Nullmenschen. E.D.M. Völkel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: E.D.M. Völkel
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783347193925
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      »Und er hat mit Sicherheit die Kontakte, um an eine Statistik heranzukommen, wie hoch die Sterberaten zu der damaligen Zeit in den Heimen war. Diese komischen Übereinstimmungen der Namen finde ich recht merkwürdig, und die auffallend hohe Quote an Verstorbene? Da stimmt was nicht.«

      * * * * * * *

      Sorgfältig verpackte er das Nachtsichtgerät, klopfte die vertrockneten Tannennadeln aus der Kleidung und schenkte sich bereits die dritte Tasse Kaffee ein. Aus welchem Grund auch immer, die eisige Kälte der vergangenen Nacht saß in seinen Gliedern und wollte partout nicht weichen. Niemals rechnete er damit, dass die Zielpersonen derartig lange miteinander sprechen würden. Innerlich hatte er sich das Ende herbeigesehnt, doch die beiden Männer sprachen bis zum Morgengrauen miteinander. Trotz der hervorragenden Ausrüstung war sein Beschattungsauftrag erheblich aufwendiger als im Voraus beschrieben.

      Endlich klingelte sein Handy. Rasch stellte er die Kaffeetasse auf den Tisch und meldete sich.

      Die frostige Stimme am anderen Ende vertrieb das bisschen vorhandene Wärme aus ihm und seiner Umgebung. Er hatte den Eindruck die Zimmertemperatur war unter null Grad gefallen.

      ›Mann, reiß dich zusammen‹, dachte er und berichtete gehorsam vom Treffen zwischen Julius Kralleths und Jens Schmidt. Der spontanen Flucht, der Rückkehr und dem nachfolgenden, extrem langen Gespräch auf der Lichtung. Für einen kurzen Moment herrschte Schweigen, dann hörte er die Anweisung, sich für einen neuen Auftrag bereit zu halten.

       ›Aber gerne doch, so lange die Bezahlung ebenso fürstlich ist, steh ich dem Kerl jederzeit zur Verfügung. Diesen Bonus lass ich mir doch nicht durch die Lappen gehen.‹

      * * * * * * *

      ›Seit ich bei Julius war hat sich alles umgekrempelt. Liegt das an mir? Habe ich mich verändert?‹ Jens sah sich unauffällig um. ›Verdammt, lass dich von Melanie nicht anstecken. Er ist nicht so. Außerdem habe ich die Ergebnisse meiner eigenen Nachforschungen. Da gibt es derart große Lücken, es stinkt zum Himmel und ist Meilen weit zu sehen. Aber niemand hat sich jemals darum gekümmert!‹

      Unvermittelt blieb er auf seiner Laufstrecke stehen, schraubte die extra für Läufer geformte Trinkflasche auf und nahm einen Schluck. Dabei dreht er sich wie zufällig um die eigene Achse und begutachtete die Umgebung. Der Raureif hatte bizarre Muster an den Zweigen der Büsche und Ästen der Bäume mit ihrem trockenen Laub gebildet. Gab es um diese frühe Uhrzeit im Halbdunkeln und bei Minusgraden noch andere Läufer oder Radfahrer? Vielleicht Spaziergänger oder gar Kinder? Immer wieder beschäftigte ihn der Abend mit seinem Bruder auf der Lichtung im Wald nahe dem Clubhaus. Erneut schweiften die Gedanken zu den Schuldzuweisungen der Vergangenheit ab.

      ›Er wusste immer über uns Bescheid, ich habe ihm Unrecht getan‹, lies es ihn seit Tagen nicht mehr los.

      Das unbestimmte Gefühl, es sei jemand in seiner Wohnung gewesen, hatte die Probe aufs Exempel bestätigt. Der hauchdünne Faden zwischen Wohnungstür und Wand war zerrissen, als er vom Training nach Hause kam. Den prüfenden Blick durch die Zimmer konnte er sich nicht verkneifen, obwohl er bereits wusste, dass nichts fehlte. Was bezweckten sie damit? Sollte ihn dieses Vorgehen verunsichern, mürbemachen oder ihm aufzeigen, dass niemand sicher war? Dass es immer Mittel und Wege gab in die Privatsphäre einzudringen und die persönlichsten Geheimnisse anzusehen?! In dieser Drei-Zimmer-Wohnung waren er und Julius großgeworden, hier war sein zu Hause. Unvermittelt blieb er stehen. Mutters Bild lag mit dem Foto nach unten auf der Kommode in seinem Arbeitszimmer. Anscheinend hatte die nächste Stufe der Verunsicherung begonnen. Unwillkürlich sah er sich um.

