»Natürlich, Vater«, erwiderte er leise und erhob sich von seiner Strohmatte. Der frische Geruch des Morgens, vermischt mit Stallgeruch, hing in der Luft. Niklas liebte diese Mixtur, besonders heute. Er war auch nicht zornig über die Härte seines Vaters, er war halt so, meinte es aber nicht böse.
Sein Vater verließ den Raum und begab sich an sein Tagewerk, 15 harte Stunden auf dem Acker, keine sehr beneidenswerte Arbeit. Es dämmerte gerade, Niklas ging in die Küche. Schon beim Hereinkommen roch er das Brot; das süß-malzige Aroma des gerösteten Getreides stieg ihm in die Nase.
Seine Mutter stand am großen, klobigen Holztisch, den Rücken ihm zugekehrt. Ihre dunkelbraunen Haare waren zu einem Dutt zusammengesteckt, darüber hatte sie ein Kopftuch gebunden. Während Niklas jetzt näher kam, konnte er nur die Nase seiner Mutter sehen, die aus dem Rahmen des Kopftuchs herausstach, das ganze hagere Gesicht sah er erst, als sie es drehte.
»Guten Morgen, Mutter!«
Sie lächelte ihn an.
»Da bist du ja, fein, dann können wir ja anfangen.«
Sie hatte natürlich bereits längst begonnen, war, wie schon seit jeher, eine Stunde vor allen anderen aufgestanden.
Die Reihenfolge war immer dieselbe: Erst Mutter, dann Vater, dann Niklas als Ältester; seine vier jüngeren Geschwister mussten erst aufstehen, wenn der Vater bereits auf dem Feld war. Er war im morgendlichen Gewimmel recht reizbar. Niemand hatte Lust, am frühen Morgen bereits Prügel oder wenigstens Schläge zu beziehen.
Eigentlich war der heutige Tag nicht nur Brau-, sondern auch Backtag. Das Backen war aber so alltäglich, dass man nur vom Brauen sprach.
Schnell hatte Niklas eine Portion Gerstenbrei mit Milch verschlungen. Mutter hatte schon alle Zutaten bereitgestellt. Am Vortag war Niklas mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Matthias zur Mühle gelaufen, was den ganzen Tag lang gedauert hatte. Der gemahlene halbe Scheffel Gerste sollte ausreichen, um genügend Bier und Brot für zwei Wochen herzustellen.
Das Bier vom letzten Mal war bereits verdorben, und in sechs Tagen war St. Michaelis. Wenn sein Vater an seinem Namenstag kein Bier im Hause hatte, würde er bestimmt tobsüchtig. Es war, Gott sei Dank, bisher noch nicht vorgekommen.
Natürlich hatten sie beim Bierbrauen des öfteren Fehlschläge erlitten, aber das war gut so, denn das hatte jeder. Ständige Erfolge beim Bierbrauen waren verdächtig, diese Leute waren mit dem Bösen oder dem Übersinnlichen im Bunde, man ging ihnen aus dem Weg. Nur für Michaelis musste es klappen, Ende September war die Arbeit auf dem Feld fast getan, da musste ein gutes Bier her.
Die Mutter hatte bereits Wasser in den großen hölzernen Zuber gefüllt. Der jahrelange Gebrauch hatte dessen Farbe ausgelaugt und den Boden mürbe gemacht. Schon bald würden sie einen neuen Zuber brauchen.
Jetzt leerten sie gemeinsam einen Sack zerstoßene Gerste ins Wasser.
Niklas ergriff einen hölzernen Prügel und begann, mit diesem das Mehl zu verrühren. Dieser Teil war für ihn immer am mühsamsten. Während seine Mutter am glühenden Ofen hantierte und Feuerholz nachlegte, rührte er mit der ganzen Kraft seiner elf Lebensjahre in dem Zuber.
Nach ein paar Minuten Rühren kam seine Mutter und begutachtete seine Arbeit, wie sie es jedes Mal tat. Dann nahm sie, wie immer, einen ersten Klumpen Teig und formte ihn mit geübten Handgriffen zu einem Laib. Zuerst buken sie immer das Brot, im Anschluss daran machten sie Bier. Der erste Laib verschwand im Ofen, die Mutter formte bereits den nächsten. Die gesamte Menge des Getreides musste für ungefähr 15 Laibe Brot reichen. Sieben zum Essen, acht zum Bierbrauen. Wenn etwas übrig blieb, wurde gegen Ende noch ein letztes Brot gebacken. Das wurde dann zum Kloster geschickt, für die Armen. Obwohl Niklas’ Familie ebenfalls arm war, hatten sie doch stets etwas übrig für die noch Ärmeren.
Außerdem wussten die Klosterherren sehr gut Bescheid über die Güte der Ernten und erwarteten als selbstverständlichen christlichen Obolus mindestens ihren Zehnten.
