Zuerst war Christina fast das Herz stehengeblieben, als sie die weibliche Stimme hörte, nachdem sie die Haustür offen gefunden hatte und eingetreten war. Dann kam Katinka aus dem Garten herein und hatte nur mit Mühe einen Aufschrei unterdrücken können, als sie Christina gewahrte. Aber geistesgegenwärtig hatte Christina ihr die Hand auf den Mund gepresst.
»Er wirft sie bestimmt hinaus«, raunte Katinka dem Mädchen zu. »Dieses Biest!«
Aber als Christina hörte, dass die Fremde von Bob sprach, bedeutete sie Katinka, dass sie zuhören wolle. Sie ließ alle Hemmungen fallen, und Katinkas Moral reichte auch nicht so weit, sich stillschweigend zurückzuziehen. Es ging nun ja auch ziemlich stürmisch da drinnen zu.
»Na, dann erkläre mal«, sagte Björn mit klirrender Stimme.
»Gib mir wenigstens eine Zigarette.«
»Bediene dich. Da stehen sie«, hörten Christina und Katinka Björn sagen.
»Du hast überhaupt keine Manieren«, stichelte sie.
»Du auch nicht, Jennifer. Du hast es sogar fertiggebracht, nach Kopenhagen zu kommen, obgleich dort eine Hochzeit geplant war.«
Jennifer lachte schrill. »Dieses Affentheater. Am Ende musste ich Bob noch zureden, damit er es überhaupt durchhielt. Was geht das dich eigentlich an? Wenn diese blöde Gans ihm nicht so nachgelaufen wäre, wäre es nicht so weit gekommen. Glaubst du, mir ist das recht gewesen? Du hättest Bob das Geld doch auch so gegeben.«
»Meinst du? Ich dachte nicht daran.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Weil ich Bob vorgezogen hatte? Du hast dich auf die Geldsäcke gehockt, aber Bob stand das Gleiche zu.«
»Genau. Nur hat er nicht lange gebraucht, um seinen Anteil durchzubringen. Wahrscheinlich bist du falsch von ihm informiert worden. Er hat es jedenfalls vorgezogen, sich eine reiche Erbin zu suchen, Jennifer.«
»Haha, da muss ich lachen. Sie lief ihm in den Weg und machte ihm schöne Augen. Aber diese naive kleine Idiotin hätte mich schon mit in Kauf nehmen müssen, und wir hätten sie bald abserviert. Und jetzt wäre sie Witwe wie ich. Bob ist grauenvoll gestorben. Ein bisschen Mitgefühl könntest du wenigstens zeigen.«
»Du siehst nicht bemitleidenswert aus, wie ich feststellen kann«, sagte Björn kalt. »Und von mir gibt es nichts zu holen. Wenn du jetzt noch einmal eine so niederträchtige Bemerkung über Christina machst, werfe ich dich aus dem Haus, dass du deine Knochen einzeln auflesen kannst.«
Da sprang die Tür auf. »Das wirst du nicht tun, Björn«, sagte Christina. »Du wirst dir deine Hände nicht beschmutzen. Sie wird dieses Haus auch so verlassen, auf das ich Anspruch erhebe, da mein Vater niemals Geld ohne Sicherheiten verleiht.«
»Verleiht – ohne Sicherheiten?«, stammelte Jennifer. »Wie soll ich das verstehen?«
»Wenden Sie sich an meinen Vermögensverwalter«, erklärte Christina kühl. »Er wird Sie genauestens informieren. Und nun entfernen Sie sich bitte.«
Jennifer taumelte hinaus. An Katinka vorbei, die von irgendwoher eine Harke geholt hatte und drohend an der Tür stand. Björn hätte beinahe lachen müssen, wenn ihn jetzt nicht ganz andere Gedanken bewegt hätten.
»Wie kommst du so plötzlich hierher?«, fragte er verwirrt.
»Ich wollte dich besuchen, Liebster«, erwiderte Christina mit einem zauberhaften Lächeln. »Ich hatte die seltsame Eingebung, dass du Sehnsucht nach mir hättest. Täusche ich mich?«
»Nein, nein, nein!«, stöhnte er auf und riss sie in die Arme. »Aber wie konntest du nur so ruhig bleiben?«, flüsterte er dicht an ihrem Ohr.
