Sie vergißt die Kränkung. Vergißt alles Trennende. Fühlt nur eine hingebende Zärtlichkeit und alle Liebe, deren sie fähig ist. Weiß wieder, daß dort der einzige Mann sitzt, den sie sich ebenbürtig und überlegen gefunden hat.
Als sie schweigt und leise die Saiten nachhallen läßt, hebt er ganz langsam den Kopf.
»Von wem ist das Lied?« Immer will er wissen und lernen.
»Von dem Pharao Imhotep. Er bestieg den Thron etwa zweitausendzweihundertfünfzig Jahre vor der Gründung Roms.«
»Traurig ist sein Lied«, sinnt er vor sich hin.
Da wirft sie die Laute hin, breitet ihm die Arme entgegen und jubelt zukunftssicher: »Nein, voller Lebensinbrunst ist es, mein König der Welt.«
IV.
Am folgenden Morgen nimmt Kleopatra ein Bad. Gedämpftes Licht fällt bläulichrot durch die bunten Scheiben des Fensters in das Badezimmer. Weich ausgestreckt liegt sie in der warmen, duftenden Flut, hat das Kinn gegen die Brust gepreßt und betrachtet prüfend den kleinen Körper.
Ich habe ja einen Bauch, denkt sie erschreckt, und streicht über den kaum gewölbten Leib. Die Haut hat den seidigen Glanz alten Elfenbeins. Mehr turnen! Mehr gymnastische Übungen, beschließt sie. Gleich anfangen, sofort nach dem Bade. Und Eiras muß schärfer massieren. Sie befühlt ängstlich die Brüste. Nein, die sind fest und hart – ganz jungfräulich, und füllen mit ihrem glatten spitzen Kegel grade ihre kleinen Handhöhlungen. Kein Mal ist an ihrem Leibe, kein Zeichen der Mutterschaft. Die Kunst der ägyptischen Ärzte ist groß, größer noch Kleopatras Geduld und verbissener Eifer, ihren kleinen ebenmäßigen Körper in seiner schimmernden jungen Makellosigkeit zu erhalten.
Ungestüm will sie sofort einen Plan erweiterter Leibesübungen entwerfen und festlegen. Sie ruft Charmion, Eiras. Da stürmt die Griechin schon herein. Schwenkt triumphierend ein kleines Bündelchen. Man kennt unter den Vertrauten die Holztäfelchen, die Cäsars Briefe bergen. Oft schickt er sie in plötzlicher Laune, jäher Notwendigkeit.
»Gib her – gib rasch her!« Die Königin streckt den schlanken muskelkräftigen Arm aus der Wanne. Wasserperlen rieseln nieder. Charmion bastelt an der grünen Schnur, die versiegelt die Täfelchen zusammenhält. Kleopatras Hand fingert ungeduldig, nervös, gierig. Sie fühlt bis ins Mark und ins Herz, der Brief bringt Gutes. Ein Fluidum geht von ihm aus. Plötzlich ist in ihrer Brust etwas von der Lust, dem staunenvollen Frohsinn, der sie entzückt und emporgetragen hat in den ersten glücksquellenden Tagen ihrer Liebe zu Gajus Cäsar. In dem Briefe brennt unerwartet Gutes! Her damit – her damit!
Sie drängt, sie treibt. Ihre Hast hetzt die geschickten Finger der Griechin zu Mißgeschick. Jetzt haben die Schnüre sich zu einem Knoten verwirrt. »Zerreiß das Band!« Es knallt auf. Mit feuchten Fingern klappt die Königin die Täfelchen auseinander. Liest die kühne herrische Schrift auf dem schwarzen Wachse. Ihr Herz klopft so heftig, daß Charmion seinen Schlag gegen die nasse Brust pochen sieht.
Dann schlägt Kleopatra die Täfelchen zusammen. Das Holz ist feucht durchtränkt von ihren Fingern. Sie reicht es Charmion, »leg es auf das Tischchen dort« – und springt, einen Wasserschwall mit sich reißend, aus der Wanne.
Ihre grünen Augen funkeln. Das Programm der neuen Leibesübungen ist vergessen. Sie wird getrocknet, gerubbelt, Eiras tritt an, die gewiegte Masseuse, die kunstbegabte Friseuse und Haarpflegerin. Die Königin merkt nichts. Ihre Gedanken irren ins Weite, hinüber über den Tiber, in den Senat. Ihr kluges Hirn weiß den Brief auswendig. Jedes Wort.
