Mit diesen Worten ergriff sie das Licht und trat kühn in das Schlafzimmer. Sally bekam ebenfalls wieder Mut, als sie ihre Herrin ohne Furcht vorangehen sah. Kein Blatt regte sich in den Zweigen des Baumes am Fenster, und das Innere des Zimmers war so ruhig wie Djali, die ihr Bad verlassen und sich in einen mit Decken ausgefüllten Binsenkorb gelegt hatte, der ihr als Bett diente. Mit demselben Mut, mit dem sie eingetreten war, schloss Arabella die Flügel der Fenster und zog die Vorhänge zusammen.
Nach zehn Minuten lag Arabella unter der leichten, seidenen Decke ihres Bettes und dachte über die Vorfälle des Abends nach, und je mehr sie darüber nachdachte, desto ruhiger wurde sie, denn sie sah ein, dass Arthur in keinem Fall Anlass zu Argwohn nehmen konnte. Den kleinen Streit, den die Bäume vor den Häusern von New Orleans erregt hatten, hielt sie für einen Zufall, der mit dem Gesicht am Fenster durchaus nicht in Verbindung zu bringen war. Schon streckte der mohnbekränzte Schlummergott seine Arme nach dem reizenden Mädchen aus, als plötzlich ein Gedanke sein Köpfchen durchfuhr, der den wohltätigen Gott wieder verscheuchte.
Und wenn dieses Gesicht dennoch einem Liebhaber gehört hätte, war dieser Gedanke, wenn vielleicht ein abscheulicher, wilder Indianer dich zufällig gesehen hat und dir nun nachstellt? Sollte Arthur die Indianer nicht gemeint haben, als er von den Bäumen vor den Fenstern sprach? »Hu«, rief sie halblaut aus, »wenn ein solcher Mensch seine Arme nach mir ausstreckte – entsetzlich! – Doch nein«, fügte sie nach einer Pause hinzu, »Arthur wird mich schützen und vor den Angriffen dieser Leute sichern. Gute Nacht, mein lieber Freund, gute Nacht!«
Mit einem Lächeln, das die Eitelkeit hervorgebracht hatte, entschlummerte Arabella endlich.
Als Sally in ihr Zimmer trat, verschloss sie das erhaltene Goldstück in einem Kästchen, das noch eine Anzahl ähnlicher Münzen enthielt, denn es ließ sich ein heller Klang vernehmen, als sie es hineinwarf. Ob alle diese Goldstücke Geschenke von Arabellas Liebhabern waren, können wir nicht sagen, nur so viel glauben wir mit gutem Gewissen versichern zu können, dass sie die Zofe weder gefunden noch geerbt hatte.
Sollte man indes vermuten, das hübsche Kammermädchen fürchtete sich und dachte noch mit Schrecken an das braune, wilde Gesicht in dem Fenster des Schlafzimmers, so irrt man sich; Sally entkleidete sich mit ihrer gewöhnlichen Ruhe, schlüpfte wie ein Aal ins Bett und dachte zwar an die Erscheinung, aber nicht mit Schrecken, sondern mit der Meinung: Ich hätte auch diesem Gesicht die Tür geöffnet, wenn es meinen kleinen Schatz um einige Goldstücke vermehrt hätte.
Sally war zwar eine Engländerin, aber listig, gewandt und fein wie eine Französin.
Herrin und Zofe schlafen, wir wollen Sir Arthur auf seinem Heimweg begleiten.
Als der Portier die große Flügeltür hinter ihm geschlossen hatte, wandte er sich nach links und ging raschen Schrittes die vom Mond hell beleuchtete Straße hinab. Die einzelnen Bäume vor den Häusern, von denen einige einen nicht unbedeutenden Umfang hatten, warfen lange Schatten über den hellgrauen Boden der breiten Straße, sodass die eine Seite derselben dunkler war als die andere. Unser Held hielt sich auf der Seite, die nicht von den Bäumen beschattet wurde. Außer ihm und seinem Schatten, der mit langen Schritten neben ihm ging, befand sich kein lebendiges Wesen in der ganzen Straße. Die Bäume hatten diese Nacht ein ganz besonderes Interesse für den Dandy, denn sein Blick flog von einem zum andern, je nachdem er ihm näher kam. Dies ist wohl erklärlich, wenn man das Gespräch mit Arabella bedenkt. Der Anblick der Körper und ihrer Schatten, die sich in mannigfacher Gestalt zeigten, gewährten unserm Arthur die einzige Unterhaltung, denn die Erinnerung an die Szenen, die er mit Arabella gehabt hatte, wagte er nicht anzuregen, da sich die verunglückte Eifersuchtsszene immer in den Vordergrund drängte und ihm eine leise Schamröte ins Gesicht trieb – an Jenny, seine ihm bestimmte Braut, mochte er auch nicht denken, da ihm sein Herz, das der Leichtsinn noch nicht völlig besiegt hatte, Vorwürfe zu machen begann – und an seine übrigen Verhältnisse mochte er noch viel weniger denken, da sie sich in einem höchst beklagenswerten Zustand befanden, denn Arthur lebte wie ein Millionär, obgleich er kaum die Einkünfte eines preußischen Seconde-Lieutenants hatte. Er nahm also das Nächste, was ihm Zerstreuung bot, und dies waren die Bäume. Während er so über diese Wesen und ihre Nützlichkeit seine Betrachtungen anstellte, sah er in geringer Entfernung einen Baumschatten an der Erde, in dessen Umrissen eine lebhafte Bewegung stattfand. Es war natürlich, dass auch der Körper, der diesen Schatten warf, in Bewegung sein musste; aber wodurch sollte diese Bewegung verursacht werden? Die Luft war still und schwül, sodass sie kein Blättchen knistern ließ – von ihr konnte also keine Bewegung hervorgebracht werden, zu der mindestens die Kraft eines Herbststurmes erforderlich war. Aber selbst wenn in diesem Augenblick ein Orkan durch die Straße getobt wäre, so hätte sich seine Kraft an allen Bäumen äußern müssen, und nicht nur an dem einen – der Grund musste also in den Zweigen selbst liegen.
