»Die Overland!« kam es krächzend über seine Lippen.
Im Norden stieg eine kleine fahle Staubwolke in das dunkle Blau des Himmels.
Die drei Spieler blickten kurz auf und setzten ihre Partie dann fort.
Schweigend verstrichen die Minuten, bis die Kutsche herankam.
Es war eine sehr alte Karre, mit vier schweißtriefenden Gäulen bespannt. Als die Staubwolke, die die Kutsche hochgewirbelt hatte, sich legte, sah Wyatt den Driver. Er drehte das Gesicht ab und rutschte vom Sitz drüben auf der anderen Seite des Wagens herunter.
Vielleicht hätte Wyatt argwöhnisch sein sollen?
Mißtrauischer!
Aber er hatte ja keinen Grund, mißtrauisch zu sein.
Um den Leuten Platz zu machen, die eventuell jetzt aus der Kutsche kamen, um ins Haus zu gehen, traten sie zur Seite, vor die Veranda, und in diesem Augenblick sausten zwei knackende Schläge über ihre Köpfe.
Was Holliday tat, konnte der Marshal nicht mehr beobachten, und auch das, was er tat, war eigentlich nur eine Reflexbewegung: Er riß den großen sechskantigen Revolver aus dem linken Halfter und wirbelte damit herum.
Wie aus weiter, weiter Ferne verspürte er noch einen Widerstand.
Dann umgab ihn tiefschwarze Dunkelheit.
*
Wieviel Zeit seitdem vergangen war, konnte der Missourier nicht genau bestimmen, als er die Augen wieder aufschlug.
Die Sonne stand hoch im Zenit und warf fast überhaupt keinen Schatten.
Links neben ihm lag der Spieler. Langausgestreckt, direkt vor den Planken des Vorbaues, leblos, wie tot.
Wyatt richtete sich etwas auf und sah sich um.
Drüben stand die Overland.
Ohne Pferde.
Und neben dem offenen Wagenschlag am Boden lag eine Frau.
Sie war tot; Wyatt sah es sofort an ihrem Blick.
Und der Tisch, an dem die drei Männer gesessen hatten, war leer.
Noch weiter wandte der Marshal seinen schmerzenden Schädel.
Aber auch von dem Stationsmaster war nichts mehr zu sehen.
Wyatt beugte sich über Doc Holliday und wandte ihn auf den Rücken.
Der Gambler hatte die Augen geschlossen.
Wyatt näherte seinen schwankenden Kopf dem Gesicht des Freundes, mühte sich, das Ohr vor die Nasen-Mundpartie zu bringen.
Der Georgier war nicht tot!
Das gab dem Missourier augenblicklich neuen Antrieb. Ächzend richtete er sich hoch und wollte zur Tränke gehen.
Phi! Gab das einen schmerzenden Stich durch den Hinterkopf. Alle Glieder schienen einzeln mit glühendem flüssigem Blei gefüllt zu sein, so schwer waren sie.
Dann stockte der Fuß des Marshals.
Die Pferde! Der Rapphengst und der Schecke! Sie waren verschwunden.
Wyatt tastete nach seinen Colts.
Weg!
Auch dem Gambler fehlten die beiden vernickelten elfenbeinbeschlagenen Sixguns, mit denen er meisterlich umzugehen verstand.
Mit torkelnden Schritten schleppte sich der Marshal zur Pferdetränke, zerrte den Hut vom Schädel und steckte den Kopf tief in das brackige Wasser.
Triefend zog er ihn wieder zurück – und fühlte sich etwas besser.
Dann füllte er seinen Zehngallonenhut mit dem Naß und schaukelte damit zu dem Spieler zurück.
Die lauwarme Dusche brachte Holliday sofort wieder zu sich.
Mit einem Ruck setzte er sich auf, tastete über seinen Schädel, dann über sein nasses Gesicht und blickte von seinen leeren Halftern hoch in das Gesicht seines Begleiters.
Er sah den nassen Hut noch in Wyatts Händen, und die Worte, die er dann sagte, waren typisch für ihn:
»Schade um das schöne weiße Hemd. Ich hätte es noch ein paar Tage tragen können.«
Dann erhob auch er sich und sah sich um.
Mit hölzernen, staksigen Schritten ging er auf die Frau zu. Es kostete ihn ungeheure Anstrengungen, neben ihr niederzuknien.
Wyatt, der breitbeinig und mit dröhnendem Schädel vorn vor dem Tisch im Sand stand, beobachtete, wie der Spieler die Augenlider der Frau schloß und sich dann mühsam wieder aufrichtete und erneut einen Blick in die Umgebung schickte.
»Weg, alles weg!«
Er kam zu Wyatt zurück und ließ sich auf einen der Hocker vor dem Tisch nieder.
Der Marshal ging ins Haus und kam bald wieder zurück.
»Wie ausgebrannt.«
Holliday nickte. Er hielt dem Freund einen Papierfetzen entgegen.
Wyatt sah auf ein Wort darauf:
Shenandoah.
Eine steile Falte grub sich in die braune Stirn des Missouriers.
»Wo kommt das her?«
»Es lag hier unten neben dem Tischbein und ist offensichtlich von einer Zeitung gerissen worden.«
Wyatt wischte sich über die Augen. Dann sah er zu der Toten hinüber.
»Ob sie in der Overland war?«
»Anzunehmen.«
Es war wieder eine Weile still.
Endlich machte sich der Marshal an einen Rundgang um die kleine Pferdewechselstation.
»Kein Hufeisen mehr, stimmt’s?« empfing ihn der Spieler.
Der Marshal nickte trübe.
»Sie haben die Gäule alle mitgenommen.«
Wyatt ließ sich auf der Verandakante nieder. Ohne den Georgier anzusehen, fragte er:
»Und Ihre Brieftasche?«
»Weg.«
Der Marshal lachte heiser auf.
»Ich hatte nicht viel bei mir.«
Holliday zündete sich eine neue Zigarette an.
Da stand Wyatt auf und ging um das Haus herum. Nach einer Weile kam er mit einer Schaufel zurück.
»Wir müssen sie unter die Erde bringen.«
Unweit vom Haus hoben die beiden Überfallenen eine Grube aus, in die sie die Tote betteten.
Als die unglückliche Frau in der Erde lag, meinte der Spieler:
»Sie war noch jung.«
Die Fäuste des Marshals ballten sich.
»Ja.«
Sie gingen in das Haus zurück und unterzogen es einer nochmaligen eingehenden Untersuchung.
Ohne jeden Erfolg. Die Männer, die den Überfall hier vorgenommen hatten, waren wirklich sehr gründlich gewesen und hatten nicht die geringste Spur hinterlassen.
Die beiden Dodger standen hinten am Corral, und Holliday beobachtete den Marshal von der Seite.
»Was haben Sie vor?«
»Ich habe mir die Spuren angesehen. Sie führen zurück nach Norden.«
»Und?«
»Wir haben keine Pferde.«
»Selbst für einen Reiter wären es noch ein paar Stunden gewesen. Wir schaffen es heute nicht mehr.«
Sie