Nun aber, ohne daß der Geist vorher etwas gesagt hätte, standen sie auf einer kahlen, öden Heide, wo riesige Felsblöcke umherlagerten, als wäre hier eine Grabstätte von Riesen. Wasser breitete sich aus, wo es wollte – oder würde es getan haben, wenn es der Frost nicht festhielt. Nur Moos und Ginster und hartes Gras. Tief im Westen hatte die untergehende Sonne einen Streifen feurigen Rots zurückgelassen, der einen Augenblick auf die öde Steppe leuchtete, wie ein dräuendes Auge, und immer tiefer und tiefer sank, bis er sich im Dunkel der schwärzesten Nacht verlor.
»Was für ein Ort ist das?« fragte Scrooge.
»Ein Ort, wo Bergleute leben, die in den Tiefen der Erde fronen«, antwortete der Geist. »Aber sie kennen mich. Sieh!«
Ein Licht leuchtete auf aus dem Fenster einer Hütte, und schnell bewegten sie sich darauf zu. Als sie durch die Wand aus Lehm und Steinresten hindurchgeschwebt waren, fanden sie eine vergnügte Gesellschaft um ein wärmendes Feuer sitzen. Ein alter, alter Mann und eine Greisin mit ihren Kindern und Kindeskindern, alle in festlichen Kleidern. Der alte Mann sang mit einer Stimme, die nur selten das Heulen des Sturmes auf der Einöde übertönte, ein Weihnachtslied; es war schon ein sehr alter Sang gewesen, als er noch ein Knabe war; und in bestimmten Zeiträumen sangen alle im Chor mit. Und jedesmal, wenn sie ihre Stimmen erhoben, wurde der Alte lustig und laut; und immer wenn sie aufhörten, sank seine Kraft wieder.
Der Geist blieb hier nicht lange, sondern befahl Scrooge, sich an seinem Gewand festzuhalten. Sie schwebten über die Heide; aber wohin? Doch nicht aufs Meer? Aufs Meer! Zu seinem Entsetzen sah Scrooge hinter sich auch das letzte Land, einen starren Felsengürtel, verschwinden, und sein Ohr wurde betäubt von der Brandung der Wogen, die in den grausigen Höhlen, die sie ausgenagt hatten, heulten, brüllten und wüteten und die Erde mit wildem Grimm zu unterhöhlen trachteten.
Auf einem einsamen, halb im Wasser versunkenen Riff, wohl eine Meile vom Land, stand ein Leuchtturm. Das ganze lange Jahr hindurch schäumten und tosten rundum die Wellen. Große Haufen von Seetang umschlangen sein Fundament, und Sturmvögel, geboren vom Winde, konnte man glauben, wie Seetang von den Wellen, hoben sich und flogen wieder um den Turm wie die wogenden Wellen drunten, ob denen sie segelten. –
Aber selbst hier hatten die zwei Männer, die den Leuchtturm bewachten, ein Feuer angezündet, das durch das Lugloch in der dicken, steinernen Mauer einen hellglänzenden Strahl auf das nächtliche Meer warf. Sie reichten sich die harten Hände über den Tisch hin, an dem sie saßen, wünschten sich eine fröhliche Weihnacht und stießen mit den Groggläsern an; und einer der beiden, der Ältere, mit einem Gesicht, das Wind und Wetter gebräunt und gefurcht hatten wie die Galionsfigur eines alten Schiffes, stimmte einen machtvollen Gesang an, der wie ein Sturmesrauschen schallte. –
Wieder schwebte der Geist über die dunkle, wallende See davon, immer weiter und weiter, bis sie, fern von jeder Küste, wie der Geist zu Scrooge sagte, auf einem Schiff sich niederließen. Sie standen neben dem Steuermann am Steuerrad, dem Ausluger im Mastkorb, neben den Offizieren, die Nachtdienst hatten. Wie dunkle, gespenstische Gestalten ragten diese auf ihrem Posten. Aber jeder von ihnen summte ein Weihnachtslied oder hatte einen Weihnachtsgedanken oder sprach leise mit den Kameraden von einem früheren Weihnachtsabend und heimatlichen Hoffnungen, die sich damit verbanden. Und jeder Mann an Bord, wachend oder schlafend, gut oder schlecht, hatte an diesem Tage ein freundlicheres Wort für seine Kameraden gehabt, als an jedem andern Tage des Jahres, und wenigstens einigermaßen das Fest gefeiert. Er hatte an die gedacht, die sich jetzt seiner in der Ferne erinnerten, und hatte gewußt, daß sie jetzt seiner liebevoll gedachten.
