Morel war kaum einen Meter siebzig groß, und das war einer der Gründe, warum Foxworth ihn gern um sich hatte. Zusätzlich zu seiner geringen Körpergröße war Morel verschwiegen. Er war ein Mann, der genau wusste, wie man seinen Kunden das Gefühl gab, umsorgt und respektiert zu werden. Noch viel wichtiger aber war, dass er wusste, wie man ihnen half, sich besser zu fühlen.
»Gottverdammt, Morel, wieso hat das so lange gedauert? Ich kann nicht denken mit diesen Kopfschmerzen.«
»Tut mir leid, Malcolm, auf der M1 war eine Baustelle. Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte. Bitte, nehmen Sie Platz.«
Foxworth bestand darauf, dass ihn enge Mitarbeiter mit dem Vornamen ansprachen. Die einfachen Arbeiterbienen nannten ihn Sir.
Foxworth setzte sich an den Schreibtisch. Morel legte seinen Koffer auf dem Tisch ab, öffnete ihn und zog einen Stuhl heran. Dann nahm er ein Instrument heraus und leuchtete damit in Foxworths Augen.
»Sehen Sie nach oben. Jetzt nach rechts. Und jetzt nach links.« Er legte das Instrument wieder beiseite und nahm stattdessen eine Ampulle mit einer klaren Flüssigkeit darin und eine Spritze heraus.
»Noch irgendwelche anderen Symptome, Malcolm? Verschwommenes Sehen? Hörverlust? Gleichgewichtsprobleme?«
»Dafür habe ich jetzt keine Zeit. Gib mir einfach etwas gegen die Kopfschmerzen. In zwanzig Minuten habe ich ein wichtiges Treffen.«
»Natürlich.« Morel zog die Spritze auf und ließ ein paar Tropfen herausquellen. »Die Hose, bitte.«
Foxworth stand auf. Morel bemerkte, dass er dabei ein wenig schwankte, behielt es jedoch für sich. Foxworth entblößte seinen Hintern und Morel verabreichte ihm die Injektion.
»In ein oder zwei Minuten sollten Sie sich bereits besser fühlen«, sagte er. »Sind Sie immer noch nicht bereit für ein paar Tests? Nur über Nacht.«
»Ich will keine Tests.« Foxworth spürte bereits, wie das Mittel zu wirken begann. Der Schmerz verflog. Er atmete tief durch. »Ich brauche keine Tests. Diese Kopfschmerzen kommen vom Stress.«
»Malcolm …«
»Ich sagte, ich will keine verdammten Tests, Morel.«
Foxworths Stimme war eisig geworden. Etwas Uraltes und sehr Gefährliches schien in ihr zu liegen. Morel wich unwillkürlich einen Schritt zurück, als ob er gerade etwas unaussprechlich Böses gesehen hätte. Lächerlich, schalt er sich. Das hast du dir nur eingebildet.
Foxworth beruhigte sich wieder. »Erwähnen Sie es einfach nicht wieder. Solange ich Sie erreichen kann, brauche ich nichts anderes.«
»Für Sie bin ich immer erreichbar.« Morel klappte seinen Koffer zu.
Das Geld, das er für diese Besuche verdiente, garantierte dafür. Wenn sein Patient keine Untersuchungen wollte … nun, dann war das seine Entscheidung. Morel hatte getan, was er konnte. Er würde das Thema nicht wieder zur Sprache bringen, nicht nach Foxworths Ausbruch soeben. Für einen Moment hatte er sich tatsächlich bedroht gefühlt.
Kapitel 6
Die Sicherheitsvorkehrungen in Selenas Appartement waren mit denen in Langley oder bei der NSA vergleichbar. Und sie benötigte sie. An den Wänden hingen genug rare Kunstwerke, um ein privates Museum damit zu eröffnen. Sie hatte von ihrem Onkel ein Vermögen geerbt. Seine Ermordung hatte sie zu Project geführt. Nie hätte sie sich träumen lassen, einmal für Harker zu arbeiten.
Eines der Dinge, die Nick an ihr mochte, war, wie wenig überheblich sie sich verhielt. Selena protzte nicht mit ihrem Geld herum und ihr haftete auch keine falsch empfundene Überlegenheit wegen ihres Wohlstandes an.
