Tupman zurückkehren und am Schlusse nur noch bemerken, daß man wenige Minuten vor zwölf Uhr den Kern der Dingtey Deller und Mungletoner Honoratiorenschaft noch mit großem Gefühl und Nachdruck das schöne und geistvolle Nationallied singen hörte:
»Wir gehn nicht heim bis morgen,
Wir gehn nicht heim bis morgen.
Wir gehn nicht heim bis morgen,
Bis uns die Sonne leuchtet.«
Neuntes Kapitel. Deutlicher Beweis für die Behauptung, daß die Bahn treuer Liebe keine Eisenbahn ist.
Die stille Abgeschiedenheit von Dingley Dell, die Anwesenheit so vieler Zierden des schönen Geschlechts, die sorgsame Pflege und Aufmerksamkeit, die sie an den Tag legten, war der Steigerung jener sanfteren Gefühle außerordentlich günstig, die die Natur tief in Herrn Tracy Tupmans Brust gesenkt hatte. Diese Gefühle schienen jetzt bestimmt, sich auf einen liebenswürdigen Gegenstand zu konzentrieren. Die jungen Damen waren hübsch, ihr Äußeres einnehmend, ihr Betragen tadellos. Aber in den Augen von Jungfer Tante lag eine Majestät, in ihrer Miene eine Würde, in ihrem Gang ein gewisses Noli me tangere, worauf jene bei ihrer Jugend keinen Anspruch machen konnten. Darin tat die Tante es jedem Frauenzimmer zuvor, das Tupman je gesehen hatte. Daß in dem Wesen beider etwas Verwandtes, in ihrem Gemüte etwas Übereinstimmendes, in ihrer Brust eine gewisse geheimnisvolle Sympathie lag, war klar.
Ihr Name war der erste Laut, der über Herrn Tupmans Lippen trat, als er blutend im Grase lag, und ihr krampfhaftes Lachen war der erste Ton, der zu seinen Ohren drang, als er nach Hause gebracht wurde.
Aber hatte ihre Aufregung den Grund in einer liebenswürdigen weiblichen Empfindsamkeit überhaupt, die bei jeder ähnlichen Gelegenheit zum Vorschein gekommen wäre? Oder war sie durch ein tieferes, zärtlicheres Gefühl hervorgerufen worden, das nur er allein unter allen Männern erwecken konnte? Das waren Zweifel, die sein Gehirn marterten, als er hilflos auf dem Sofa lag – Zweifel, die er auf einmal und für immer zu lösen beschloß.
Es war Abend. Isabella und Emilie hatten mit Herrn Trundle einen Spaziergang gemacht. Die taube alte Frau war in ihrem Lehnstuhl eingeschlafen: das Schnarchen des fetten Jungen drang dumpf und eintönig aus der entfernten Küche herüber. Die sorglosen Mägde lehnten am Hoftor und genossen die Süßigkeit des Feierabends, indem sie mit gewissen unbeholfenen Tieren spielten, die zum Haushalte gehörten. Da saß denn das interessante Pärchen, von niemand beachtet und auf nichts achtend, nur von sich selbst träumend: da saßen sie wie ein Paar sorgfältig zusammengelegte Handschuhe – ineinandergeschlungen.
»Ich habe meine Blumen vergessen«, bemerkte Jungfer Tante.
»So begießen wir sie«, sprach Herr Tupman mit schmeichelndem Tone.
»Sie würden sich in der Abendluft erkälten«, sagte Jungfer Tante zärtlich.
»Nein, nein«, erwiderte Herr Tupman aufstehend. »Es macht mir gar nichts. Ich will Sie begleiten.«
Die Dame legte schweigend die Schlinge zurecht, in der der linke Arm des junaen Mannes lag, ergriff seinen rechten und führte ihn in den Garten.
Am oberen Ende desselben war eine Laube von Geisblatt, Jasmin und Schlingpflanzen – einer von jenen Ruheplätzen, die empfindsame Seelen zur Bequemlichkeit der Spinnen errichten.
Jungfer Tante ergriff eine große Gießkanne, die in einem Winkel stand und war im Begriff, die Laube zu verlassen. Herr Tupman hielt sie zurück und zog sie auf einen Sitz neben sich nieder.
»Fräulein Wardle«, sagte er.
Jungfer Tante zitterte, daß einige Steinchen, die zufälligerweise den Weg in die Gießkanne gefunden hatten, klirrten wie eine Kinderklapper.
»Fräulein Wardle,« sagte Herr Tupman, »Sie sind ein Engel.«
»Herr Tupman«, rief Rachel aus, so rot wie die Gießkanne selbst.
»Wahrlich,« sagte der beredte Pickwickier, »ich fühle es nur zu sehr.«
»Alle Frauenzimmer sind Engel, wenn man die Männer so hört«, flüsterte die Dame in scherzhaftem Tone.
»Was wären Sie sonst, oder womit könnte ich Sie ohne Vermessenheit vergleichen?« versetzte Herr Tupman. »Wo sah man je ein Frauenzimmer, das Ihnen glich? Wo könnte ich sonst eine so seltene Vereinigung von geistigen Vorzügen und körperlicher Schönheit finden? Wo könnte ich sonst – – – O!«
Hier schwieg Herr Tupman und drückte die Hand, die auf dem Handgriff der glücklichen Gießkanne ruhte.
Die Dame wandte