Corno d‘Acquilio, von Fosse (Sant‘Anna d’Alfaedo) aus gesehen, 1863 (Lehner 1920)
Einen Urlaub vom Heeresdienst im Jahre 1863 nutzte er, jetzt in Venedig stationiert, erstmals zu größeren alpinen Unternehmungen. Am 14. September 1863 bestieg Payer von Kals aus, in Begleitung der Führer Joseph Schnell nebst Hund und Peter Hutter, nach einer schwierigen Bergwanderung den Gipfel des Großglockners (3798 m). Er wählte eine außergewöhnliche Route, die mit einigen Schwierigkeiten verbunden war. Im selben Jahr bestieg er den Großvenediger (3662 m) und den Ahrnerkopf (3051 m). Die Laufbahn des Alpinisten Julius Payer hatte begonnen.
Nach erfolgter Großglocknerbesteigung wandte sich Payer durchaus unbescheiden an August Petermann (1822–1878), den führenden Geografen seiner Zeit. Petermann hatte 1855 eine eigene Zeitschrift, die „Mittheilungen aus Justus Perthes geographischer Anstalt über wichtige neue Erforschungen auf dem Gesammtgebiete der Geographie“, kurz „Petermanns Geographische Mittheilungen“ (PGM), begründet. Sofort stieg die Publikation zur bedeutendsten geografischen Zeitschrift der Welt auf. Petermanns besondere Anliegen waren die Erforschung Afrikas und der Polargebiete. Es sprach für Payers publizistischen Ehrgeiz, seine Beschreibungen ausgerechnet an dieser Stelle gedruckt sehen zu wollen. Petermann nahm das Ansinnen an. Er konnte offenbar in den textlichen Schilderungen und den topografischen Leistungen des 22-jährigen Leutnants der Infanterie das Potential für eine künftige Bergsteigerlegende erkennen.
Großglockner mit Besteigungsroute (PGM 1864)
Detailzeichnung der Glocknerspitze (PGM 1864)
Großvenediger, Bleistiftskizze 1863 (Steinitzer 1924)
Payers Erstlingsaufsatz trägt den Titel: „Eine Besteigung des Gross-Glockner von Kals aus, im September 1863“. Er erschien im Umfang von elf zweispaltig bedruckten Seiten in den „Geographischen Mittheilungen“ des Jahres 1864. Zum Aufsatz gehörte eine Tafel mit fünf Ansichten und einem Übersichtskärtchen. Damit befand sich Payer bereits auf dem Olymp der geografischen Publizistik. Denn in dieser Zeitschrift waren auch epochale Entdeckungen wie die Erreichung Timbuktus durch Heinrich Barth oder die Entdeckung des Victoria-Sees durch John Speke erstmals publizistisch aufgearbeitet worden. Auch Payer sollte binnen eines Jahrzehnts eine Vielzahl von Berichten über die Entdeckung neuer Berge, Länder und Meere in der angesehenen Zeitschrift unterbringen.
Voller Dankbarkeit nannte Julius Payer später August Petermann seinen „Civil-Protektor“, neben seinem militärischen Protektor General Kuhn. Petermann öffnete ihm die Tür zur wissenschaftlichen Geografie. Er druckte wohlwollend alle weiteren alpinen Ergebnisse und Beobachtungen seines Schützlings. Und Petermann war es auch, der Payer 1868 die Teilnahme an einer arktischen Expedition vermittelte: ein für das Leben Payers bedeutendes Ereignis. In seinen späteren Jahren wies Payer immer wieder darauf hin, dass er seine alpinen und polaren Erfolge maßgeblich, wenn nicht ausschließlich, seinen beiden Protektoren Petermann und Kuhn zu verdanken habe. Payer war auf seine Leistung im Gebiet der Glocknergruppe mehr als nur stolz. Entsprechend begann er seinen Aufsatz weit ausholend und mit pompösen Worten:
Dreiherrnspitze vom Ahrner Kopf, Bleistiftskizze auf Sepiapapier mit weißer Lasierung 1863 (Lehner 1924)
„Allen Hindernissen trotzend treibt der Forschungs- und Wissenschaftsdrang den Menschen in immer neue unbekannte Gebiete unseres Erdballs; bald wird es keinen undurchsuchten Winkel der Meere und Länder mehr geben. Unbefriedigt, nur etwas und nicht alles zu wissen, durchschifft der kühne Seefahrer die Polar-Meere, durchzieht der Reisende die brennenden Wüsten Afrika’s wie die endlosen Urwälder Amerika’s, besteigt die höchsten Gebirge, um entweder durch die Krater in die Eingeweide der Erde zu blicken oder auf Gletscher-Wanderungen der Natur ihre Geheimnisse abzulauschen und aus dem Baue und der Beschaffenheit der kolossalen Erdgerüste die Art ihrer Entstehung und Bildung, überhaupt das ‚Werden‘ zu errathen. Und überall, wohin die Märtyrer der Wissenschaft die Pfade getreten, folgen die anderen nach, diesen und nicht jenen fällt der Nutzen in den Schooss.“
August Petermann, Initiator der deutsch-österreichischen Polar-Expeditionen (Holzstich F. Berger)
Dieser Auftakt von Payers wissenschaftlicher Publizistik beschreibt sein persönliches Programm. Er wollte noch verbliebene neue Gebiete der Erde entdecken, bevor es keine mehr gab. Im Kopf saß unverrückbar John Franklin, das Idol seiner Jugendlektüre. Aber voran stand das Näherliegende, die Besteigung hoher Berge und Wanderungen über die Gletscher. Es sollte sich zeigen, dass bei Payer die Durchschiffung der Polarmeere der Erforschung eines Alpengebietes folgte.
