Als ob sie seine Gedanken gelesen und Mitleid mit ihm bekommen hätte, ließ ihn die Kreatur los. Verängstigt und sich die blutende Schulter haltend, robbte Rien unbeholfen von dem schwarzen Wesen weg. Obwohl es wahrscheinlich nicht das war, was er im Augenblick vor sich sah, so war das ganz sicher keine normale Katze.
Vielleicht handelte es sich um irgendein grässlich missglücktes Bioexperiment, das aus einem strenggeheimen Militärlabor entkommen war. Er stellte sich das Labor bildlich vor, vollgestopft mit Reagenzgläsern voller Chemikalien, die in den unterschiedlichsten Farben blubberten – hauptsächlich in grün – und in dem sich überall Spulen und Drähte wanden, durch die ungesichert und funkenstobend Elektrizität floss. Alle Wissenschaftler trugen übergroße Brillen und Albert-Einstein-Frisuren, sprachen mit deutschem Akzent und beschäftigten bucklige, mit Narben an den Köpfen versehene Assistenten, die auf Namen wie »Igor« oder »Rasputin« hörten.
In einem solchen Labor war die Kreatur als Experiment gezeugt worden – ein einziger Fehlschlag – und wenn sich nicht einer der Igors oder Rasputins erbarmt hätte und es ohne Wissen des leitenden Professors Todtschlag, einer anerkannte Koryphäe auf seinem Gebiet, in seinem Spind aufgezogen hätte, dann hätte man diese Kreatur wieder genau dorthin zurückgeschickt, woher sie gekommen war: in die Hölle. Doch stattdessen war sie umsorgt worden, und sie war gewachsen und immer größer geworden, bis sie irgendwann zu dem gemeinen, hinterhältigen Biest ausgewachsen war, das sie immer hatte werden sollen und als erstes ihren armen, nichtsahnenden und liebevollen Igor- oder Rasputin-Vater hingeschlachtet hatte. Der ungläubige Ausdruck in seinem Gesicht war herzzerreißend gewesen. Doch er war nur das erste Opfer an diesem Tag, denn die restlichen Igors und Rasputins und verrückten deutschen Wissenschaftler des Labors sollten folgen, ehe die Kreatur zuletzt ihren Schöpfer Professor Doktor Wilhelm Todtschlag gegenüberstand.
Es wurde nie genau geklärt, was an diesem Tag zwischen ihnen passiert war, aber der Professor überlebte unverletzt. Seit diesem Tag wurde die Bestie jedoch unter Hochdruck vom Militär unter Leitung von Professor Todtschlag gejagt.
»Was bist du?«, schluchzte Rien, der Angst verspürte, gepaart mit dem Gefühl, vom Leben ungerecht behandelt zu werden.
Der kleine Teufel musterte Rien aufmerksam. Er leckte sich das Blut von der Schnauze, ehe sich seine zierlichen Beißwerkzeuge abermals bewegten:
»Man nennt mich Nachtmahr. Ich bin ein Alb«, sprach die Kreatur unvermittelt »Du bist in großer Gefahr. Wenn du weiterleben möchtest, dann solltest du in Zukunft auf mich hören.«
Rien verstand gar nichts. Aber plötzlich wirkte seine Hypothese mit Professor Todtschlags Labor gar nicht mehr so abwegig.
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