Der Wunsch schien Rico schwer auf dem Herzen zu liegen, denn er kam mit einem tiefen Seufzer heraus. Stineli war gleich voller Teilnahme und unternehmender Gedanken.
»Wir wollen zusammen eine kaufen«, rief es plötzlich voller Freude über die Hilfe, die ihm eingefallen war. »Ich habe sehr viele Pfennige von der Großmutter, etwa zwölf. Wie viele hast du?«
»Gar keinen«, sagte Rico traurig. »Der Vater hat mir ein paar gegeben, bevor er fortging. Aber die Base hat gesagt, ich mache nur unnützes Zeug damit, und hat sie genommen und ganz hoch hinauf in den Kasten gelegt. Da kann man sie nicht mehr bekommen.«
Aber Stineli ließ sich nicht so schnell entmutigen. »Vielleicht haben wir doch genug Geld, und die Großmutter gibt mir schon noch etwas«, sagte es tröstend. »Weißt du, Rico, eine Geige kostet nicht soviel; es ist doch nur altes Holz und vier Saiten darübergespannt, das kostet nicht viel. Du brauchst nur den Lehrer morgen zu fragen, was eine Geige kostet, und dann suchen wir eine.«
So blieb es ausgemacht, und Stineli dachte, es wolle daheim tun, was es nur könne, und ganz früh aufstehen und das Feuer anmachen, bevor nur die Mutter auf sei; denn wenn es so von früh bis spät immerfort etwas tat, steckte ihm die Großmutter gewöhnlich einen Pfennig in die Tasche.
Am folgenden Morgen, als die Schule aus war, ging Stineli allein hinaus. An der Ecke vom Schulhaus stand es still hinter dem Holzhaufen und wartete auf Rico, der jetzt den Lehrer wegen der Geige fragen sollte. Er kam lange nicht heraus und Stineli guckte immer wieder mit Ungeduld hinter dem Holze hervor, allein es waren nur die anderen Buben, die noch da und dort herumstanden. Aber jetzt – richtig, Rico kam um den Holzhaufen herum. Da war er.
»Was hat er gesagt, was kostet sie?« rief Stineli mit angehaltenem Atem vor Erwartung.
»Ich habe nicht fragen können«, antwortete Rico verzagt.
»Oh, wie schade!« sagte Stineli und stand verblüfft da, aber nicht lange. »Das bleibt sich gleich, Rico«, sagte es wieder fröhlich und nahm ihn zum Heimgehen bei der Hand, »du kannst dann morgen fragen. Ich habe auch schon wieder heute früh von der Großmutter einen Pfennig bekommen, weil ich schon auf war, als sie in die Küche kam.«
Nun ging es aber am folgenden Tage wieder genau so und am dritten auch. Rico blieb immer eine halbe Stunde lang vor der Wohnstube des Lehrers stehen und wagte nicht, hineinzugehen und seine Frage zu tun. Da dachte Stineli heimlich: Wenn er noch drei Tage lang nicht fragt, dann frag' ich. Aber am vierten Tage, als Rico wieder nachdenklich und zaghaft vor der Tür stand, ging diese plötzlich auf, und der Lehrer trat eilig heraus und stieß so gewaltig gegen den Rico an, daß das federleichte Büblein ein gutes Stück rückwärts flog. Voller Erstaunen und heftigem Unwillen stand der Lehrer da. »Was ist das, Rico?« fragte er jetzt, als der Kleine wieder am Platze stand. »Warum kommst du an die Tür und klopfst nicht an, wenn du etwas auszurichten hast? Wenn du aber nichts auszurichten hast, warum entfernst du dich nicht? Solltest du mir aber etwas zu berichten haben, so kannst du's gleich hier sagen. Was wolltest du?«
»Was kostet eine Geige?« stürzte Rico vor lauter Angst hastig hervor.
Des Lehrers mißbilligendes Erstaunen wuchs sichtlich. »Rico, was soll ich von dir denken?« fragte er mit strenger Miene. »Kommst du deshalb an die Tür deines Lehrers, um unnütze Fragen an ihn zu richten? Oder hast du eine Absicht? Was hast du damit sagen wollen?«
»Ich habe nichts sagen wollen«, entgegnete Rico schüchtern, »nur fragen, was eine Geige kostet.«
»Du hast mich nicht verstanden, Rico. Paß jetzt auf, was ich dir sage: Ein Mensch spricht etwas aus und denkt sich dabei einen Zweck; oder er denkt sich nichts dabei, das sind dann unnütze Worte. Nun paß auf, Rico: Hast du soeben diese Frage gemacht aus gar keinem Grunde oder aus Neugierde, oder hat dich jemand geschickt, der gern eine Geige anschaffen will?«
»Ich möchte gern eine kaufen«, sagte Rico ein wenig herzhafter; aber er erschrak sehr, als der Lehrer ihn mit einem Male voller Zorn anfuhr: »Was? Was sagst du da? So ein – verlorenes, unvernünftiges, welsches Büblein, wie du eins bist, eine Geige kaufen? Weißt du denn, was eine Geige ist? Weißt du, wie alt ich war und was ich gelernt hatte, bevor ich eine Geige anschaffen konnte? Lehrer war ich, fertiger Lehrer, zweiundzwanzig Jahre alt und stand in meinem Beruf! Und jetzt so ein Büblein, wie du es bist! Und jetzt will ich dir sagen, was eine Geige kostet, dann kannst du deinen Unverstand ermessen. Sechs harte Gulden habe ich dafür bezahlt; kannst du dir die Summe vorstellen? Wir wollen sie gleich einmal in Pfennige auflösen: Enthält ein Gulden 100 Pfennige, so enthalten sechs Gulden 6X100 – gleich? – gleich? – Nun, Rico, du bist doch sonst keiner von den Dummen – gleich?«
»Gleich 600 Pfennige«, ergänzte Rico leise, denn der Schreck versagte ihm die Stimme, als er die Summe überschaute und Stinelis zwölf Pfennige damit verglich.