Der erste Laib war fertig. Außen schwarz verkohlt, kam er aus dem Ofen, um Platz für den nächsten zu machen. Die Mutter wusste genau, wie schwarz ein Brot sein musste, um innen genau richtig gebacken zu sein. Niklas liebte es, die schwarze Kruste abzuschaben, um von dem noch warmen Brot ein großes Stück abzubeißen.
Getreide und Wasser waren ihre Hauptnahrungsmittel. Für die Jüngeren gab es manchmal Milch, für die Größeren Bier. Fleisch oder Geflügel kam so gut wie nie auf den Tisch, bisweilen ein Huhn zu Weihnachten. Stattdessen gab es viel Brei oder Suppe aus Gerste, Hirse, Hafer, je nachdem, was gerade geerntet wurde, meist eine Mischung aus Verschiedenem. Selten mal mit etwas Gemüse oder Rüben darin.
Gerade wegen dieser Eintönigkeit liebte Niklas die Back- und Brautage, da gab es frisches Brot, und er saß an der Quelle!
Bis das siebente Brot im Ofen verschwand, hatte Niklas mit seiner Mutter gemeinsam die anderen acht Laibe vorgeformt. Ein wenig Teig war übrig geblieben und schon hatten sie eine weitere, etwas kleinere Kugel geformt. Niklas fegte schnell den Boden, sammelte die Körner auf, die heruntergefallen waren, und verklebte sie mit diesem Rest.
Seine Mutter hatte zeitig das Feuer unter dem großen Wasserkessel angefacht, den Niklas nun geschwind auffüllen musste. Die ›Bierbrote‹ wurden nicht schwarz gebacken. Sobald der erste Laib hellbraun war, nahm die Mutter das Brot aus dem Ofen.
Niklas nahm den heißen Brotlaib und riss ihn der Länge nach auf. Innen war ein matschiger, unfertig gebackener Teig, den Niklas jetzt in den Zuber zurückschüttete. Die immer noch weiche Kruste zerrieb er in kleine Stücke und warf sie dazu.
Der heiße Teig hatte ihm beim ersten Mal an den Händen gebrannt und ziemlich wehgetan, aber nach ein paar Brautagen hatte es ihm nichts mehr ausgemacht.
Als nach etwa eineinhalb Stunden alle acht Brote wieder auf diese Weise in den Zuber zurückgekehrt waren, nahm seine Mutter den Wasserkessel und schüttete das heiße Wasser zu den matschigen Broten. Niklas fing erneut an zu rühren, bis er seine Arme nicht mehr spürte.
In der Zwischenzeit füllte seine Mutter wieder etwas Wasser in den Kessel und gab einige Kräuter hinzu. Was sie genau hinzugab, verriet sie niemandem, aber Niklas wusste, dass es eine Mischung aus Wacholder, Eichenlaub und Laub und Rinde der Esche war.
Einige Zutaten erklärte sie, obwohl Niklas das meiste nicht verstand:
»Wacholder treibt den Harn und reinigt das Blut. Das Laub der Eiche hilft der Verdauung. Die Esche mildert Leiden an Gicht und Rheuma oder Frauenleiden, verzehrt das böse Phlegma im Menschen und erweicht die Milz.«
Jedes Haus hatte sein ganz eigenes Rezept. Sein Vater jedenfalls lobte ›sein‹ Bier immer ganz besonders. Die Rezepte konnten in besonderen Fällen tüchtig abgewandelt werden. Bier und die Kräuter darin wurden gegen fast alle Krankheiten eingesetzt. Nachdem die Kräuter, die die Mutter in den Topf gegeben hatte, kurz aufgekocht waren, wurden sie zum Sud dazugegeben.
Nun vermischte sich der herbwürzige, loheartige Geruch der Kräuter mit dem süßen, aromatischen Duft des Brotes.
Ein letztes Umrühren, dann war die Arbeit getan; jetzt halfen nur noch Glück und Beten.
Es hatte in der späten Nacht ein Gewitter gegeben, das galt schon als gutes Omen. Niklas’ Mutter legte außerdem immer ein Brot auf den Zuber, nachdem dieser erkaltet und abgedeckt worden war. Dieser Glücksbringer hatte sich in vielen Fällen bewährt.
Bis jetzt hatten sie gerade so viel schlechtes Sauerbier produziert, um nicht aufzufallen.
Warum ein Bier einmal gut geriet, ein andermal hingegen sauer wurde, davon hatte Niklas, genau wie seine Eltern, keine Ahnung.
Ebenso wenig aber konnte er ahnen, dass kaum 30 Jahre später wahrscheinlich kein anderer Mensch auf der ganzen Welt so viel vom Bierbrauen verstand wie er, der kleine, arme Bauernsohn aus dem Fränkischen, der bis dahin ein wohlhabender Mann geworden war.
Das Michaelisbier gelang übrigens vortrefflich, und Niklas war mit seiner