Er saß am Küchentresen und sah ihr beim Kochen zu. Sie bewegte sich mit der Geschmeidigkeit, die von zwanzig Jahren Martial-Arts-Training perfektioniert worden war. Ihr rotblondes Haar verriet ihre keltische Herkunft. Ihre Augen waren manchmal blau, manchmal von einem tiefdunklen Violett. Und sie besaß ein interessantes Gesicht. Einer ihrer Wangenknochen stand ein wenig höher als der andere. Gutaussehend war der Begriff, der den meisten Leuten in den Sinn kam, wenn sie sie sahen. Auf ihrer Oberlippe befand sich ein kleines dunkles Muttermal, ein Schönheitsfleck.
Selena verfügte über viele Fertigkeiten, aber kochen gehörte nicht dazu. Gerade versuchte sie sich an einem Rezept für Bœuf Stroganoff. Auf dem Herd köchelte ein Topf mit Nudeln.
»Brauchst du Hilfe?«
Nick versuchte, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Selenas letzte beiden Versuche, ein Abendessen zuzubereiten, waren nicht gut ausgegangen. Meistens gingen sie zum Essen aus oder Nick bereitete etwas zu.
»Nein, alles bestens. Wie ist dein Drink?«
»Gut.« Er nahm einen Schluck von seinem Whiskey. Schaum quoll aus dem Topf, als die Nudeln überkochten, und ergoss sich über den Herd.
»Verdammt!« Sie drehte die Herdplatte ab.
»Halb so wild.«
Sie nahm die Nudeln vom Herd und kippte sie in ein Sieb im Waschbecken. Die Hälfte der Nudeln blieb im Sieb kleben. Sie kratzte sie heraus, gab das Fleisch dazu und brachte alles zu dem Tresen in der Mitte der Küche. Dieser war bereits mit Tellern, Servietten und Besteck gedeckt. Außerdem hatte sie eine Rose in einer Vase dazugestellt, Wasser in Kristallgläsern und eine große Schüssel mit griechischem Salat.
Nick beäugte das Stroganoff. »Was sind diese schwarzen Dinger?«
»Oliven. Ich hatte keine Essiggurken.«
Er nahm einen Bissen. Das Fleisch war wie Leder. Seine Augen tränten. »Etwas scharf.« Beide griffen nach dem Wasser. »Wie viel Pfeffer hast du denn genommen?«
»Einen Teelöffel voll. Du magst es ja gern scharf, also gab ich noch etwas mehr dazu.«
»Ein Teelöffel.« Ausgeschlossen, dachte er. »Nicht übel«, log er und nahm einen weiteren Schluck Wasser.
»Es schmeckt furchtbar. Verdammt.« Sie schob ihren Teller von sich.
»Spitzenkoch wird man nicht über Nacht. Der Wein ist gut.« Er beugte sich zu ihr und küsste sie. »Und du schmeckst auch gut. Nach gepfeffertem Wein.«
»Du schmeckst nach Whiskey und ranziger saurer Sahne.«
»Essen wir eben nur den Salat.«
Nachdem sie damit fertig waren, setzten sie sich auf die lange Couch, von der aus man die Lichter der Stadt überblicken konnte. In der Ferne sah man die weiß leuchtende Kuppel des Kapitols.
»Ich wünschte, es könnte immer so sein«, sagte sie.
»Na ja, zumindest jetzt ist es so.«
»Aber für wie lange? Irgendetwas wird passieren. Tut es immer. Wir wissen noch nicht, wer es auf uns abgesehen hatte.«
»Nein, aber wir werden es herausfinden.«
»Glaubst du, sie versuchen es wieder?«
»Ja.«
»Wie können wir sie aufhalten?«
»Sie werden einen Fehler begehen. Früher oder später macht jeder Fehler. Alles, was wir brauchen, ist eine Spur. Dieser werden wir folgen, mehr herausfinden, und immer so weiter. Die Spur wird uns irgendwohin führen. Und dann werden wir die Bedrohung eliminieren.«
»Wir wissen aber nicht, was für eine Bedrohung das sein könnte.«
Er nahm seinen Drink zur Hand und starrte in den bernsteinfarben schimmernden Whiskey. Dann stellte er ihn wieder ab.
»Wir