War es ein Spuk? Gaukelten ihm die überreizten Nerven dieses scheußliche Bild vor?
Der Marshal hatte schon viele alte Männer gesehen. Vor Jahren einmal war er unten in Kansas, als er gegen Big Bill Cumberland kämpfte, einem steinalten Mann begegnet, der aber gegen dieses skelettartige Wesen hier noch jung gewirkt hatte.
War der Methusalem, der hier vor ihm hockte, vielleicht tot?
Wyatt schob den Revolver vor, tatsächlich in der winzigen Hoffnung, die Laufmündung möge keinen Widerstand finden, aber die Waffe stieß nach einem Yard gegen etwas Hartes, ohne ein Geräusch zu machen.
Der Buntline Special wurde von der Jacke des Greises aufgehalten.
Unwillkürlich nahm der Marshal auch den anderen Revolver aus dem Halfter.
Wieder verstrichen drei Sekunden. Dann drang ein leises, scharfes, zischendes Geräusch an sein Ohr – und ein Zündholz blitzte auf.
Der Greis hatte es in seiner linken Hand und hielt es an eine Kerosinlampe.
Der Marshal stand in äußerster Anspannung da und starrte auf das gespenstische Bild.
Der Alte hatte seine knöcherne, zitternde Hand über den Docht gebracht, und jetzt zuckte die kleine Flamme blakend auf.
Der Greis setzte den Zylinder drüber und den grünen Schirm darauf.
Dann rutschte die Hand wieder auf die Stuhllehne zurück, und die langen Finger krallten sich um den primitiv geschnitzten Löwenkopf.
Der Marshal hatte sich nicht bewegt.
Kein Muskel zuckte im Gesicht des Alten. Wie aus Stein gehauen saß er da. Hätte der Marshal nicht selbst erlebt, daß er sich eben bewegt hatte, daß er den Arm zu der Lampe hinüber geschoben hatte – er hätte ihn auch jetzt für tot gehalten.
Mit geschlossenen Augen, aber sehr aufrecht, lehnte der Methusalem in seinem Stuhl. Der grüne Lampenschirm warf ein geisterhaftes Licht auf sein Gesicht.
Wieder verstrichen Sekunden.
Dann sprangen die Lippen des Alten wie Gesteinsbrocken plötzlich auseinander. Heiser und hohl kam die Stimme aus dem Mund des Alten:
»Was wollen Sie?«
Während er sprach, zitterte nicht nur sein Schädel, der gefährlich auf dem dürren Hals hin und her schwankte, sondern auch seine Hände und sein ganzer Körper bebten.
»Ich suche Kirk McLowery.«
»Kirk?«
Ein Hüsteln erschütterte den skelettartigen Körper des Greises.
»Was wollen Sie von ihm?«
»Ich habe mit ihm zu sprechen.«
»Ja, das kann ich mir denken, versetzte der Alte, und wieder packte ihn der Hustenkrampf und schüttelte ihn scheußlich hin und her.
Wyatt hatte den Revolver sinken lassen.
»Haben Sie was zu rauchen?« fragte der Alte plötzlich.
Wyatt starrte den Alten verblüfft an, griff dann aber in die Tasche und zog eine seiner großen schwarzen Zigarren hervor, die er dem Alten hinreichte.
Der stieß seine rechte Hand blitzschnell vor und griff danach. Ruckartig riß er die Zigarre an sich und schob sie in einen Winkel seines zahnlosen Mundes.
Dann riß er ein Zündholz an und hielt es mit zitternder Hand an die Zigarrenspitze.
»Sie können wieder gehen.«
»Wo finde ich Kirk McLowery?«
Da schüttelte plötzlich ein hysterisches Lachen den schlotternden Körper des Alten:
»Sie fragen zuviel, Mister, hihihihi!«
Wyatt wiederholte seine Frage.
Da paffte der Alte eine dünne blaue Wolke vor sich hin und sagte: »Ich bin Kirk McLowery.«
Wyatt durchforschte die Runenlandschaft des Greisengesichtes.
Sollte dieser Mann der Vater der drei McLowerys sein?