»Und dann, Büblein«, fuhr der Lehrer weiter fort, »was denkst du dir? Meinst du, man nimmt eine Geige nur in die Hand und spielt? Da muß einer anders dran, bis er soweit ist. Komm gleich einmal hier herein« – und der Lehrer machte die Tür auf und nahm die Geige von der Wand. »Da, nimm sie einmal in den Arm und den Bogen in die Hand. So, Büblein, und wenn du mir nun c d e f herausbringst, so geb' ich dir gleich einen halben Gulden.« Rico hatte wirklich die Geige im Arm; seine Augen leuchteten wie Feuer auf. C d e f – spielte er fest und ganz richtig. »Du Erzblitzbub«, rief der Lehrer vor Bewunderung aus, »woher kannst du das? Wer hat dich's gelehrt? Wie kannst du die Töne finden?«
»Ich kann noch etwas, wenn ich's spielen darf«, sagte Rico und schaute voller Verlangen auf das Instrument in seinem Arm.
»Spiel's!« nickte der Lehrer. Jetzt spielte Rico voller Sicherheit und mit freudestrahlenden Augen:
»Ihr Schäflein hinunter
Von sonniger Höh',
Der Tag ging schon unter,
Für heute ade!«
Der Lehrer hatte sich auf einen Stuhl niedergelassen und die Brille aufgesetzt. Er schaute jetzt mit ernster Prüfung auf Ricos Finger, dann auf seine funkelnden Augen, dann wieder auf die Finger. Rico hatte fertiggespielt.
Der Lehrer rückte seinen Stuhl ins Licht, und Rico mußte sich gerade vor ihm aufstellen. »So, nun muß ich ein Wort mit dir reden. Dein Vater ist ein Italiener, Rico. Siehst du, dort unten gibt es allerhand Dinge, von denen wir hier in den Bergen nichts wissen. Nun sieh mir in die Augen und sag mir ehrlich und der Wahrheit gemäß: Wie bist du dazu gekommen, die Melodie ohne Fehler auf meiner Geige zu spielen?« Rico schaute den Lehrer mit ehrlichen Augen an und sagte: »Ich habe, sie Euch in der Singschule abgelernt, wo wir sie soviel singen.«
Diese Worte gaben der Sache eine ganz andere Wendung. Der Lehrer stand auf und ging einige Male hin und her. So war er selbst der Urheber dieses erstaunlichen Talentes, es waren also keine Schwarzkünste dabei im Spiel. Mit versöhntem Gemüt zog er jetzt einen Beutel hervor: »Da ist ein halber Gulden, Rico, er gehört dir mit Recht. Nun mach weiter so und sei recht aufmerksam beim Geigenspiel, solange du zur Schule gehst, dann kannst du's zu etwas bringen. In zwölf bis vierzehn Jahren wird es so weit sein, daß du dir auch eine Geige anschaffen kannst. Jetzt darfst du gehen.«
Rico warf noch einen Blick auf die Geige, dann ging er mit betrübtem Herzen davon.
Stineli kam hinter dem Holzstoß hervorgerannt: »Diesmal bist du aber lang geblieben, hast du gefragt?«
»Es ist alles umsonst«, sagte Rico, und seine Augenbrauen kamen vor Leid so nah zusammen, daß ein dicker, schwarzer Strich über den Augen war. »Eine Geige kostet sechshundert Pfennig, und in vierzehn Jahren kann ich eine kaufen, wenn schon lange alles tot ist. Wer sollte in vierzehn Jahren noch am Leben sein! Da, das kannst du haben, ich will's nicht.« Damit drückte er den halben Gulden in Stinelis Hand.
»Sechshundert Pfennig!« wiederholte Stineli voller Entsetzen. »Aber woher hast du das viele Geld hier?« Rico erzählte nun alles, wie es bei dem Lehrer gegangen war, und endete wieder mit den kummervollen Worten: »Jetzt ist alles verloren.«
Stineli wollte