»Mein Liebstes, alles scheint noch gut zu werden. Dein Geist und deine Wünsche liegen waltend über Rom. Habe elend geschlafen, böse dumme Träume. Fühlte mich hundsmiserabel. Wollte gar nicht in die Sitzung gehen. Da kommt eben Decimus Brutus Albinus, einer meiner intimsten Freunde, und verrät mir, daß der Senat gestern in geheimster Sitzung einstimmig, bitte einstimmig! beschlossen hat, mir heute den Königstitel anzubieten. Unter gewissen Modalitäten, die nicht interessieren. Wie dein alter politischer Roué, der mit allen Hunden gehetzt, mit allen Wassern gewaschen ist, sich doch irren kann! Du behältst wieder einmal recht – wie immer. Freue dich. Ich komme vom Senat und Königszuge zum Forum sofort zu dir. C.«
Sie eilt in den Garten, rennt sinnlos umher. Ein kleiner hochmütiger Triumph ist in ihr. Sie kennt diese Römer besser als er, der Kluge, Gerissene, Kühne, Altersbedächtige, der einer von ihnen ist! Sie wissen, daß die Republik faul und morsch ist. Daß Einer den verrotteten Staat führen muß. Ihm wollen sie die Last aufbürden und die Verantwortung. Sie begreift es. Das ist es natürlich, nicht Liebe, nicht Dankbarkeit. Dankbarkeit und Liebe! Sie weiß, was die in der großen Politik wiegen. Nicht eine Flaumfeder.
Jetzt – grade jetzt – vielleicht – bieten sie ihm die Krone an –
Sie eilt zurück ins Haus, vor Ungeduld knisternd. Weiß nicht, womit sie die Zeit morden soll. Die Zeitung! Vielleicht steht schon etwas davon in der Zeitung. Vielleicht war die Sitzung gestern doch nicht so geheim, vielleicht ist etwas durchgesickert.
Charmion stürzt mit der Zeitung herbei. Auch diese »Tagespost« ist ein Werk Cäsars. Kleopatra überfliegt die Blätter. Sie, die zehn Sprachen geläufig spricht, liest Latein wie eine Römerin. Nichts. Nichts davon. Aber viel anderes. Andere politische Maßnahmen, Anordnungen, Regierungsakte Cäsars. Ein Mieterschutzgesetz: auf ein Jahr wird wegen der Geldnot die Miete für alle Wohnungen bis zu 2000 Denaren gesetzlich gestundet. Die Arbeitslosenversorgung neu geordnet: statt 320 000 Empfänger öffentlicher Speisung nur noch 150 000. Der Arbeitslosigkeit wird auf anderem Wege gesteuert. Neubauten in Rom – sie werden einzeln angeführt – Verschickung von 80 000 Bürgern in die überseeischen Kolonien zur Urbarmachung, Abschiebung der Bevölkerung der Großstädte auf das Land. Ausbau des Hafens von Ostia. Ferner eine kleine Änderung der Straßenverkehrsordnung in Rom.
Ein Tag aus seinem Leben und seiner Verwaltung. Inmitten der Vorbereitung auf den größten Krieg, den er je geführt hat, Sorge für das Soziale, Wichtigste und Geringste.
Ein Gefühl des Fremdseins, der Vereinsamkeit überschleicht die Königin. Was weiß sie im Grunde von diesem Manne! Wie fern steht er ihr im Letzten! Nie hat er über diese in ihm reifenden Pläne gesprochen. Freilich, freilich, sie hat immer nur von dem großen Staatsgedanken geredet, die heilige Flamme in ihm anzufachen und zu behüten. Wie fern und fremd und überlegen ist dieser Mann ihr in seinem Eigensten!
Sie beißt unmutig die regelmäßigen weißen Zähne in die Unterlippe. Dann wirft sie nach ihrer Gewohnheit den Kopf zurück. Muß anders werden. Alles würde anders werden, wenn sie erst sein Weib war – seine Königin vor aller Welt. Wenn Ost und West unter seinem und ihrem Szepter vereint ist. An jeder seiner Regierungspläne und Verwaltungstaten will sie teilhaben, an jedem –
Sie horcht auf. Ein Läufer draußen. Sie hört Flüstern. Ist Seleukos wahnsinnig, ihn aufzuhalten? Hat er noch nicht genug an der Peitsche von gestern! Totpeitschen! durchtobt es sie, während sie in das Peristyl hinausstiebt.
»Warum läßt du den Boten nicht zu mir?!« keucht sie den Aufseher der Läufer gefahrdrohend an.
»Herrin –« Der Mann hebt verstört machtlos den Arm.
»Später«, zischt sie. Der Mann wird weiß wie die im Sonnenlicht glimmenden Kiesel des Gartenweges. Er weiß, der Aufschub bedeutet Tod.
»Was bringst du?«
Der Bote