Der Marshal konnte es sich nicht gut vorstellen. Denn dieser Mann hier war doch bestimmt weit über neunzig Jahre alt.
Da lachte der Alte wieder scheppernd.
»Ja, ich bin Kirk McLowery. Ich bin hergekommen, als die Indianer noch hier hausten. Ja, das ist schon lange her. Sehr lange.«
»Sind Sie Kirks Vater?«
»Kirk? Ach, Sie meinen den Bengel, den jungen! – Das ist mein Enkel.«
»Ist er jetzt hier auf der Ranch?«
»Nein.«
»Wo kann ich ihn finden?«
»Das weiß der Teufel!«
Der Alte hatte sich am Rauch verschluckt und hüstelte, daß es einen erbarmen konnte.
Warum saß er hier im Stuhl und lag nicht in seinem Bett? Hatte er auf jemanden gewartet?
Wyatt war immer noch von seinem Argwohn beherrscht. Da er aber hier, wo er jetzt stand, vom Hof her nicht gesehen werden konnte, weil er von der Portiere verdeckt wurde, machte es ihm im Augenblick nichts aus, daß der Alte die Lampe angezündet hatte.
»Und wo Phin ist, wissen Sie das vielleicht, Mr. McLowery?«
»Phin?« Der Alte schien nachzudenken. Plötzlich zog er seine fast haarlosen Brauen hoch in die Stirn und hatte Hunderte von Falten bis weit den Schädel hinauf. »Phin, ja, Phineas Clanton, meinen Sie sicher, ja, ja, der ist auch hier.«
»Auch?« Wyatt schob sich unwillkürlich näher an die Wand heran. »Wo ist er?«
»Na, wo er ist, jetzt, weiß ich nicht. Er ist oftmals hiergewesen. Ich habe ihn erst vor ein paar Jahren noch hier gesehen.«
Erst vor ein paar Jahren. Für diesen Mann schien die Zeit absolut keine Rolle zu spielen.
Wie alt mochte er sein? Aber es war für den Marshal jetzt nicht die Zeit, sich mit diesem Gedanken zu beschäftigen. Er befand sich auf der Ranch der McLowerys und wurde nach wie vor das Gefühl nicht los, daß er hier in die Höhle des Löwen geraten war. Warum lag dieser alte Mann nicht im Bett?
Warum saß er hier im Dunkeln und hatte sich nicht bemerkbar gemacht?
»Setzen Sie sich, Mister, wenn Sie ein Freund von Kirk und Phin sind. Freunde sind uns immer willkommen gewesen. Früher, als Joe, mein Sohn, noch lebte, hatten wir öfter mal Freunde hier. Manchmal kam sogar jedes Jahr einer von Tombstone herunter. Oder drüben von Bisbee herauf. Ja, das waren noch Zeiten. Aber seit die Jungens da sind, ist das alles ganz anders. Ganz, ganz anders, das kann ich Ihnen sagen. Hahahaha. Sie können mir noch eine Zigarre hierlassen. Die sind nicht schlecht. Früher hatte ich auch einmal Geld, mir solches Zeug zu kaufen. Dann hat Joe selbst hier Tabak angebaut. Aber er verstand nichts davon. Schmeckte wie Fußlappengemüse. Hehehehe.«
Wyatt hatte das Gefühl, daß der Alte mit seinen Worten und seinem Lachen irgend etwas übertönen wollte. Angestrengt lauschte er in das Haus hinein.
Vielleicht war sein Argwohn unbegründet. Aber er saß nun einmal in seiner Brust und ließ sich nicht verdrängen.
»Sie können sich ruhig etwas setzen. Wollen wir eine Runde pokern? Ich kann die Kartenblätter noch ganz gut erkennen. Ich höre nur nicht sehr gut. Wenn Sie einmal da hinüber gehen, drüben im Schrank muß irgendwo noch eine Flasche Whisky stehen. Ich kann leider nicht gehen.«
Also konnte er doch unmöglich hier allein leben!
Wyatt blickte zu dem Schrank hinüber. Wenn er der Aufforderung des Alten nachkam und wirklich den Whisky holen würde, mußte er quer durch das Zimmer gehen und konnte dann vom