Und ewig grüßt das Murmeltier
Das Leben ist kein Ponyhof. Das braucht man gerade berufstätigen Frauen nicht zu sagen. Sie verdienen – bei gleicher Qualifikation – immer noch weit weniger als Männer. Und zum Ausgleich arbeiten sie dann doppelt so viel im Haushalt. Umso mehr übrigens, je länger sie verheiratet sind – so eine Studie der Uni Bamberg. Was die Geschlechter aber eint: dass man sich vorher immer nicht vorzustellen vermag, wie wahnsinnig lange man später ein und dieselbe Sache tun wird. Routine – das ist auch so ein Ballaststoff in den mittleren Jahren. Und man wird sofort sehr, sehr müde, wenn man mal eben überschlägt, wie oft man als Krankenschwester noch Katheter legen oder Kissen aufschütteln wird oder sich als Friseurin die immer gleichen Urlaubsgeschichten anhören muss. Gar nicht zu reden vom Dauerfrust über einen unfähigen und/oder cholerischen Chef. Mit einem Job verhält es sich im günstigsten Fall wie mit der Liebe. Zu Beginn ist alles neu und aufregend. Man ist begeistert, steckt viel Energie in die Sache, genießt die Herausforderung und springt jeden Morgen voller Tatendrang aus dem Bett. Früher oder später verflüchtigt sich das Hochgefühl.
Langeweile schleicht sich ein, gleichzeitig hat man schon das Maximale dessen erreicht, was möglich ist. Das wären dann die idealen Voraussetzungen, endlich seiner wahren Bestimmung zu folgen: also Schauspielerin zu werden oder Schriftstellerin oder endlich einen Senfladen zu eröffnen oder eine kleine Boutique mit all den Dingen, die man selbst gern kauft – kurz: ein sinnstiftendes Leben zu führen, in dem die Work-Life-Balance aber so was von stimmt.
Ohne Moos nix los
Im Prinzip wäre nichts dagegen einzuwenden, aber solange man noch von Euros lebt und nicht von schönen Ideen, gilt es zunächst einmal an das Naheliegendste, an das Einkommen, zu denken. Ich kenne ausreichend Frauen, die einen Neuanfang gewagt haben – und mittlerweile für weniger Geld mehr denn je arbeiten müssen.
Es lohnt sich deshalb, mit Frauen zu sprechen, die spät noch genau das zu ihrem Beruf gemacht haben, wovon andere träumen. Aber Vorsicht, es könnte sein, dass die Schauspielerin, die sich auf Provinzbühnen und mit Werbung für eine Haftcreme durchschlägt, anfängt zu weinen, wenn sie hört, dass Sie Ihre feste Stelle mit Urlaubsanspruch, Weihnachtsgeld, geregelten Arbeitszeiten und der Aussicht auf eine Rente gegen etwas eintauschen wollen, das einen dazu zwingt, noch mit 84 Jahren Zeitungen auszutragen. Hilfreich auch, sich einfach einmal im Hochsommer einen ganzen Tag lang in einen von diesen hübschen kleinen Läden zu stellen, von denen Frauen so träumen. Nur um zu erleben, wie unfassbar öde es sein kann, nicht mal eben für eine Stunde wenigstens ins Eiscafé gehen zu können.
Die Liste der vermeintlich idealen Beschäftigungen, um sich endlich selbst zu verwirklichen, ist enorm lang. Seltsam nur, dass über jedem dieser vermeintlichen Traumjobs der Satz schwebt, der vermutlich sowieso eigens für Frauen erfunden wurde: „Geld ist nicht alles.“ Man müsste schon Barbie oder Barbara Becker sein. Dann könnte man immer noch Rennfahrerin, Schmuckdesignerin, Astronautin oder Pilates-Model werden. Alle, die von ihrer Arbeit leben müssen, die eine Rente brauchen, vielleicht sogar noch eine Familie finanziell zu versorgen haben, sollten ihre Pläne einem gnadenlosen Realitäts-Check unterziehen. Wenn man sich dann immer noch entscheidet, etwa Psychologie zu studieren, obwohl man befürchten muss, nach dem Abschluss keine Stelle zu finden – Chapeau! Wenn man glaubt, dass die Welt auf eine weitere Familienaufstellerin oder Aura-Soma-Beraterin oder Heilpraktikerin gewartet hat, könnte man allerdings ein ziemliches Fiasko erleben.
