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darf aber auch zur zugehörigen Geschichte gedacht werden.

      Christian Steinbacher

      

NOVA Storys Christian Günther

      

      Tino Falke: Im Bärental

      Wir sind sicher, wenn es einen neuen Appell gibt, werden wir es auch von unserem Revier aus bemerken. Trotzdem erhebt sich Pippi jeden Morgen und macht sich auf den Weg zur Anhöhe. Täglich trottet sie los, selbst in Regen- und Trockenzeiten. Selbst wenn es zu dunkel ist, um etwas zu sehen. Wenn wir eins nicht tun, dann aufgeben.

      Ich könnte ihr sagen, dass es nichts bringt. Dass die Reiter nicht zurückkommen und sie umsonst Ausschau hält. Aber wer weiß schon, ob das wirklich stimmt?

      Also folge ich ihr und sehe vom Fuß der Anhöhe mit an, wie sie sich in alle Richtungen umschaut. Im Nebel erkenne ich fast nur ihre Silhouette. Pippi gehört zu den größten Bären im Tal. Auf ihrem Rücken ragen die Reste eines Gefechtsturms in die Höhe. Fetzen alter Flaggen und Bänder wehen im Wind.

      Das Signal war nicht mehr zu hören, seitdem die Menschen den Dschungel verlassen haben. Seitdem der Krieg beendet ist. Dennoch kommt Pippi noch immer jeden Morgen hierher. Insgesamt hoffen wir alle, dass sie etwas sieht. Truppen, die zu einem der Stützpunkte zurückkehren. Rauchsäulen, wo bereits neue Kämpfe begonnen haben. Wir alle warten auf die nächste Schlacht, in der die Menschen uns brauchen.

      Ein Reiter ohne Bär ist immer noch ein Mensch. Ein Bär ohne Reiter ist nur ein Bär.

      Momo sagt, es könnte schlimmer sein. Sie sagt, vor dem letzten Frost hat sie am Fluss einen der Bären gesehen, die nicht mitkämpfen durften. Sein Fell hatte die Farbe von Sand und keine andere. Niemand hatte ihm Schriftzeichen eingebrannt oder mit Farben markiert, zu welcher Kompanie er gehört. Während meine Schwester ihn beobachtete, fing er einen Fisch. Dann legte er sich in die Sonne. Er hatte keinen Namen.

      An den Bewegungen der Baumkronen erkennt man, dass sich Pippi wieder unserem Revier nähert. Nach all den Jahren weiß sie, wie man durch den Wald manövriert, ohne mit dem Turm an Ästen hängen zu bleiben. Wo damals ein ganzer Trupp Schützen Platz hatte, findet man heute nur noch ein verlassenes Nest. In der Brutzeit wird sich die nächste Generation Vögel dort einnisten, wie jedes Jahr. Bis dahin wird sie weiter jeden Morgen zur selben Zeit auf die Anhöhe gehen.

      Selbst die Ankunft der neuen Menschen kann daran nichts ändern.

      Wir bemerken es sofort, als sie das Tal betreten. Die von uns, die noch riechen können, wittern das Metall ihrer Rüstungen. Das Feuer zum Schmieden primitiver Waffen. Alle Bären, ob in der Höhle oder davor, blicken in dieselbe Richtung. Zora sagt, wir sollten darauf warten, dass sie zu uns kommen, wie die ersten Menschen, die ins Tal kamen und uns mitgenommen haben. Lars sagt, wir sollten keine Zeit verlieren und uns so bald wie möglich auf den Weg machen, um sie zu uns zu holen. Wir müssen uns entscheiden, wem wir folgen wollen.

      Lars führt uns am Wasserfall und dem Denkmal vorbei. Er macht einen weiten Bogen um den Felsen, an dem die anderen Alphas gefallen sind und er den Pfeil abbekommen hat, der noch immer aus seinem Nacken ragt. Es gibt ein Lied über den Tag, an dem der Pfeilhagel den Himmel verdunkelte und wir glorreich den Hügeln gefallener Kameraden entstiegen, um ein letztes Mal dem Feind entgegen zu rauschen, doch niemand von uns gibt einen Ton von sich. Wir erreichen das Menschenlager vor der Dämmerung.

      Alle sehen, aber keiner sagt, dass das Zelt, das wir umzingeln, viel zu klein für eine ernst zu nehmende Armee ist. An der Feuerstelle wurden keine Waffen gefertigt. Der Metallgeruch scheint von dem Fahrzeug daneben zu stammen. Es gibt keine Banner. Aus dem Zelt hören wir Gelächter und Gesang.