»Sollte ich mich auch so ordinär aufführen?«, fragte sie schelmisch. »Katinka war schon so mordlustig. Und du warst so wütend, wie ich dich noch nie gesehen oder gehört habe. Einer musste doch die Nerven behalten.«
»Aber deine Reaktionen. Du hast den gewieftesten Anwalt in den Schatten gestellt.«
»Danke für das Kompliment, Liebster. Ich habe viel von dir gelernt, und eines habe ich dir halt doch voraus.«
»Was?«
»Eine Kur auf der Insel der Hoffnung. Du brauchst anscheinend auch eine. Wie wäre es, wenn wir unsere Flitterwochen dort verbringen würden?«
»Christina, mein Liebstes!« Er riss sie an sich und küsste sie stürmisch. Ihr blieb fast die Luft weg, aber sie erwiderte seine Küsse ebenso leidenschaftlich und voller Sehnsucht.
»Du, und was ist das mit den Sicherheiten?«, fragte er später.
»Hat es dich erschreckt?«, fragte Christina.
»Nicht im Geringsten. Du kannst alles haben als Sicherheit. Das Haus, das andere auch und alles, was ich besitze. Du sollst um Gottes willen nicht denken …« Sie hielt ihm den Mund zu. »Das war doch nur eine Eingebung. So eine naive kleine Idiotin hat halt auch manchmal so komische Ideen, die ihre Wirkung tun.«
»Du, wenn du das noch einmal sagst, du kluges Mädchen …«
»Ach, ich bin gern ein bisschen naiv«, fiel sie ihm ins Wort. »Was ich noch lernen muss, möchte ich gern von dir lernen, Björn. Ich liebe dich, das musste ich dir doch nun endlich einmal sagen. Ich hatte so wahnsinnige Sehnsucht nach dir, dass ich einfach kommen musste. Und wohl darum musste ich kommen, damit ich nun auch noch meinen Triumph hatte. Ist das schlimm?«
»Ich habe ihn dir gegönnt, mein Liebling. Du bist die strahlende Siegerin.«
»Und wenn ich es so recht bedenke, wäre es für Bob doch eigentlich eine größere Strafe gewesen, sie am Halse zu haben«, sagte Christina. »Klingt das sehr zynisch?«
Björn atmete tief auf. Christina hatte den Abgrund überwunden, über den sie hinweg musste. Und in dieser Situation gehört schon eine gewisse Härte dazu, auf keinen Fall aber Sentimentalität. Es wäre Selbstbetrug, zu sagen, dass der Tod alles auslöschen konnte. Er war endgültig, und es hieß ja auch: »Vergebt uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.« Christina aber traf ja nicht die geringste Schuld an all diesem Geschehen. Sie war nichts als ein reines, gläubiges, vielleicht verblendetes Kind gewesen und hatte am meisten leiden müssen.
Björn hatte vergessen, wie sehr er gelitten hatte um sie, als sie jetzt in seinen Armen lag und er in ihre leuchtenden Augen blickte, in denen er nichts als Liebe las, tiefe, reine Liebe. Er hob sie empor und trug sie die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Und es machte ihn unendlich glücklich, als sie sagte: »Jetzt erst sehe ich, wie schön es ist, Björn.«
*
Dr. Norden hatte wieder eine ganze Anzahl Hausbesuche hinter sich bringen müssen. Er hatte sich überzeugt, dass es Helmut Kring nun wieder besserging, aber arg mitgenommen hatte die Mandelentzündung den Jungen schon. An Fußballspielen war da für die nächste Zeit nicht zu denken, was Helmut aber mit unerwarteter Gelassenheit aufnahm, nachdem Dr. Norden seiner Mutter vorher erklärt hatte, dass eine Mandeloperation nicht nötig sei. Eine Nachbarin hatte ihr das eingeflüstert, und das hatte Helmut aber gar nicht gepasst.
»Man soll da nicht so voreilig sein«, sagte Dr. Norden. »Auch die Mandeln haben ihre Funktion im Organismus zu erfüllen. Und wenn sie nicht ausgesprochene Streuherde sind, sollte man sie nicht entfernen.«
Helmut stellte wieder einmal fest, dass Dr. Norden doch der ›Größte‹ sei und ganz dufte, und das war auch die Meinung von den meisten seiner Patienten – nur in anderen Worten ausgedrückt. Und auch die Ansicht von Frau Billing.
Frau Billing trank fleißig ihren Tee, und ihrem Neffen, der Medizin studierte, war der Spott darüber längst vergangen, denn sie fühlte sich nicht nur schon viel wohler, sondern sah auch um Jahre verjüngt aus. Ganz schamhaft fragte sie an, ob das wohl auch ein Verjüngungsmittel sei.
Daniel musste herzhaft lachen. »Wenn man sich wohl fühlt und die Haut gut durchblutet ist, und wenn