Einige Sekunden blieb Arthur stehen und betrachtete dieses Schattenspiel. In gleichmäßigen Schwingen bogen sich die Zweige auf und nieder und schienen nur dann und wann langsamer zu werden, um mit erneuerter Kraft ihre Bewegungen fortzusetzen. Leise schlich der Neugierige an die Häuser, wo die Bäume standen, und schlich ebenso leise von einem Baum zum andern, bis der nächste vor ihm der war, in dessen Zweigen die geheimnisvolle Bewegung stattfand.
Das Rauschen der Blätter schlug jetzt an sein Ohr; mit den Blicken aber konnte er nichts wahrnehmen, da die untersten Zweige ein dichtes Dach bildeten. Kaum hatte er dies bemerkt, als er mit einem leichten Sprung unter diesem Dach stand. Plötzlich schwieg das Rauschen und Arthur hörte folgendes Gespräch:
»Betty«, flüsterte die Stimme eines Mannes in den Zweigen, »schon seit einer Viertelstunde setze ich den ganzen Baum in Bewegung, um mich dir bemerkbar zu machen, und du hörst immer noch nicht – Betty, bist du am Fenster?«
»Pst! Pst! Pst!«, zischelte eine Stimme in dem Fenster des Hauses, vor dem der Baum stand.
»Öffne doch den Flügel, dass ich einsteigen kann – mich schmerzen die Füße, denn der Zweig ist dünn, auf dem ich stehe!«
»Um Gottes willen, nicht so laut!«, flüsterte die Stimme einer Frau, und Arthur hörte deutlich, dass sie in großer Angst sein musste.
»Bist du nicht allein, süße Freundin?«
»Nein, nein!«
»Ist dir ein Unglück widerfahren?«, flüsterte die Stimme in dem Baum mitleidig.
»Mein Mann ist zu Hause«, war die traurige Antwort.
»O weh! Ist er in deinem Zimmer?«
»Nein, er ist schon zu Bett gegangen; ob er aber schläft, weiß ich nicht.«
»Der Esel! Warum ist er nicht auf seiner Pflanzung?«
»Er sagt, er sei krank. Doch wenn dir meine Ruhe lieb ist, William, so verlass den Baum und kehre für heute still nach Hause zurück.«
»Ohne einen Kuss von dir erhalten zu haben? Betty, süßes Weib, was verlangst du? Nur fünf Minuten lass mich ein, ich beschwöre dich!«
»Wo denkst du hin? Das Schlafzimmer meines Mannes grenzt an dieses Zimmer, sein Fenster wird fast von den Zweigen berührt – er wird uns hören! Geh, William, morgen Abend bin ich allein!«
»O dieser alte Pflanzer – dass ihn ein brauner Bär verschlungen hätte! Also morgen um Mitternacht?«
»Ich erwarte dich, geliebter Freund. Kommst du auch gewiss?«
»Wenn mir Hände und Füße den Dienst nicht versagen, ersteige ich um Mitternacht diesen Baum. Schlaf wohl, herrliche, unglückliche Betty!«
Statt der Antwort auf diesen herzlichen Gruß krachte ein Schuss aus dem Fenster des Hauses. In den Blättern des Baumes rauschte es, als ob ihn ein Hagelsturm durchsauste und ein unterdrückter Schrei scholl daraus hervor. Ein zweiter durchdringender Schrei ließ sich am Fenster vernehmen.
Die tragische Wendung dieser erotischen Szene berührte den lauschenden Arthur so unangenehm, dass er mit einem Satz in der Mitte der hellen Straße war und eiligen