Die Kunst Einwanderer zu sein. Andrzej Olkiewicz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andrzej Olkiewicz
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783969405185
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auf ein Leben als Emigrant? Überhaupt nicht!

      Ich war – wie so viele andere Emigranten – vollkommen ahnungslos. Ich glaubte, wenn ich nur erst die Sprache erlernen würde, würde ich ein erfolgreiches Leben führen können. Ich sah mein Ausländersein als Zugang, als etwas, was mich in den Augen der neuen Umgebung interessant machte. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass mein neues Umfeld mich aus völlig anderem Blickwinkel sehen könnte. Ich ahnte nicht, dass die Emigration Ausgestoßensein, Schimpfwörter und Einsamkeit mit sich brachte. Ebenso wenig vermochte ich die Andersartigkeit der Kultur des neuen Landes, also das, was eine so starke Anziehung auf mich ausgeübt hatte, richtig zu deuten oder zu verstehen. Stattdessen wurde ich frustriert und begann, die neue Gesellschaft als mir gegenüber feindlich eingestellt zu betrachten.

      Ich habe in meinem Emigrantenleben die meisten Fehler gemacht, die ein Mensch in einem fremden Land machen kann. Durch meine Lebensweise arbeitete ich meinem eigenen Wunsch nach einem entspannten und normalen Leben in der Gesellschaft zuwider. Für Vieles hatte ich kein Verständnis und unbewusst errichtete ich um mich herum unnötige Mauern. Die paar wenigen, die sich mir gegenüber nicht gut verhielten, färbten meine Sicht auf das gesamte Volk. Es machte auch keinen Unterschied, dass ich zur gleichen Zeit auf ganz viele wunderbare Menschen traf.

      In meiner Einsamkeit und Unsicherheit suchte ich die Nähe meiner Landsleute und anderer Ausländer. In dieser konformen Umgebung bestärkten wir uns dann gegenseitig in unserer negativen Auffassung gegenüber dem neuen Land. Unsere Kontakte mit Schweden beschränkten sich auf Kollegen am Arbeitsplatz und Freundinnen.

      Während meiner ersten Jahre in Schweden arbeitete ich als Metallarbeiter, Seemann, Zeichner und Ingenieur. Erst einige Jahre später bildete ich mich an der Universität weiter und wurde Geologe. Das war der Auftakt dafür, dass ich in zwei weiteren Ländern, Saudi-Arabien und Abu Dhabi, insgesamt vier Jahre leben und arbeiten sollte. Diese Länder sind ausgeprägte Einwandererländer mit Menschen aus allen Ecken der Welt. Dort traf ich sowohl privat als auch im Arbeitsleben Menschen unterschiedlicher Nationalität und Gesellschaftsschichten.

      Alle diese Erfahrungen habe ich in dieses Buch mit einfließen lassen.

       Es gibt der Welten viele. Und jede ist anders.

       Jede ist wichtig.

       Und man muss sie kennenlernen, denn die anderen Welten, die anderen Kulturen sind wie Spiegel, in denen wir uns selber besser kennenlernen, denn es ist unmöglich, die eigene Identität zu bestimmen, solange wir sie nicht mit anderen konfrontiert haben.

      Ryszard Kapuściński4

       DEN SCHRITT ÜBER DIE ZWEITE GRENZE NEHMEN

      Auf jeden Emigranten warten zwei Grenzen. Die erste ist die politische Grenze, die wir überschreiten, wenn wir das Heimatland verlassen. Die zweite, die psychologische, überschreiten wir, wenn wir den Beschluss fassen, uns dem neuen Land mit Verständnis und Akzeptanz zu nähern. Alle, die ihr Land verlassen, verlassen gleichzeitig das gewohnte heimatliche Leben und die Menschen, mit denen sie zusammen aufgewachsen sind. Auf der einen Seite der Grenze gibt es die selbstverständliche Zusammengehörigkeit, auf der anderen findet man die Fremde. Und dabei spielt es keine Rolle, ob die Auswanderung freiwillig erfolgte oder durch ein hartes Schicksal aufgezwungen wurde. Die neue Situation bringt immer Frustrationen mit sich.

      Zunächst kommt der Entschluss, das Heimatland zu verlassen. Danach haben wir die Wahl, entweder Fremder zu bleiben oder über die „zweite Grenze“ zu gehen, also die Außenseiterrolle zu verlassen und uns in die neue Gesellschaft zu integrieren.

      Der Weg hin zu dieser zweiten Grenze ist lang und mühsam. Wichtig ist dabei, dass wir ihn wirklich gehen wollen. Obschon wir dabei nicht alleine sind, sind wir in gewisser Weise immer einsam. Die größten Hindernisse auf diesem Weg sind unsere Gewohnheiten, Vorurteile und Bequemlichkeit. Erst wenn wir über diese Hindernisse hinweggekommen sind, wissen wir, dass wir die zweite Grenze passiert haben. Vieles wird auf dieser Reise gelernt –

      Das Wichtigste, was man lernen kann, ist sich selbst kennenzulernen.