Es war eine große Überraschung für Scrooge, während er dem Stöhnen des Windes lauschte und nachsann, wie überwältigend es doch sei, durch die öde Nacht über einen unbekannten Schlund zu schiffen, dessen Geheimnisse so verborgen waren wie der Tod, – eine große Überraschung war es für Scrooge, sagte ich, plötzlich ein herzliches Lachen zu hören. Noch größer war Scrooges Überraschung, dieses als das Lachen seines eigenen Neffen wiederzuerkennen. Er stand im geräumigen, hellen, behaglich durchwärmten Raum, während der Geist an seiner Seite stand und mit beifälligem, freundlichem Lächeln auf diesen selben Neffen herniederschaute.
»Haha!« lachte Scrooges Neffe. »Hahaha!«
Wenn ihr durch einen unwahrscheinlichen Zufall das Glück haben solltet, einen Menschen kennenzulernen, der sich glücklicher fühlt, wenn er lacht, als Scrooges Neffe, so kann ich euch nur sagen, ich möchte ihn ebenfalls kennen. Stellt mich ihm vor, und ich werde mich um seine Freundschaft mühen.
Es ist doch eine anständige, ausgleichende und noble Einrichtung des Lebens, daß ebenso wie Krankheit und Kummer ansteckend sind, in der ganzen weiten Welt nichts so unwiderstehlich ansteckend wirkt wie Lachen und Fröhlichkeit.
Als Scrooges Neffe lachte und sich die Seiten hielt und mit dem Kopfe wackelte und die allermerkwürdigsten Gesichter machte, lachte auch dessen Frau, Scrooges angeheiratete Nichte, so herzlich wie er. Und die versammelten Freunde mischten sich ungezwungen und brüllend in den Lachchor.
»Haha! Haha! Haha!«
»Er sagte, Weihnachten wäre Quatsch, so wahr ich lebe«, rief Scrooges Neffe. »Er glaubt es auch.«
»Um so mehr mag er sich schämen, Fritz«, sagte Scrooges Nichte entrüstet. Gott segne die Frauen! Sie tun nie etwas halb. Sie sind immer ganz bei der Sache.
Sie war sehr hübsch, bemerkenswert hübsch. Sie hatte ein liebliches, erstaunt aufguckendes, eindrucksvolles Gesicht und einen frischen, kleinen Mund, der zum Küssen wie geschaffen schien – was er auch ohne Zweifel war; alle Arten holder, kleiner Grübchen um das Kinn, die ineinander flossen, wenn sie lachte; und das sonnigste Paar Augen, das man je in eines zierlichen Geschöpfes Köpfchen erblickte. Sie war fast, was man sonst keck nennen würde. Oh, entzückend keck und liebenswürdig zugleich!
»Es ist ein komischer, alter Knabe«, sagte Scrooges Neffe; »das ist wahr, und nicht so sympathisch, wie er sein könnte. Aber seine Fehler rächen sich an ihm selbst, und ich habe ihn nicht zu verurteilen.«
»Er mag sehr reich sein, Fritz«, meinte Scrooges Nichte. »Wenigstens sagst du es immer.«
»Was interessiert das uns, Liebe!« sagte Scrooges Neffe. »Sein Reichtum hat für ihn keinen Nutzen. Er tut nichts Gutes damit. Er gönnt sich ja selbst nicht einmal etwas Gutes. Er hat auch nicht das Vergnügen zu denken – hahaha –, daß er auf diese Art uns am Ende damit eine Freude machen wird.«
»Ich habe kein Mitgefühl mit ihm«, bemerkte Scrooges Nichte. Die Schwester von Scrooges Nichte und all die andern Damen waren der gleichen Ansicht.
»Oh, ich habe es«, sagte Scrooges Neffe. »Ich bedaure ihn; ich könnte nicht böse auf ihn werden, selbst wenn ich's wollte. Wer leidet unter seinen bösen Grillen? Er selber, sonst niemand. Jetzt hat er es sich in den Kopf gesetzt, uns nicht leiden zu können, und will auf unsere Einladung hin nicht zum Mittagessen kommen. Was ist die Folge? Er verliert viel an unserem Gastmahl.«
»Erlaube mal, er verliert ein sehr gutes Essen«, unterbrach ihn seine Frau. Die andern sagten dasselbe, und man mußte sie als kompetente Richter gelten lassen, weil sie eben das Hauptmahl verspeist hatten und jetzt mit dem Dessert beim Lampenlicht um den Kamin saßen.
»Nun, das freut mich zu hören«, sagte Scrooges Neffe, »weil ich kein großes Zutrauen zu diesen jungen Hausfrauen habe. Was meinst du dazu, Tropper?«
Man sah es deutlich, Tropper hatte ein Auge auf eine der Schwestern von Scrooges Nichte geworfen; darum antwortete er, daß er ein Junggeselle sei, ein unglücklicher, ausgestoßener Mensch, der kein Recht habe, eine Meinung über diesen Gegenstand auszusprechen. Bei diesen Worten wurde die Schwester von Scrooges Nichte – die Dicke mit dem Spitzenkragen, nicht die mit den Rosen im Haar – rot.
»Weiter, weiter, Fritz!« sagte Scrooges Nichte, in die Hände