»Tyrann!« meinte der Marshal.
»Was ist nun mit dem Fight?«
»Ausgefallen. Vielleicht auch nur verschoben«, entgegnete der Missourier. »Im Tombstoner ›Epitaph‹ jedenfalls wird er durch einen Bericht über einen motorgetriebenen Wagen ersetzt…«
Wyatt blickte in die Allenstreet. Jetzt erst sah er drüben an Jonny Behans altem Sheriffs Office den großen Stern.
Das Office des wankelmütigen einstigen Tombstoner Sheriffs war also noch am gleichen Platz. Es änderte sich tatsächlich nichts in dieser Stadt.
Wer mochte jetzt Sheriff von Tombstone sein?
Sie sollten auf diese Frage rasch eine Antwort bekommen.
»Ich muß hinüber, um die Festnahme des Mörders Arthur Pinkerton zu melden. Der Sheriff muß die Sache an das Courthouse weitergeben. So wird das hier gehandhabt.«
»Viel Umstände um einen Galgenstrick!« meinte der Georgier zweideutig.
Sie gingen auf das Sheriffs Office zu.
Luke Short blieb mit Doc Holliday an der Vorbautreppe stehen, von wo aus er das alte Marshal Office im Auge behalten konnte.
Wyatt stieg die Treppe hinauf, überquerte die staubigen Stepwalkbohlen und klopfte an die niedrige Tür, die ihn zwang, den Kopf einzuziehen, dann öffnete er.
Beim Anblick des Mannes hinterm Schreibtisch blieb er wie versteinert in der Türöffnung stehen.
Es war ein mittelgroßer, schmalbrüstiger Mensch mit hängenden Schultern, blassem Gesicht und scharfausrasiertem Backen- und Kinnbart. Aus grauen leeren Augen starrte er den Missourier an.
Jonny Behan!
Der Mann, der mit seiner Wankelmütigkeit die Stadt damals in größte Gefahr gebracht hatte! Vor allem durch seine auffällige Nachsichtigkeit Verbrechern gegenüber, hatte er sich schon damals für den Posten eines Sheriffs in dieser Stadt als völlig ungeeignet erwiesen. Der Marshal hatte ihn seit Jahren im Verdacht gehabt, gemeinsame Sache mit den Clantons zu machen, zumindest aber beide Augen bei ihren Verbrechen zuzudrücken.
Auch bei dem Feuergefecht im O.K. Corral vor zwei Jahren hatte er eine unheilvolle Rolle gespielt, als er nämlich kurz vor dem Kampf durch die Fremontstreet den Earps entgegengelaufen kam, um ihnen zuzurufen, daß die Clantons völlig unbewaffnet wären. Damit hatte er nicht zuletzt das blutige Geschehen verschuldet; denn die Earps hatten ihm geglaubt, und der älteste von ihnen, Virgil, der damals Marshal von Tombstone war, hatte eigentlich nur noch die Absicht gehabt, die Tramps aufzufordern, die Stadt zu verlassen.
Da saß er also wieder hinter seinem Schreibtisch, der unselige Jonny Behan, der durch ziemlich dunkle Machenschaften vor einer Reihe von Jahren den Stern bekommen hatte. Er war überhaupt der unfähigste Mann, den der Westläufer Wyatt Earp auf all seinen weiten Ritten je mit einem Stern gesehen hatte.
»Jonny Behan«, kam es immer noch ungläubig über seine Lippen, »das ist doch wohl ein Scherz!«
Mit gespielter Empörung sprang der Sheriff auf und rief:
»Nein, Mister Earp, das ist durchaus kein Scherz, sondern im Gegenteil bitterer Ernst! Ich hörte soeben, daß Sie wieder in der Stadt sind und bereits eine Reihe von Dingen veranlaßt haben, die ich nicht dulden kann.«
Verächtlich blickte der Marshal auf ihn hinab.
»So, die Sie dulden können? Die Sie aber doch ganz ruhig dulden, wie ich sehe. Was haben Sie überhaupt zu dulden, Behan?«
»Ich bin Sheriff von Tombstone«, giftete der Schwächling.