       Integration handelt nicht nur von sozioökonomischen Problemen sondern auch von soziokulturellen Fragen und muss von beiden Seiten kommen. Das Individuum muss sich integrieren wollen und die Gesellschaft muss die Voraussetzungen schaffen, damit dies möglich werden kann.

      Ayaan Hirsi Ali5

       DIE VERANTWORTUNG DER GESELLSCHAFT

      Wenn wir in einer paradiesisch offenen und konfliktlosen Gesellschaft leben würden, wäre dieses Buch überflüssig. Ebenso im entgegengesetzten Fall, also wenn jene Gesellschaft nie irgendeinen Fremden über die Schwelle kommen ließe. Nun ist das aber nicht so. Ein Paradies auf Erden gibt es nicht und ebenso wenig gibt es hermetisch abgeschlossene Länder.

      Ich möchte in diesem Buch über unsere Rolle und unsere Verantwortung als Einwanderer schreiben, und darüber, was wir tun können, um die Tür von unserer Seite aus offen zu halten. Aber ein einzelner Einwanderer vermag wenig und selbst der stärkste ist schwach, wenn die Gesellschaft nicht mithilft und alles tut, um ihre Türen zu öffnen. In einer Demokratie ist es die Pflicht der Gesellschaft, dafür zu sorgen, dass alle Menschen, die innerhalb der Landesgrenzen wohnen, ihren angemessenen Platz darin finden.

      Der Forscher Ronald Taft schreibt in seinem Buch From Stranger to Citizen (Vom Fremden zum Bürger), dass die Einstellung der Einwanderer zu Australien und der Bevölkerung des Landes in hohem Grade darauf beruhte, wie sie bei der Ankunft behandelt wurden.6 Gruppen, die diskriminiert wurden, schlossen sich schnell in ihren nationalen Gruppen zusammen und isolierten sich von der Gesellschaft.7 Die Gruppen, vor allem Briten, die von der Umgebung freundlich empfangen wurden, kamen schnell in die Gesellschaft hinein. Das Erleben von Vorurteilen und Diskriminierung spielte für die Anpassung der Einwanderer eine wichtige Rolle.

      Kurz gesagt: Freundlichkeit bringt Freundlichkeit hervor.

      Fremdenfeindliche Gruppen gibt es in jedem Land. Ob sie größer oder kleiner sind, hängt in hohem Maße von denen ab, die steuern und Macht haben und wie sie in diesen Fragen agieren. Das bedeutet, der gesellschaftliche Zerfall beginnt immer bei der Führungsspitze. Das polnische Sprichwort lautet: „Der Fisch verdirbt am Kopf zuerst“. Und das ist tatsächlich wissenschaftlich belegt. Professor Freda Hawkins von der Universität in Warwick stellt fest:

       „… in Ländern, in denen Regierungsmitglieder und andere Verwaltungsvertreter sich öffentlich negativ über Einwanderer äußerten, waren Vorurteile und Diskriminierung gegenüber Einwanderern weit üblicher als in anderen Ländern.“ 8

      Der Mensch hat ein Grundbedürfnis, dazuzugehören, Teil eines größeren Ganzen zu sein. Wenn er nicht „einbezogen“ wird, wird er daher andere Alternativen suchen und zur Gesellschaft auf Abstand gehen. Das kann dazu führen, dass die nachfolgende Generation sich in dem Land, in dem sie aufgewachsen ist, fremd fühlt. Deshalb liegt es im Interesse der Gesellschaft, eine möglichst große Offenheit zu schaffen. Es ist leicht, Menschen auszustoßen, aber schwer – um nicht zu sagen unmöglich – mit den Konsequenzen zu leben.

      Politiker, die nicht aktiv mithelfen, eine für alle Einwanderer, gleich welcher Herkunft, offene Gesellschaft zu schaffen, laden sich schwere Verantwortung auf. Die Folgen können verhängnisvoll sein. Wir können bereits jetzt die Ergebnisse einer solchen Politik sowohl in Europa wie auch in der übrigen Welt sehen: Enklaven isolierter Ausländer, die außerhalb leben, oft in Konflikt mit der Gesellschaft oder untereinander. Ghettobildung, Rassismus, Arbeitslosigkeit und Kriminalität sind die Konsequenzen.

      Die Geschichte zeigt, dass es viel Geld und Zeit kostet, Diskriminierung und Separatismus einzuschränken. Das deutlichste Beispiel sind die Schwarzen in den USA, die von der weißen Bevölkerung diskriminiert