Im Anschluss auf seine ambitionierte Einleitung kam Payer auf die Schönheit der Alpen im Allgemeinen zu sprechen, um schließlich beim Gegenstand seines Aufsatzes, der Großglockner-Gruppe, anzukommen. Payers gute und genaue Schilderung beginnt mit einem geografischen Überblick des gesamten Glocknerstocks. Er erörterte die Geologie dieses Alpenteils und beschrieb die verschiedenen Routen auf den Gipfel. Seinen eigenen Aufstieg schilderte er lebhaft und plastisch, ja geradezu packend und sprachlich anschaulich. Dieser Bericht und die Skizzen dürften August Petermann gefallen haben, der in Payer den guten Zeichner und Topografen erkannte. Hinzu kam sein lebhafter literarischer Stil. Petermann ermutigte den jungen Leutnant, sich noch intensiver der Erforschung der Hochalpen zu widmen (Müller 1956, S. 3f.). Petermanns vielfach erprobte Motivationskunst brachte es auch in diesem Fall zustande, dem zukünftigen großen Entdecker alpiner Gipfel und polarer Landschaften den Weg zu weisen.
KAPITEL 3
ADAMELLO UND PRESANELLA (1864 UND 1868)
PAYERS ERSTE KARTIERUNGSKAMPAGNE 1864
Vor seinem Aufenthalt im Glocknergebiet hatte Payer im April 1863 eine Wanderung durch das Val Genova unternommen. Weit kam er nicht, weil abgegangene Lawinen das Tal an mehreren Stellen versperrten. Im folgenden Jahr untersuchte Payer die Adamello- und die Presanella-Gruppe. Diese beiden Gebirgsmassive werden durch das Val Genova getrennt, in dem die Sarca fließt. Das gesamte Gebiet war generell wenig erforscht und auch kartografisch kaum erfasst. Die höheren Regionen wurden von der örtlichen Bevölkerung weitgehend gemieden, da sich dort nur unwirtliches Land befand. Die Namengebung war widersprüchlich und steckte noch in den Anfängen. Viele Pässe und Gipfel trugen bis zu diesem Zeitpunkt keine Bezeichnungen und waren teilweise nie begangen worden.
Die ersten Schritte zur Erschließung unternahmen Anton von Ruthner, Carl Sonklar von Innstädten, John Ball und Albert Wachtler, etwa zeitgleich mit Payer, in den Jahren 1862 bis 1864. Wenige Tage vor Payer gelang Douglas William Freshfield die Erstbesteigung der Presanella. Doch die gründliche und systematische Beschreibung und Erforschung dieses schönen Ostalpengebiets blieb Payer vorbehalten, der dabei zahlreiche Erstbesteigungen durchführte. Es war überhaupt nur ein einziger einheimischer Bauer und Jäger namens Gerolamo Botteri (1812–1887), ein großer Mann von 50 Jahren, in der Lage, Payer Orientierung und Führung zu bieten. Und auch dieser war störrisch und eigenwillig wie so viele Begleiter in diesem Gebiet. Als Arbeitsmaterial verfügte Payer tatsächlich nur über einen Kompass und einfache Winkelmesser. Seil und Eisaxt standen nicht zur Verfügung, die fehlende Ausrüstung ersetzte Payer durch Mut und Tatkraft. Die Höhen schätzte er zunächst nur ein.
Die Gletscherlandschaft des Adamello übte auf Payer eine besondere Faszination aus. Die Gletscher lagen wie eine Polarlandschaft mit völliger