Diese lange Rede des kleinen Hadschi kam mir wie ein Blitz aus heiterem Himmel, vollständig unerwartet. Daß die Frau des Scheiks so ganz über ihn hinwegzusehen wagte, das ärgerte ihn nicht nur, sondern das erboste ihn. Seit er bemerkt hatte, daß ihre Blicke ihn vermieden, kochte es in ihm, und ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß er die erste beste Gelegenheit ergreifen werde, die Hiebe auszuteilen, die er für nötig fand. Und das hatte er jetzt soeben getan. Nach den Folgen pflegte er bei solchen Dingen nie zu fragen. Die Hauptsache war, daß er seine Meinung gesagt hatte, und was dann kam, das fiel dann stets auf mich. So auch hier.
Die >Dame< Taldscha hatte ihm sehr gut gefallen, darum ärgerte es ihn doppelt, daß grad sie es war, die ihn nicht sehen wollte. Ich fand es also nicht ganz unbegreiflich, daß er in diesem Falle die Rücksicht vergaß, welche man den Frauen selbst dann schuldet, wenn sie sich Mühe geben, einen gar nicht zu bemerken. Dazu kam, daß ich ihm in Beziehung auf das, was er gesagt hatte, keineswegs so unrecht geben konnte. Es schien wirklich mehr als hergebrachte Überlieferung und Bequemlichkeit zu sein, daß diese riesenhaft gebauten Menschen vor ihren bedeutend kleiner gestalteten Gegnern fortwährend zum Kreuze krochen. Jeder Psycholog weiß, daß der Riese gemütlicher zu sein pflegt als der Zwerg, aber diese Gemütlichkeit darf doch nicht in eine Passivität ausarten, die an Feigheit grenzt. Kurz und gut, mein kleiner Halef war grob, sehr grob gewesen, aber er hatte dabei auch mir mit aus dem Herzen gesprochen, und so war ich gewillt, mich seiner anzunehmen, falls sich dies als nötig herausstellen sollte.
Zunächst war man darüber, daß so etwas hatte gewagt werden können, völlig starr. Dann sprang der Scheik von seinem Sitz empor, und die andern stießen laute Rufe des Zornes aus. Nur Taldscha blieb ruhig. Sie bewegte sich nicht und schloß die Augen, als ob sie innerlich nachschauen wolle, ob Halef berechtigt sei, in dieser Weise über sie zu sprechen. Der Scheik aber rief:
»Allahi, Tallahi, Wallahi! So hat noch niemand zu uns gesprochen, noch niemand! Soll ich Dich zwischen diesen meinen Fäusten zu Pulver zerreiben oder zu Brei zerquetschen? Wähle eins von beiden, ich tue es sofort!«
Er hielt dem Hadschi die beiden ungeschlachten Hände hin. Dieser blieb ruhig sitzen, zog eine seiner Doppelpistolen aus dem Gürtel, richtete sie auf den Scheik, ließ die Hähne knacken und antwortete:
»Soll ich Dich mit dem Schrot oder mit der Kugel erschießen? Wähle eins von beiden; ich tue es sofort!«
Ich nahm einen meiner Revolver zur Hand und knackte mit dem Hahne, ohne ein Wort zu sagen. Da machte Taldscha die Augen auf. Sie sah die auf ihren Mann gerichteten Waffen, ließ jene gebieterische Handbewegung schauen, die ich schon beschrieben habe, und sagte zu ihm und den anderen Ussul:
»Schweigt! Ich habe nachgesonnen, und ich fühle, daß Scheik Hadschi Halef Omar nicht unrecht hat. Doch soll er uns sagen, wie er sich unsere Gegenwehr gegen die Tschoban denkt!«
»Ich denke mir Eure Gegenwehr genau so, wie ich mir ihren Angriff zu denken habe,« antwortete er, ohne einen Augenblick zu zögern.
Der Scheik gehorchte seiner Frau; er setzte sich wieder nieder. Die andern unterdrückten ihre Zornesrufe. Da steckte Halef die Pistole wieder ein, und auch mein Revolver verschwand.
»Wie meinst Du das?« fragte Taldscha.
»Die Tschoban greifen Euch an, indem sie in Euer Land eindringen. Wer hindert Euch, denselben Weg zu gehen und bei ihnen einzufallen? Das Gesetz, dem sie gehorchen, nämlich der Islam, gebietet, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Ihr würdet also ihr eigenes Gesetz beachten und ehren, wenn Ihr an ihnen ganz dasselbe tätet, was sie an Euch schon so oft getan haben!«
»Bei ihnen einfallen - - -?« fragte die Frau in einem Tone, als ob ihr etwas ganz und gar Unmögliches zugemutet werde.
»Bei ihnen einfallen!« rief auch der Scheik.
»Bei ihnen einfallen! Bei ihnen einfallen! Bei ihnen einfallen!« rief man im Kreise auch weiterhin von Mund zu Mund.
»Warum nicht?« fragte Halef. »Was die Tschoban können, das könnt Ihr doch wohl auch!«
»Das meine ich wohl!« beteuerte der Scheik.
»Wenn Ihr das wißt, warum tut Ihr es dann nicht? Fehlt es Euch an Mut?«
»Nein, nein!« versicherte der Scheik.
»Nein, nein! Nein, nein!« klang es im Kreise weiter.
»Oder an Geschicklichkeit, an Flinkheit, an Verstand?«
»Auch nicht!« stellte der Scheik fest.
»Auch nicht!« fielen die andern rundum ein.
»So begreife ich nicht, warum Ihr es nicht tut! Es gibt da nur noch einen einzigen Grund, den man sich denken kann.«
»Welchen?« erkundigte sich der Scheik.
»Daß Ihr zu faul seid.«
»Zu faul?« fuhr der Scheik grimmig drein. »Wer das behaupten will, den schlage ich tot!«
Und er hob schon wieder seine beiden Fäuste empor.
»Den schlage ich tot, den schlage ich tot!« riefen die anderen grad so wie er, indem auch sie ihre Fäuste zeigten.
»Nun, so tut es doch, so tut es doch!« warf Halef ihnen zu, indem er ungläubig lachte.
»Was aber sollen wir drüben?« fragte nun der Zauberpriester.
»Ganz dasselbe, was sie hier bei Euch wollen!«
»Also stehlen, rauben, plündern und brandschatzen?«
»Ja! Stehlen, rauben, plündern und brandschatzen! Was sie glauben, an Euch tun zu dürfen, das kann Euch doch nicht verboten sein, an ihnen zu tun!«
»O doch!« fiel da die blonde Herrin ein, und zwar in ernstem Tone. »Kein Dieb soll mich verführen, auch zu stehlen, und kein Räuber kann mich veranlassen, ihn auch zu berauben. Zu Deiner Ehre will ich annehmen, daß auch Du dieser meiner Ansicht bist und nur vom Standpunkt der Tschoban aus redest, die Mohammedaner und also Heiden sind, aber ich bitte - -«
»Heiden?« unterbrach Halef sie da schnell.
»Ja, Heiden!« antwortete sie. »Oder ist es nicht heidnisch, zu stehlen, weil andere stehlen, und zu rauben, weil andere rauben?«
Der Hadschi hatte sich da in eine arge Klemme hineingeredet. Er war gewiß schwer, ja außerordentlich