Herrenfahrrad "Partizan". Dragan Aleksić. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dragan Aleksić
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Старинная литература: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783982003054
Скачать книгу
wo es einen Zugang zur Straße gibt, eine Werkstatt aufzumachen.

      Eines Tages kommt in der Arbeit ein Ingenieur auf ihn zu:

      „Slobodan, du bist doch aus Jugoslawien. Aus welchem Ort?“

      „Aus Bela Crkva“, antwortet Slobodan, macht sein Arbeitsgerät aus und wundert sich, dass der relativ junge Ingenieur, zehn-fünfzehn Jahre älter als er selbst, ihn auf Serbisch anspricht, wenn auch mit einem starken deutschen Akzent. „Aus Bela Crkva im Banat.“

      „Beim Fluss Nera?“

      „Ja.“

      „Dort, beim Fluss Nera, wurde mein Vater erschossen. Er und weitere dreißig Bewohner aus Karlsdorf. Ich selbst war auch dort. Ich war damals dreizehn Jahre alt. Ein Partisan ließ mich nach Hause. Er sagte zu meinem Vater: Sag deinem Sohn, er soll nach Hause gehen.“

      „Du bist Hans Sonnleitner?“

      „Ja, woher weißt du das?“

      „Mein Vater war dieser Partisan. Er erzählte mir davon, es hatte sich am Ende des Krieges zugetragen. Mehrmals sprach er davon. Er wurde einige Monate vor der Befreiung als Partisan rekrutiert. Dabei hatte er nie zuvor gekämpft, nicht einmal einen Schuss abgegeben. Er war keiner von denen.“

      „Dein Vater hat mir das Leben gerettet und jetzt bist du da. Ein Wunder. Unsere Väter haben sich an der Nera getroffen und wir hier bei Siemens.“

      „Mein Vater hat dir das Leben gerettet und dann hat er deinen Vater getötet.“

      „Nein. Das glaube ich nicht. Er hat nicht auf meinen Vater geschossen.“

      „Doch, hat er.“

      „Nein, hat er nicht. Das kann nicht sein. Ich habe gesehen, wie er mit meinem Vater sprach. Er hat auch mich angeschaut ... er war es nicht.“

      „Doch. Obwohl er nicht wollte. Sein Plan war es, beim Befehl Zielen sein Gewehr zu heben und so wie alle anderen auf die Reihe der Deutschen zu zielen, und beim Befehl Feuer die Augen zuzumachen, mit der Mündung seines Gewehrs nach oben zu zielen und zu schießen, komme was wolle. Möglicherweise würde seine Patrone zwischen zwei Leuten hindurchfliegen, oder über ihre Köpfe hinweg ... aber dein Vater sagte zu ihm: Du hast meinen Sohn gerettet. Ich danke dir, Gott schütze dich. Du bist ein Mensch, ein guter, guter Mensch. Wenn du willst, rette auch mich. Schieß auf mich. Ziel gut und schieß mir ins Herz. So wird es am besten sein, so werde ich mich nicht plagen müssen. Die anderen könnten mich bloß verletzen, das tut dann weh, und dann kommt einer von ihnen zu mir und schießt mir direkt in den Kopf. Derjenige wird mich dann anschauen müssen, ich werde ihn anschauen müssen. Beim Befehl Zielen zielte mein Vater auf deinen Vater, und beim Befehl Feuer schoss mein Vater deinem Vater ins Herz.“

      Wie Vaso Mraović dem Tod zuvorkam

      Der Arzt hatte Vaso Mraović gesagt, er sei krank. Ernsthaft krank.

      Wie lange noch?

      Na ja, ein Jahr. Es tut mir leid.

      Meine Mutter ist sechzig geworden. Der Alte dreiundsechzig. Meine Frau war zweiundsechzig, als sie gestorben ist. Ein ganzes Jahr als Flüchtling. Hier im Krankenhaus. Die Ärzte sagten, es sei Leukämie. Aber ich glaube, sie ist vor Trauer krepiert. In der Nacht, in der sie starb, sagte sie der Nachtschwester: Ružica, ich bin dann mal weg.

      Wohin denn, Mütterchen?

      Zu meinem Miloš.

      Wer ist denn Miloš, mein Mütterchen?

      ... mein einziger Sohn ... mein Augenlicht.

      Sie ist vor Kummer gestorben. Wie so viele ... ich bin jetzt sechsundsechzig, und wenn ich dieses eine noch vollmache, von dem du da sprichst, dann sind es siebenundsechzig. Genug.

      Der Arzt zog eine Flasche aus dem Schrank, tat sie in eine Plastiktüte und stellte sie vor Vaso auf den Tisch: Nimm das mit. Das ist für den anderen Stiel.

