Ich wusste nicht, dass er es konnte. Wir gingen. In einer kleinen Bar auf der Hauptstraße sang eine alte Frau einen alten Salsa-Song. Mein Vater bestellte zwei Mojitos, wir tranken sie so schnell wie Wasser und gingen zu den Tanzenden. Das Vorwärts und das Rückwärts konnte er. Ich auch. Doch unsere Drehungen waren falsch. Ich lachte und er lachte.
In dieser Nacht fehlten die Stimmen auf dem Flur. Am Morgen klopfte ich an seine Tür. Er hatte müde Augen. Wir brauchten beide Kaffee, gingen runter in die Bar. Antoni saß an der Theke so wie immer. Er trank am Morgen schon Tequila, denn die Frau neben ihm trank auch Tequila. Die Frau war Shelly. Ihre Finger mit den blauen Plastiknägeln lagen jetzt auf seinem Knie. Er sang etwas auf Spanisch. Sie schüttelte zu seinem Lied die Schultern. Mein Bauch zog sich zusammen. Sie war doppelt so alt wie Antoni und etwas jünger als mein Vater. Ich sah, wie er zu Antoni und Shelly schaute.
»Was willst du? Einen Cappuccino?«, fragte er dann in meine Richtung.
»Ja«, sagte ich.
»Ich gehe. Setz dich schon mal.« Er zeigte auf einen leeren Tisch.
Ich setzte mich. Mein Vater ging zu Shelly. Er sagte etwas. Ich konnte es aus der Entfernung nicht verstehen. Ich sah, wie Shelly mit der rechten Hand in seine Richtung fuhr. Es war eine unfreundliche Bewegung. Mein Vater sagte darauf nichts mehr, holte zwei Kaffee, setzte sich zu mir.
»Wie geht es Shelly?«, fragte ich.
»Gut.«
»Warum setzt sie sich nicht zu uns?«
Er schwieg. Ich wusste nicht, was ich ihm sagen sollte. Die Wahrheit über Antoni? Ich sagte nichts. Und alles wurde so, wie es am Anfang war. Wir schwiegen jeden Tag. Tranken Kaffee am Morgen. Das Zuckerrohr warf er jetzt wieder in den Aschenbecher. Am Strand las er in seinem Buch, ich schlief. Wir gingen nacheinander schwimmen. Auch abends redeten wir nicht.
Am letzten Tag, mein Vater war schon in das Restaurant gegangen, wollte ich kurz aufs Zimmer, Zigaretten holen. Dann sah ich Shelly auf dem Flur. Sie schob einen Zettel unter die Tür des Zimmers neben meinem. Sie sah mich, aber sagte nichts, nicht mal ein »Hallo«, ging zum Fahrstuhl. Die Sache mit dem Zettel hatte ich im Restaurant wieder vergessen. Nach einem Fisch und zwei Desserts ging ich aufs Zimmer. Ich wollte nicht mehr in die Bar, wollte das Schweigen mit meinem Vater nicht. Ich schaute Fernsehen auf Spanisch. Es ging um eine Krankenschwester, die immer weinte, warum, verstand ich nicht und schlief schnell ein. Ich wachte mitten in der Nacht auf, dachte kurz an den Zettel, schlief wieder ein. Im Traum sah ich das Stück Papier, sah Shelly und meinen Vater, sie küssten sich, sie lachten, saßen in einem Haus im Schnee, vielleicht war es in Kanada. Ein Kind spielte im zugeschneiten, weißen Garten, ein Junge, fünf Jahre oder sechs. Mein Vater rief ihn ins Haus zurück und küsste seine Stirn. Ich spielte danach Fangen mit ihm, es war mein neuer Bruder. Dann klingelte mein Telefon. Auf dem Display leuchtete eine Nachricht. »Deine Mutter« stand da – und eine unbekannte Nummer schrieb mir, dass sie tot war.
Ich wachte auf, alles war nass, der Körper, das Kissen und das Laken auch. Ich griff mein Telefon, schaute auf meine Nachrichten. Nichts. Ich zitterte und konnte nicht mehr einschlafen. Am Morgen klopfte es an meiner Tür. Mein Vater. Er sah nicht aus wie jemand, der seine Frau verlassen hatte, der glücklich war mit einer neuen. Und ich umarmte ihn. Er hatte einen Umschlag mit Geld in seiner Hand und fragte, wie viel ich hatte. Ich holte alle Scheine aus dem Safe, er nahm sie und schob sie ins Kuvert. Mein Vater sagte, dass er es mir in Deutschland wieder überweisen würde. Auf dem Umschlag stand: »Shelly«.
»Ist was mit Shelly?«, sagte ich.
»Sie hat Schulden.«
»Was für Schulden? Will er ihr Geld?«
Mein Vater antwortete nicht, fragte: »Hast du gepackt?«, und sagte dann, dass unser Bus zum Flughafen in einer Stunde fahren würde. Er ging. Ich hatte meinen Traum noch nicht vergessen, dachte an Antoni und Shelly, und ich war glücklich und erleichtert, tanzte mit jedem Kleid zum Koffer, zu der Musik des Salsa-Wettbewerbs, der jetzt im Hintergrund im Fernsehen lief. Nach einer Stunde kam mein Vater wieder. Wir rollten unsere Koffer zum Empfang. Den Umschlag ließ er da. Und dann verließ der Bus die Stadt am Strand.
»Hast du sie heute angerufen? Wie geht es ihr?«, fragte ich ihn im Flugzeug.
»Ja, alles okay. Sie wartet schon auf uns und kocht.«
»Das Sauerkraut mit Fleisch in Teigtaschen?« Es war sein Lieblingsessen.
»Ja«, sagte er.
Ich lächelte. Wir schwiegen.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.