Legendäre Frauen. Barbara Beck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Barbara Beck
Издательство: Bookwire
Серия: marixwissen
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783843806367
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darf diese Stadt nur in der Not verlassen und nicht, solange dort, wenn Gott es will, Gesundheit herrscht; und da es keinen Ortswechsel geben darf, und sei er noch so unbedeutend, weil dies unseren Interessen zuwiderliefe, soll sie für die ganze Zeit an diesem Ort verweilen, solange sie nicht in Gefahr ist, und daher empfehle und befehle ich, dass diese Stadt bewacht werde; wenn jedoch die Notwendigkeit besteht und kein Mittel mehr fruchtet, dann sollt Ihr die Königin, meine Herrin, in das Kloster San Pablo de la Moraleja bringen“11.

      Johanna nutzte nicht die Gelegenheit, die sich ihr durch den Aufstand der Comuneros von Kastilien 1520 bot, um ihre eigenen Machtansprüche durchzusetzen und ihre Freiheit zurückzuerhalten. Karl V. hielt sich zu diesem Zeitpunkt in Brüssel auf. Die Stadtgemeinden, die sich gegen ihn erhoben, waren mit der Politik des jungen Kaisers unzufrieden, den sie als Fremdling empfanden. Sie forderten, dass er von Spanien aus regiere. Missfallen hatte außerdem erregt, dass zahlreiche Niederländer aus dem Gefolge Karls Schlüsselpositionen in Spanien bekleideten. Die Bereicherung von Karls Günstlingen zu Lasten der vereinigten spanischen Reiche löste ebenfalls Unzufriedenheit aus. Als die Rebellen Ende August 1520 Tordesillas besetzt hatten, empfing Johanna die führenden Offiziere des Heeres der verbündeten Städte. Die Offiziere berichteten darüber an die zivilen Anführer des Aufstandes: „Wir sind in Tordesillas angekommen, und Ihre Hoheit hat uns sehr aufgeweckt empfangen und ausführlicher mit uns gesprochen, als man es jemals in sieben Jahren bei ihr wahrgenommen hat, nach dem zu urteilen, was ihr Personal uns diesbezüglich erzählt hat. Wir haben viele Angelegenheiten mit Ihrer Hoheit besprochen, und sie hat uns freundlich auf alles geantwortet“12. Johanna lehnte es aber ab, ihr Amt als Königin tatsächlich nach so langer Abkehr vom aktiven Leben wieder anzutreten und den Aufstand wirksam zu unterstützen, wodurch sie die Handlungen und Beschlüsse des Städtebundes legalisiert hätte. Sie scheute eine offene Rebellion. Stets zögerte sie ihre Unterschrift hinaus. Nachdem im Dezember 1520 Regierungstruppen Tordesillas zurückerobert hatten, setzte Johanna ihr Leben als einsame Gefangene fort. Der Aufstand, der sich zu einem Bürgerkrieg ausgeweitet hatte, scheiterte, nachdem die Rebellen am 23. April 1521 in der Schlacht von Villalar besiegt wurden. Hunderte von Anhängern des Städtebundes wurden auf dem Schafott hingerichtet.

      Nach dieser kurzen Rückkehr auf die politische Bühne verbrachte Johanna die Wahnsinnige ihre ihr noch verbleibenden fünfunddreißig Lebensjahre in einer Art Dämmerzustand. Von ihrem Personal wurde sie dabei oft mit Geringschätzung behandelt und schikaniert. Manchmal kam es sogar zu Misshandlungen an der hilflosen Frau. Am 12. April 1555, an Karfreitag, wurde die Königin in Tordesillas durch den Tod erlöst. Ihre letzten Worte lauteten: „Der Gekreuzigte Jesus Christus stehe mir bei“13. Sie wurde neben ihrem über alles geliebten Ehemann Philipp im Dom von Granada beigesetzt. Erst mit ihrem Tod wurde Kaiser Karl V. offiziell alleiniger Herrscher von Kastilien.

      Königin Johanna die Wahnsinnige, die den habsburgischen Aufstieg zur Weltmacht ermöglicht hatte, zeigte sicher bereits in jungen Jahren Ansätze zur Schizophrenie, aber erst der gnadenlose Machtkampf in ihrem engsten Umfeld sorgte dafür, dass ihre Krankheit voll zum Ausbruch kam. Durch die unwürdige und rücksichtslose Behandlung Johannas verschlechterte sich ihr Gemütszustand dramatisch. Zweifellos war sie durch ihre Großmutter mütterlicherseits, Isabella von Portugal, die an einer geistigen Störung mit Wahnanfällen litt, erblich belastet. Im Grunde konnte es ihrem Ehemann, ihrem Vater und ihrem Sohn nur recht sein, dass man sie mit dem Hinweis, dass sie verrückt und damit nicht regierungsfähig sei, aus dem Weg räumen konnte. Aus politischem Ehrgeiz sorgten sie dafür, dass Johanna als ernstlicher geisteskrank erschien als sie wohl war. Dass ihr dies durchaus bewusst war, dafür spricht jene Szene bei einem Besuch Karls V. in Tordesillas, die von einem Chronisten überliefert ist: „Einmal, als dieser das Geschmeide, kostbare Steine und Perlen, aus ihrem Besitz wegen Geldverlegenheit weggenommen und dafür etwas anderes in die Kästchen gelegt hatte, sagte sie ihm, als er zu Besuch gekommen war: ‚Ist es nicht genug, daß ich dich regieren lasse? Mußt du auch noch mein Haus leer stehlen?‘“14

      ANMERKUNGEN

      1Zit. nach Johan Brouwer, Johanna die Wahnsinnige. Ein tragisches Leben in bewegter Zeit, München 1978, S. 16.