      Ein Jahr zuvor hatte der Arzt auf dem Markt zwei Äxte gekauft, eine große und eine kleine. Er brauchte sie für sein Wochenendhaus im Wald. Der Verkäufer hatte ihm gesagt, wenn er einen guten Stiel wolle, solle er einen alten Flüchtling aus Kroatien aufsuchen, in den einstigen Brigadiersbaracken am Waldrand.

      Den Wald hatte es früher nicht gegeben. Den hatten Brigadiere aus ganz Jugoslawien gepflanzt. Sie kamen jahrelang, jeden Sommer. Sie pflanzten und pflanzten, und jetzt ist hier ein schöner Wald, ziemlich groß. Jugoslawien gibt es nicht mehr, den Wald schon, und in den zahlreichen Baracken waren nach 1995 die Flüchtlinge aus Kroatien untergebracht.

      Der Arzt fand Vaso, gab ihm die Äxte und fragte ihn, wann die Stiele denn fertig wären.

      Komm in zwei Tagen wieder.

      Gemächlich schnitzte Vaso die Stiele. Zuerst den für die größere Axt, dann für die kleinere.

      Der Arzt kam die Stiele abholen: Er sieht, dass sie schön sind, kräftig. Sie sehen ausgezeichnet aus. Was meinst du, wie lange sie wohl halten werden?

      Wenn du richtig hackst, überleben sie dich vielleicht sogar.

      Zeig mir, wie man Holz hackt.

      Vaso zeigte ihm, wie man Holz hackt. Dann setzten sie sich am Waldrand auf einen Baumstamm und rauchten, schweigend.

      Der Arzt stand auf: Vaso, das hast du schön gemacht. Sag mir, was ich dir schuldig bin.

      Nichts. Ich hab das einfach so geschnitzt, um mir die Zeit zu vertreiben. Jetzt bin ich hier, da kommt mir ein wenig Abwechslung ganz gelegen. Meine Frau ist tot ... nimm es einfach, möge es dir zum Besten dienen.

      Der Arzt ging zum Auto und kam mit einer Whiskyflasche wieder: Wenn du schon kein Geld willst, nimm das hier. Ich habe es von einem Patienten. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, bekommst du noch eine Flasche. Für den anderen Stiel.

      Die Baracken waren früher voller Leute, junge und alte. Langsam, mit den Jahren, gingen die Jungen ins Ausland, die Alten starben. Es starben wirklich viele Leute. Manche Alten gingen in den Wald und kamen nicht mehr zurück. Weit von ihrem Haus und Herd und ihren Gräbern.

      Vaso Mraović überstand den Winter in seinem Zimmer: zwei Eisenbetten, ein Tisch, zwei Stühle, ein kleiner Herd, ein Wasserkanister, drei Kaffeetässchen, eine Stielkanne, ein Brett an der Wand, darauf eine Tüte Zucker, eine Tüte Salz, fünf Teller, eine kleine Schachtel mit Löffeln, Gabeln und Messern, zwei Rollen Toilettenpapier, eine Laterne, daneben eine Kerze, eine Streichholzschachtel, ein Haufen Tablettenschachteln, auf dem Boden eine Holztruhe, als Lampe eine nackte Glühbirne in der Fassung, ein Fenster. In der Baracke zehn kleine Zimmer auf beiden Seiten des Flures. Am Ende des Flures eine Herren- und eine Damentoilette.

      Als der Wald ergrünt war, rechnete sich Vaso aus, dass ihm noch ungefähr ein Jahr geblieben war. Er packte seinen Jagdrucksack. Er tat einen kleinen Klappspaten hinein, den er vor langer Zeit in Zagreb auf einem Armee-Trödelmarkt gekauft hatte, alle Arzneischachteln von ihm und seiner Frau, eine Flasche Wasser.

      Er klopfte an die gegenüberliegende Tür.

      Joka, lebst du noch?

      Ich lebe noch, Vaso, genau wie du. Warum sollte ich denn nicht mehr leben?

      Joka, ich wollte mich verabschieden. Ich gehe nach Hause.

      Wo willst du denn hin, Vaso, hast du den Verstand verloren?

      Ich gehe meine Leute besuchen, das Land meiner Väter und Großväter ... ich hab nicht mehr viel Zeit, daher will ich es noch einmal sehen. Die Luft riechen, mich am Wasser satt trinken ...

      Vaso, dort geht man nicht mehr hin ... sie werden dich abschlachten, so wie sie Miloš geschlachtet haben.

      Vaso fuhr mit dem Bus nach Belgrad, dann mit dem Zug nach Zagreb. Am Zagreber Hauptbahnhof stand er lange und schaute die Leute an, die irgendwo hinreisten oder zurückkehrten, an ihm vorbei gingen, genauso sprachen wie er selbst. Er dachte sich: als hätte es nie Krieg gegeben.

      Zwei Stunden später