Inhalt
Ich weiß nicht, ob ich dich liebe
Warum bleibst du nicht für immer?
Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben, ein heftiger Wind zerrte an den Bäumen, die ihr Laub längst verloren hatten und sich traurig aus dem Grau erhoben.
Es war wieder einmal jener Tage, an denen es einfach nicht hell werden wollte und die sich anboten, vor einem knisternden Kaminfeuer zu sitzen.
Bettina Fahrenbach saß nicht vor einem Kaminfeuer, sondern vor ihrem Schreibtisch und starrte auf ihr Telefon, nahm es in die Hand, um es sofort, wie ein giftiges Reptil, wieder wegzulegen.
Normalerweise hatte sie keine Probleme damit, Telefonate zu führen, wenn sie auch nicht zu den Menschen gehörte, die stundenlang mit wachsender Begeisterung telefonieren konnten. Das hatte sie nur in einem Fall gekonnt, wenn es um Telefongespräche mit Thomas gegangen war, ihrer großen Liebe. Doch es gab keinen Thomas mehr in ihrem Leben und demzufolge auch keine langen zärtlichen Telefonate.
Hier ging es auch nicht um ein Gespräch mit einem Lieferanten oder Kunden. Das hätte sie mit links gemacht.
Sie mußte unbedingt ihre Schwester Grit anrufen, und davor graute ihr. Die beiden Schwestern hatten sich schon lange nicht mehr viel zu sagen. Und vor diesem Telefonat hatte sie Holger, ihr Schwager, Grits Noch-Ehemann, vorgewarnt. Er hatte bereits versucht, mit Grit zu reden, aber sie hatte ihn nach ein paar wütenden Beschimpfungen einfach abgewürgt, den Hörer aufgelegt und war danach nicht mehr drangegangen.
Und nun sollte sie, wie man so schön sagte, die Kuh vom Eis holen.
Sie seufzte und wollte nun aber endgültig zum Hörer greifen, um diese leidige Angelegenheit hinter sich zu bringen, damit sie danach endlich anfangen konnte, sich sinnvolleren Dingen zuzuwenden, nämlich zu arbeiten.
Doch gerade in diesem Augenblick kam Toni Greiner herein, ihr engster Mitarbeiter hier in der Destille und Bewohner eines der kleinen Häuschen auf dem Fahrenbach-Hof. Ihr Vater hatte es ihm schon zu Lebzeiten überlassen, und Bettina fand das mehr als gerecht. Toni war jemand, der auf den Hof gehörte. Er war wie Familie, nein, eigentlich noch mehr als das. Ihre Familie war ihr gegenüber nicht so loyal.
»Bettina, hast du einen Moment?« wollte er wissen, »oder soll ich später wiederkommen.«
Auch wenn es ein bißchen feige war, freute Bettina sich über die Unterbrechung und Aufschiebung ihres unliebsamen Telefonats.
»Nein, komm rein. Du störst mich bei keinem wichtigen Vorhaben. Ich wollte gerade nur mit meiner Schwester Grit telefonieren. Aber glaub mir, das kann warten.«
»Au backe«, lachte Bettina. »Komm setz dich und sag mir, was du auf dem Herzen hast. Oder ist gar ein wunderbarer Auftrag bei uns angekommen?«
»Leider nein. Doch ich habe gerade mit Mendinger telefoniert, der für seine dreißig Filialen Finnmore eleven bestellt hatte, und das ganz ordentlich.«
»Ja, und ein Teil der Ware ist noch bei uns am Lager. Er hat doch wohl nicht storniert? Ich habe das Geld fest eingeplant.«
»Nein, nein. Er hat nicht eine einzige Flasche storniert. Es war nur so, daß der Whisky in einigen Fällen super gelaufen ist, anderenorts nicht so. Er hat Änderungen vorgenommen und sich dafür, daß wir die Kommissionen ändern müssen, tausendmal entschuldigt. Das war ihm richtig peinlich.«
»Du hast ihm ja wohl hoffentlich gesagt, daß er sich deswegen keinen Kopf machen soll?«
»Na klar… aber ich bin nicht hergekommen, um dir das zu erzählen. Mit solchen Kleinkram würde ich dich normalerweise wirklich nicht belasten.«
Toni war ein ganz, ganz Lieber, aber manchmal ein wenig umständlich, und er wählte dann nicht den kürzesten Weg, sondern den Umweg über Rom.
Heute war es Bettina egal, weil sie dann das Gespräch mit Grit noch herausschieben konnte.
»Und was willst du mir erzählen, Toni?« munterte sie ihn auf zu sprechen, denn daß er etwas auf dem Herzen hatte, war ihm mehr als deutlich anzusehen.
»Tja, Bettina, wir kamen ein bißchen ins plaudern, und da hat er…«, Toni stockte, sah auf einmal recht bekümmert aus.
»Weiter, Toni, weiter. Was hat er?«
»Er hat mir so nebenbei erzählt, daß die Firma Bellert deinen Bruder den Vertrieb für alle zehn Produkte entzogen hat.«
Das konnte nicht wahr sein. Toni mußte da was durcheinandergebracht haben oder – mehr noch – Mendiger hatte irgendwas aufgeschnappt, was niemals stimmen konnte. Bellert würde das niemals machen. Er war dem Wein-Kontor Fahrenbach in Treue verbunden, sogar mit ihrem Vater befreundet gewesen. Ihr Bruder hatte zwar, seit er der Chef des Wein-Kontors war, manchmal rede rüde Methoden im Umgang mit Kunden und Lieferanten. Aber Bellert war ein so guter Umsatzbringer, ein Selbstläufer praktisch. Darauf würde Frieder nun wirklich nicht verzichten. Und Bellert würde ihm auch einiges nachsehen. Ehe es von seiner Seite aus zum Bruch käme, müßte Frieder schon die sprichwörtlichen silbernen Löffel klauen.
»Ausgeschlossen«, sagte sie deswegen aus diesen Gedanken heraus. »Das ist eine Ente.«
Toni holte aus seiner Hosentasche ein zusammengefaltetes Blatt, reichte es Bettina.
»Das hat Mendinger mir gerade auf meinen Wunsch hin zugefaxt. Es ist eine Information an die Kunden.«
Bettina faltete das Blatt auseinander.
Sehr geehrter Herr Mendinger«, las sie, nachdem sie sich vorher genau davon überzeugt hatte, daß die Firma Bellert tatsächlich der Absender war.
»Aus gegebenem Anlaß möchten wir Sie darüber informieren, daß wir unsere langjährige geschäftliche Zusammenarbeit mit dem Weinkontor Fahrenbach mit sofortiger Wirkung beendet haben.
Ab sofort sind wir, bis wir einen neuen Vertriebspartner für unsere Produkte gefunden haben, Ihr alleiniger Ansprechpartner.
Wir fordern Sie hiermit auch auf, keinerlei Zahlungen mehr an das Weinkontor Fahrenbach zu leisten.
Unser Rechtsanwalt, Herr Dr. Rupp, wird sich dieserhalb mit Ihnen in Verbindung setzen.
Bestellungen bitte an uns, deren prompte Auslieferung wir zusichern.
Für eventuelle Unannehmlichkeiten mit der Fa. Fahrenbach entschuldigen wir uns im voraus.
Wir hoffen auf weiterhin gute Zusammenarbeit und verbleiben,
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