      2Zit. nach Manuel Fernández Álvarez, Johanna die Wahnsinnige. 1479-1555. Königin und Gefangene, München 2008, S. 43.

      3Zit. nach Ebd., S. 43f.

      4Zit. nach Ebd., S. 72.

      5Zit. nach Brouwer, Johanna die Wahnsinnige, S. 33.

      6Zit. nach Fernández Álvarez, Johanna die Wahnsinnige, S. 86.

      7Zit. nach Dorothy Gies McGuigan, Familie Habsburg. 1273-1918, 2. Aufl., Bergisch Gladbach 1989, S. 80.

      8Zit. nach Fernández Álvarez, Johanna die Wahnsinnige, S. 90f.

      9Zit. nach Brouwer, Johanna die Wahnsinnige, S. 101.

      10Zit. nach Ursula Tamussino, Margarete von Österreich. Diplomatin der Renaissance, Graz, Wien, Köln 1995, S. 199.

      11Zit. nach Fernández Álvarez, Johanna die Wahnsinnige, S. 156.

      12Zit. nach Brouwer, Johanna die Wahnsinnige, S. 161.

      13Zit. nach Fernández Álvarez, Johanna die Wahnsinnige, S. 206.

      14Zit. nach Brouwer, Johanna die Wahnsinnige, S. 193.

      DES EHEBRUCHS VERDÄCHTIGT

      ANNA BOLEYN

      Am Morgen des 19. Mai 1536 schritt Anna Boleyn in der Begleitung von vier Damen vom Towergebäude zur Hinrichtungsstätte auf dem Towerrasen. Unter einem Hermelinmantel trug sie ein loses Gewand aus dunkelgrauem pelzverbrämten Damast sowie einen karmesinroten Unterrock. Eine Kappe aus weißem Leinen bedeckte ihr Haar unter der Haube. Auf das in beschränkter Zahl zugelassene Publikum machte die zweite Gemahlin von König Heinrich VIII. von England einen gefassten und würdevollen Eindruck. Sie sah laut einem Augenzeugen „so frohgemut aus, als ginge sie gar nicht in den Tod“1. Für diese Hinrichtung hatte der Monarch eigens für vierundzwanzig Pfund einen Henker aus der Region Calais kommen lassen, der einen hervorragenden Ruf für Enthauptungen mit dem Schwert genoss. Offensichtlich lag Heinrich VIII. immerhin daran, dass seine von ihm auf das Schafott geschickte Ehefrau nicht unnötig leiden musste.

      Bevor sich Anna Boleyn zur Hinrichtung niederkniete, durfte sie noch eine kurze Abschiedsrede halten: „Ihr Herren, ich unterwerfe mich hier demütig dem Gesetz, da das Gesetz mich verurteilt hat, und was meine Verbrechen angeht, beschuldige ich keinen Menschen. Gott kennt sie; ich empfehle sie Gott und flehe Ihn an, Erbarmen mit meiner Seele zu haben.“ Danach rief sie noch Gott an, er solle den König schützen, „den besten, edelsten und mildesten Fürsten, den es gibt“2. Derartige Loyalitätsbekundungen ausgerechnet für den Mann, der sie wegen angeblichen Ehebruchs und Hochverrats zum Tode verurteilen ließ, muten heutzutage höchst sonderbar an, doch kam derartiges Verhalten im 16. Jahrhundert nicht selten vor, da der Herrscher als „Quelle der Ehre“ betrachtet wurde. Nach diesen erschütternden Worten kniete sich Anna Boleyn nieder, ließ sich die Augen verbinden und wurde mit einem Streich geköpft.

      Anna Boleyn, die zweite der insgesamt sechs Ehefrauen von König Heinrich VIII. von England, ist in die Geschichte nicht nur als die Mutter der englischen Königin Elisabeth I., einer der machtvollsten Herrscherinnen Europas, eingegangen, sondern spielt auch für die Trennung der Anglikanischen Kirche von Rom eine bedeutende Rolle. Ihr Geburtsdatum ist allerdings ebenso wenig bekannt wie ihr Geburtsort. Entweder wurde sie um 1501 oder 1507 wohl in Blickling Hall in Norfolk geboren. Ihr Vater Sir Thomas Boleyn, der als Diplomat Karriere machte, entstammte einer reichen Kaufmannsfamilie, die in den Adel aufgestiegen war. Ihre Mutter Elisabeth Howard gehörte der englischen Hocharistokratie an. Sir Thomas Boleyn sorgte dafür, dass seine begabte und vielversprechende Tochter Anna eine ausgezeichnete Erziehung am Hof der Statthalterin der Niederlande, Margarete von Österreich, erhielt. Danach kam sie als Hofdame an den französischen Königshof, wo sich bereits ihre ältere Schwester Maria aufhielt. Anna konnte hier ihre Kenntnisse in französischer