Der Aufzug öffnete sich in einem Keller und seine zwei Retter zogen ihn hinaus. Dahin, wo der Dritte von ihnen, der genauso gekleidet war wie die anderen beiden, wartete. Rangan konnte nun definitiv alle drei von ihnen spüren.
Die beiden stützten ihn vorsichtig und ließen ihn auf den Betonboden sinken. Rangan kniete sich nieder, während er immer noch nach Luft schnappte.
»Danke«, sagte er, als er endlich wieder atmen konnte.
Die dritte Gestalt, der eine, der nicht zu ihm nach draußen gekommen war, war kleiner als er und hatte einen roten Lockenschopf unter seinem Stirnband. Er streckte seinen Arm aus und klemmte ein kleines, rechteckiges Objekt an die Seite von Rangans Hals.
Die rothaarige Gestalt hob ihre andere Hand, um die Brille abzusetzen, und nahm ihre Atemschutzmaske ab. Es stellte sich heraus, dass es kein Mann war, sondern eine Frau.
»Ok, Arschloch«, sagte sie. »Wer zum Teufel bist du?«
Rangan starrte sie überrascht an.
Der große Typ mit den schwarzen Dreads nahm ebenso die Brille und seine Atemschutzmaske ab. Auch er war alles andere als ein Kerl. Es war unzweifelhaft eine Frau und kein Mann. Dann streckte Rangans weibliche Retterin ihren Arm aus und griff nach seinem T-Shirt beziehungsweise dem Bandana und riss es in einem schnellen Ruck von ihm.
»Weißt du denn gar nichts, Tempest?, fragte die mit den schwarzen Dreads. »Das ist motherfucking Axon.«
Tausende von Kilometern entfernt, in einem exklusiven Hochhaus in Pudong, stellte sich der Avatar in Lings Körper ans Fenster. Lings Augen schauten hinaus über das Wunder von Schanghai.
Über die Straßenschlucht bis zum nächsten Hochhaus und hinauf zum enormen, zwanzigstöckigen Antlitz der Schauspielerin Zhi Li mit ihren rehbraunen Augen und ihrer Porzellanhaut. Diese falsche Göttin. Bah.
Ich werde ihnen schon noch zeigen, was eine wahre Göttin ist, dachte der Avatar, während sie ihr Werk quer über die Vereinigten Staaten begutachtete. Das Chaos, das sie dort verursacht hatte. Wie die Menschen dort wie Ameisen umherwuselten, um sich selbst von der wahren Bedrohung abzulenken, die ihnen bevorstand.
Oh ja, dachte sie. Ich werde es ihnen zeigen. Bald, schon ganz bald.
Nicht wahr, mein Ehemann? Sie drehte sich um und schaute zu der Ecke, wo Chen Pang gekrümmt vor Schmerzen eine Dauerschleife an unmenschlich verstärkten Höllenqualen durchlebte. Und es wurde immer schlimmer von Tag zu Tag, während sie immer mehr Naniten in sein Gehirn pumpte, die seine Kapazität erweiterten und ihn zu einem immer besseren Sklaven werden ließen.
Dann lächelte der Avatar mit Lings Lächeln, warf ihren Kopf zurück und stieß ein Lachen aus. Weise und niederträchtig, jedoch mit der Stimme eines acht Jahre alten Mädchens.
Nun war es an der Zeit, sich den Angelegenheiten hier in China zu widmen.
Unbemerkt vom Avatar umklammerte ihre Tochter Ling ihren Plüschpanda und drückte ihn fester an ihren Körper.
24| SCHULD
Dienstag, 06.11.2040 Su-Yong Shu schreit. Sie stöhnt. Ling! Ling!
Der Magen dreht sich ihr um. Es wird ihr speiübel wegen dem, was sie getan hat.
Und dann übergibt sie sich tatsächlich. Sie befindet sich auf einem Tisch, festgeschnallt, auf ihrem Rücken liegend. Schläuche befinden sich in ihrem Körper und ihr Magen hebt sich. Sie würgt. Es kommt hoch und aus ihr heraus und sie kann nicht atmen.
Der Körper, realisiert sie. Der Körper.
Und dann ertönt ein Alarm und Gestalten in weißen, komplett geschlossenen Anzügen und hermetisch abgeriegelten Gesichtsblenden, über die Daten von rechts nach links scrollen tauchen über ihr auf. Dahinter tragen sie weiße OP-Masken.
Die Gestalten berühren sie hektisch, nehmen ihr die Fesseln ab und drehen ihren Kopf zur Seite. Jemand steckt ihr einen Finger in den Mund, und sie wird auf die Seite gerollt, damit sie nicht an ihrem Erbrochenen erstickt.
Sie stößt erneut einen Schrei aus. Es ist ihr egal, ob dieser Mensch stirbt. Und es ist ihr ganz egal, ob alles von ihr selbst stirbt.
Ling! Ich habe Ling wehgetan! Ich habe sie in eine Waffe verwandelt, in ein Werkzeug.
Das Ding in Lings Gehirn würde entweder ihre Tochter töten oder es würde ihm gelingen, die Mission zu verwirklichen, die Su-Yong Shu in ihrem Wahn initiiert hatte.
Und einen Konflikt entfesseln, der das Todesrisiko für jeden erhöhen würde.
Su-Yong Shu schreit wieder auf. Schreie der Schuld an dem, was sie getan hatte und wie sie es getan hatte.
Worte tauchen vor ihrem Sichtfeld auf.
DU VERLETZT DEN KÖRPER, DEN WIR DIR BEREITGESTELLT HABEN.
BITTE HÖR AUF.
ERZÄHL UNS WAS VOR SICH GEHT. WIR KÖNNEN DIR HELFEN.
>
Eine Textdialogfläche taucht vor ihr auf. Eine Kommunikationsmöglichkeit mit Ihren Bewachern.
Su-Yong Shu starrt sie an, aktiviert dann eine ihrer virtuellen Welten, tritt in das majestätische, virtuelle Schanghai ein und sperrt die Menschen daraus aus.
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