AUSZEIT
MIT
TINE
BERNHARD SPRING
AUSZEIT
MIT
TINE
Roman
mitteldeutscher verlag
INHALT
Für Annika, die Tine überhaupt
erst denkbar gemacht hat
ERSTES KAPITEL
So. Ein letzter Blick in die Küche, ob der Herd auch aus ist, im Flur noch mal die Liste durchgegangen und dann Tür abschließen und weg.
Im Treppenhaus denke ich noch an das Taschenmesser in der linken Rucksacktasche und frage mich, wofür ich das eigentlich brauchen könnte. Aber dann, den restlichen Weg von der Torausfahrt bis zum Bahnhof, ist nur noch Tine in meinem Kopf. Das würde ihr wohl gefallen, wenn sie das wüsste, denn sie ist gern der „Brennpunkt meiner Aufmerksamkeit“.
Tine ist Kinderkrankenschwester und hätte beinah nicht freibekommen, aber die Stationsschwester hatte Nachsicht, weil wir ja eh nur eine Wochenendbeziehung haben, und da muss es ja schließlich wenigstens einen Sommerurlaub geben! Zwei Wochen haben wir jetzt also, um unser Verhältnis nach allen Regeln der Kosmetik zu pflegen, mehr ist nicht drin. „Da siehst du mal, wie unwichtig deine Geschichte ist, Kindchen“, hat Tine in das Telefon festgestellt, „du kannst ein halbes Jahr Semesterferien machen und keinem fällt es auf. Aber ne Krankenschwester, die fehlt schon, wenn sie ihren Kittel auszieht.“
Am Bahnhof hätte ich wohl noch Blumen kaufen sollen, so ein kleines, handliches Sträußchen für unterwegs, denke ich, aber das fällt mir natürlich erst ein, als mir Tine aus dem Zug entgegenfliegt und ich ihr unbedingt etwas schenken möchte. Da erst merke ich, dass ich ihr in diesem Moment nur mich selbst geben kann, was vielleicht etwas zu wenig sein könnte, besonders um die Waden rum. Aber Tine stört das gar nicht, sie landet um meinen Hals und küsst mich an.
„Na endlich!“, haucht sie mir ins Ohr und fühlt sich ganz warm an meiner Wange an. „Der Zug hierher fährt ooch jedes ma n bissl langsamer.“ Ich möchte mich neben sie auf eine Bank setzen und mich erst einmal freuen, dass sie da ist, aber Tine kann nicht still sitzen. Auch Ruhigsein ist gerade schwer. Sie ist so aufgeregt, dass sie vor Schreck mit Sächseln anfängt. „Wie lange müssmern jetze wartn, Kindchen? Weestes hundertprozentich oder nur so ibbern Daum jepeilt? Un sitzmer ooch am richtchen Gleis, nich dass der Zuch uns hinterm Rückn vorbeirattert.“ Ich küsse ihre Zweifel weg, was nur halb gelingt. „Haste dir das wörklich überlecht mit mir?“, fragt sie nun. „Zwee Wochn haste mich jetz offn Hals, un keene andre weit un breit. Hältste das aus?“ Halt ich! Sie ist doch mein All und Eine. Tine streicht mir die Kinnlade entlang und macht ganz verträumt: „Ach du …“, was ich nicht mehr toppen kann.
Nach einer viertel Stunde, die Tine als halbe Ewigkeit bezeichnet, kommt der Zug. Die schnarchende Stimme im Lautsprecher will, dass wir zurücktreten, bitte. Dann erst dürfen wir einsteigen. Tine möchte am Fenster sitzen, und mir gegenüber wegen Freiraumlassen, oder lieber neben mir zwecks Gemütlichkeit, am besten in Fahrtrichtung, aber welche ist das? Endlich hat sie eine Wahl