      Um die Menschen herauszulocken, stimmen wir die Hymne unserer alten Kompanie an. Die erste Strophe ist noch nicht beendet, da treten vier Gestalten ins Freie. Zwei Ausgewachsene, zwei Junge, je eins männlich, eins weiblich. Sie schreien in einer Sprache, die wir nicht verstehen, und bewerfen uns mit Steinen. Michel ist der Einzige, der die Flucht ergreift. Wir Übrigen überzeugen uns davon, dass sich nicht noch weitere Menschen in der Nähe befinden, dann treiben wir die vier in Richtung Höhle. Nach ein paar erfolglosen Versuchen, durch unsere Reihen zu brechen und zu fliehen, geben sie sich geschlagen und kommen mit uns. Auf dem Weg finden wir auch Michel wieder, das Gesicht an einen Baum gepresst, die Krallen wund vom Zerfurchen der Rinde. Er spricht den Rest des Tages kein Wort mehr.

      Nach der Rückkehr werden die neuen Reiter sofort von unseren Jungen beschnuppert. Der Krieg war vorbei, bevor sie geboren wurden. Die meisten von ihnen kennen Menschen nur aus Erzählungen. Und von dem Denkmal am Wasserfall.

      Auf einer Plattform drehen sich vier rostige Säulen, angetrieben von der nahen Strömung, im Innern elektrisches Licht. In das Metall sind kleine Öffnungen gestanzt worden, geformt wie die Kämpfer und ihre Waffen. Auf einer sind Pfeile und Speere zu sehen, auf einer anderen die Wolkenwürmer und ihre brennenden Lichtbälle, die so oft die Nacht erhellten. Eine Säule zeigt die Umrisse von kolossalen Mechapanzern, in denen die Soldaten durch den Wald stampften. Die Letzte zeigt die mächtigen Bärenreiter. Sobald es dunkel genug ist, scheint es durch die Öffnungen auf die Fläche zwischen den rotierenden Säulen. Nacht für Nacht erzählen die kleinen Lichtgestalten die Geschichte des Krieges, laufen durcheinander, werden von kleinen Geschossen getroffen oder verfehlt, attackieren ihre Feinde oder laufen vor ihnen davon.

      Als unsere Jungen das Denkmal zum ersten Mal sahen, schnappten manche nach den leuchtenden Bildern, doch da war kein echter Krieg mehr, den sie beißen konnten. Es herrscht Frieden im Bärental. Trotzdem laufen manche von ihnen noch immer gern den Lichtgestalten nach.

      Wir bereiten den Menschen einen Schlafplatz im alten Gefechtsturm meiner Schwester, der am Rand des Reviers liegt. Seitdem sie einst im Frost gestürzt ist und die Halterungen sich gelöst haben, liegt er zwischen den Bäumen und verrottet. Momo sagt, es macht ihr nichts aus, doch manchmal verbringt sie den ganzen Tag damit, den alten Turm anzustarren, regungslos, stumm, so oft man sie auch anstößt.

      Auch die Menschen bewegen sich kaum. Mit Ehrfurcht bewundern sie unsere Bemalungen und Bänder. Als Pippi am Morgen verschwindet, blicken sie ihr nach und flüstern sich Laute des Erstaunens zu. Wir untersuchen die Tornister, die sie von ihrem Lager mitbringen durften, doch wir finden nichts von Wert. Ein kleiner Metallkasten, der kurz blitzt, wenn man einen Knopf drückt. Eine Flasche mit einer kleinen Sonne darauf und einer weißen Substanz darin. Eine Karte des Waldes, die wir nicht lesen können.

      Wir sprechen ihre Sprache nicht, also müssen wir sie auf anderen Wegen davon überzeugen, unsere neuen Reiter zu werden. Immer wieder legen wir uns vor ihnen hin, in der Hoffnung, dass sie auf unsere Rücken klettern. Wir kratzen Symbole in den Staub, doch sie verstehen nicht, was wir damit sagen wollen. Wir singen die Hymne, bis unsere Stimmen versagen.

      Zora sagt, wir sollten darauf warten, dass sie von selbst aufsteigen, und ein paar von uns stimmen ihr zu. Lars sagt, je eher die Menschen erkennen, dass sie Bärenreiter sind, umso eher können wir neue Siege erkämpfen. Er sagt, warten macht uns schlaff und stumpf, und auch ihm wird zugestimmt. Manche der Bären schauen rastlos von einem zum anderen.

      Zora war Alpha unseres Clans, lange bevor aus drei Clans eine Kompanie wurde und aus einer Kompanie das, was wir heute sind. Als die Menschen uns fingen und für die Schlacht trainierten, war es jedoch Lars, der auserwählt wurde, den obersten General zu tragen und die Truppen anzuführen. In seiner Flanke wurde das Fell geschoren und Farbe unter seine Haut gespritzt, sodass er für immer die Flagge unserer Seite zeigt. Mit Stolz trägt er seinen Helm und den Pfeil, der für seinen damaligen Reiter bestimmt gewesen war.

      Die neuen Menschen scheinen keinen der beiden zu bevorzugen. Auch nach Wochen halten sie sich fern. Wenn sich einer von uns ihrem Schlafplatz nähert, pressen sie sich aneinander, die Ausgewachsenen vorn, die Jungen dahinter. Wir bringen ihnen Fleisch und Wasser, doch sie werden immer dünner und blasser.