      ›Hören sie mich vielleicht ab? Sollte ich Melanie oder einen der Kollegen aus der Kriminaltechnik anrufen und um ein Prüfgerät bitten? Sie besser nicht. Das bestätigt ihre Bedenken nur und hilft mir momentan nicht weiter. Dann nimmt sie Julius ganz auseinander und ich glaube ihm. Mag er sein, wie er will, seine Erklärungen bestätigten meinen seit Jahren gewachsenen Verdacht. Bei den Kollegen habe ich sicherlich die größere Chance und muss nicht irgendwelche Begründungen erfinden.‹ Sein Blick auf die Uhr bestätigte, dass er heute nicht weiterkam und bis Montag warten musste. Sein spezieller Freund hatte dieses Wochenende keine Bereitschaft.

      Missmutig klappte Melanie den Aktenordner zu. Genau wie sie es befürchtet hatte, gab es zu der zweiten Frauenleiche ebenfalls keine brauchbaren Spuren. Ihr wurden professionell die Organe und alles Verwertbare entnommen, der nicht zu verwertende Rest einfach in einen Müllsack gesteckt und entsorgt. Der einzige Unterschied, sie hatte vor mehreren Monaten ein Kind geboren. Es war zum Auswachsen, keine Vermisstenanzeige passte auf die beiden.

      Sabine hatte den ungeheuren Verdacht, dass die Frauen als illegale Leihmütter engagiert wurden und klärte momentan, welche Praxen und Kliniken dafür in Frage kamen. Genügend Interessenten gab es, zumal die Leihmutterschaft in Deutschland verboten war. Dennoch blieb die Frage: Wer zum Teufel weidet diese Frauen aus, anstatt sie nach der Geburt in die Heimat zu entlassen? Welcher geisteskranke Irre war hier am Werk?

      Jens war schon seit einer Woche im Urlaub, weggefahren war er nicht und hatte sich auch kein einziges Mal gemeldet.

       ›Wieso sollte er dies auch tun? Ich bin nicht seine Mutter, er ist ein erwachsener Mann und für sich selbst verantwortlich. Ach verdammt, aber er ist mein Freund und ich mach mir Sorgen um ihn mit seinem allerneusten Bruderkomplex. Soll ich ihn anrufen und einfach mal Hallo sagen, oder empfindet er das sofort als Einmischung?!‹

      Unentschlossen klappte sie die Akten zu, schloss ihren Schreibtisch ab und griff den Mantel vom Kleiderständer.

      ›Ich geh in unser Stamm Bistro, mal sehen, vielleicht ist er ja dort.‹ Die Besitzerin des Charles Bistro & Café begrüßte sie herzlich und sah sie fragend an.

      »Wo bleibt der gutaussehenden Kerl, den Sie Ihren Kollegen nennen? Ist er krank vor Liebeskummer?«, frotzelte sie. »Seit er das letzte Mal die hübsche Blondine abgeschleppt hat, war er nicht mehr hier«, grinste sie vielsagend. Die Kommissarin zuckte mit den Schultern,

      ›Nun gut, das ist schon Wochen her, hier war er also auch nicht.‹ Melanie trank ihr Radler und drehte das Handy immer noch unentschlossen zwischen den Fingern.

      ›Er ist zwar ein Beziehungschaot, aber der beste Kollege, den ich bisher hatte. Lass ihn in Ruhe, verdirb eure Freundschaft nicht‹, ermahnte sie sich, trank aus und verabschiedete sich.

      * * * * * * *

      Das Handy klingelte bereits zum fünften Mal.

      ›Moritz geh dran‹, hoffte Eva inständig, stand vom Schreibtisch auf und betrat den Treppenabsatz.

      »Guude mein Lieber«, hörte sie seine Stimme aus der Diele heraufdringen. »Eva!«, rief er laut, »Dein Handy ist wieder aus oder nicht geladen. Chris für Dich, es gibt Neuigkeiten.«

      Flink rannte sie die Stufen herab, warf ihrem Freund einen Kuss zu und schnappt sich das mobile Telefon.

      »Chris…«,

      »Eva, wie zum Kuckuck soll ich Dich über das Neuste vom Neuen informieren, wenn Du nicht erreichbar bist«, beschwerte er sich mit einem Anflug von Ärger. »Sag Moritz einen schönen Gruß, er soll Dir endlich mal ein brauchbares Handy besorgen«, grummelte er.

      »Es ist mein Fehler, ich leg es in die Dielenschale und vergesse es dort. Tut mir echt leid. Bitte kannst Du mir verzeihen?« Rasch überlegte sie, mit welchem leckeren Essen sie ihn bestechen und aussöhnen konnte.

      »Es gab eine zweite Leiche ohne alles, professionell zerlegt.« Er versuchte, seine normale Stimmlage zu behalten, doch das Schaudern konnte er nicht vollkommen unterdrücken. »Diesmal in Hofheim, auch sie hat vor längerem ein Kind geboren, ist Mitte zwanzig und stammt aus Osteuropa. Verdammt Eva, welcher Irre schlachtet diese Frauen ab und vor allem wieso?«

      »Gab es früher schon mal solche Fälle?«

      »Ich dachte mir, dass Du danach fragen würdest, habe allerdings nichts Vergleichbares gefunden. Die Vermisstenanzeigen ergaben auch keinen Treffer.«