»Sie sind ein vor Jahren vorübergehend eingesetzter Hilfssheriff und nichts weiter. Wenn ich mich recht erinnere, sind Sie vor zwei Jahren, als Sie gegen mich und meine Brüder vor Gericht ausgesagt hatten, doch Ihres Amtes enthoben worden.«
»Dieser Irrtum ist glücklicherweise wieder rückgängig gemacht worden.«
»Irrtum?« kam es spöttisch von den Lippen des Marshals. »Mann, Sie sind doch hier so fehl am Platze wie ein sechsjähriger Junge. Und eines will ich Ihnen sagen, Behan:
Es gehen wieder reichlich merkwürdige Dinge in Tombstone vor, denen ich hart auf der Spur bin. Wenn ich höre, daß Sie auch nur das Geringste damit zu tun haben oder mir wieder störend in die Quere kommen, lernen Sie mich kennen.«
»Ich brauche Sie nicht kennenzulernen«, kläffte der Hilfssheriff wütend. »Jedermann kennt Sie hier. Sie sind ein herrischer Mensch, der überall seinen Willen durchsetzen muß, und sei es mit Gewalt.«
Ein rauhes Lachen sprang über die Lippen des Marshals.
»Irrtum, Behan, der Unterschied zwischen uns besteht darin, daß ich für das Gesetz kämpfe und daß Sie ein Waschlappen sind.« Krachend fiel die Tür hinter dem Marshal zu.
Doc Holliday lehnte unten an der Treppe, schüttelte nur stumm den Kopf und blickte zwinkernd die helle Straße hinunter.
Luke Short aber sprang die Treppe hinauf und rief:
»Das kann doch nicht wahr sein! Diese Pappfigur muß ich mir ansehen!«
Er riß die Tür auf und starrte ungläubig auf den zusammengesunkenen Mann hinter dem Schreibtisch. »Es ist tatsächlich wahr. Ich dachte, Sie hätten sich da einen Bluff mit uns erlaubt, Marshal.«
»Leider nicht«, entgegnete Wyatt. »Leider müssen wir wieder das Office da drüben selbst halten. Denn diesem Burschen können wir ja keine Gefangenen anvertrauen.«
»Genau wie früher«, warf Doc Holiday ein.
»Das hält uns aber ganz schön auf«, fand der Texaner, als er zurückkam.
»Wir brauchen immer einen Mann, der auf den Laden aufpaßt.«
»Das ist leider nicht zu ändern. Ich möchte bloß wissen, wer diesen Kerl wieder eingesetzt hat.«
Holliday zündete sich eine Zigarette an zog sich den Hut tief in die Stirn.
»Ich kann mir nicht denken, daß er ohne Ike Clanton wieder zu diesem Posten gekommen ist…«
Es galt drei Männer im Office zu bewahren: den Mörder Pinkerton, seinen Helfer Henderson und Edward ›Captain‹ Baxter.
Wyatt hatte mehrmals versucht, Pinkerton zu bewegen, etwas über den Verbleib Jim Elliots auszusagen.
Aber der Keeper hatte nur ein höhnisches Lachen für ihn gehabt.
Also mußten sie nach dem Steuereinnehmer suchen.
Am Abend des darauffolgenden Tages, als Wyatt Earp und Luke Short bei Nellie Cashman um den Abendbrottisch saßen, trat die Hotelinhaberin zu ihnen heran und flüsterte dem Marshal zu.
»Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, Wyatt, aber ich glaube, ich habe vorhin Kirk McLowery vor Micky Fleggers ›Dursthöhle‹ gesehen. Er schob einen Mann vor sich her in den Hof der Schenke.«
»Wann war das?«
»Vor zehn Minuten etwa. Ich kam von einer Freundin, die schräg gegenüber dieser Spielhölle wohnt.«
Wyatt Earp und Luke Short hatten am Tisch gesessen, erhoben sich aber sofort, um zum Jail zu laufen.
Doc Holliday saß vorn neben der Tür im dunklen Raum.
»Wenn Richter Gordon nicht bald kommt«, meinte er, »wird die Wacheschieberei hier ziemlich ungemütlich. Dauernd kommen hier Leute vorbei, bleiben neben dem Haus stehen und schleichen sich zurück. Einer war so aufdringlich, daß ich es vorzog, ihm gleich eine Zelle anzubieten. Jetzt haben wir schon vier Kerle hier sitzen.«
»Ich werde Sie ablösen, Doc«, erklärte der Texaner.
»Der Marshal hat einen Besuch in der ›Dursthöhle‹ vor. Und wie ich ihn kenne, nimmt er Sie lieber mit dahin.«
*