Wieso nicht einfach nebenbei das ausleben, was da noch an unentdeckten Talenten und unerfüllten Sehnsüchten in einem schlummert? Eine Freundin schreibt neben ihrem Job in einer Behörde hier in Frankfurt leidenschaftlich gern gute Kurzgeschichten. Eine andere singt in einem Chor. Und eine Kollegin verbringt ihre gesamte Freizeit in ihrem Atelier, wo sie ausschließlich männliche Akte malt. Es hat auch etwas sehr Befreiendes, sich den Spaß an manchen Dingen nicht dadurch zu verderben, dass man damit dringend Geld verdienen muss.
Später ist früher, als man denkt
Eigentlich kann man ohnehin froh sein, mit über 40 überhaupt noch einen Job zu haben, selbst wenn er einen langweilt. Ich kenne einen privaten Stammtisch von Frauen aus der Werbebranche. Als er gegründet wurde, waren die meisten Teilnehmerinnen um die 30. Jetzt sind sie Anfang 40 und bis auf zwei Frauen haben alle ihre Jobs verloren. Einige wenige sind nach längerem Suchen in anderen Agenturen untergekommen. Die überwiegende Mehrheit jedoch versucht sich mangels Alternativen als Selbstständige durchzuschlagen. Die Kampagnen für die Produkte, die ihre und meine Generation jetzt angeblich so dringend braucht – gegen Altersflecken, für mehr Spannkraft der Haut, gegen Rückenbeschwerden und Haarausfall – werden nun von Jüngeren entworfen. Von Frauen, die wie schon ihre Vorgängerinnen glauben, dass man sie, wenn sie nur richtig tüchtig sind, immer weiter nach oben an die Spitze befördern wird. Bis sie Kinder kriegen oder älter werden. Gut, man hätte sie mit 30 einmal fragen können: „Sag mal, wie viele deiner Vorgesetzten sind eigentlich Frauen?“ Oder: „Was denkst du, wie soll das weitergehen, wenn du mal mehr als ein freies Wochenende im Monat brauchst?“
Aber irgendwie funktioniert das mit der Erfahrungsvermittlung unter Frauen nicht auf diese Weise. Also nicht so, dass die Jüngeren gebannt an den Lippen der Älteren hängen, um von deren Erfahrungen zu profitieren. Die Jüngeren denken, was wir auch gedacht haben, als wir so alt waren wie sie: dass bei ihnen alles anders sein wird. Die Männer, die Arbeitswelt, ihre Zukunft. Ihre Liebsten werden selbstverständlich mit Freude beim Putzen, Kochen, Aufräumen und bei der Wäsche helfen und zwischendurch den Boden anbeten, auf dem wir wandeln.
Sie werden sehr gern eine Auszeit nehmen, um ihre Kinder beim Großwerden zu begleiten. Im Beruf wird es so vielversprechend weitergehen, wie es begonnen hat. Man wird gefördert und geschätzt. Den reichen Erfahrungsschatz, den man sich am Anfang durch sehr viele Überstunden und großes Engagement angeeignet hat, wird die Firma später auch finanziell großzügig honorieren. Bis man irgendwann in Rente geht. Die wird natürlich ausreichend üppig ausfallen, um den gewohnten Lebensstil weiterhin zu finanzieren. Erzählt eine ältere Frau etwas von beruflichen Sackgassen, von Chefs, die einen sofort ausbremsen, sobald man Mutter wird, von Kündigungen, weil schon eine Jüngere und Günstigere in den Startlöchern steht, von Männern daheim, die mit jedem Ehejahr eher weniger im Haushalt tun, von einer Rentenerwartung, für die man eigentlich ein Rezept für einen wirkungsvollen Stimmungsaufheller braucht, ist sie vermutlich bloß frustriert. Oder hat einfach nicht so gut ausgesehen oder war nicht so klug. Auf keinen Fall lässt sich ihr Leben mit dem vergleichen, das man für sich selbst vor Augen hat.
Wenn es dann genauso wird wie das, wovor uns unsere Mütter immer gewarnt haben, ist es leider zu spät. Nun will auch die nächste Generation nicht hören, dass ihr dasselbe blüht. „Und? Soll ich jetzt vielleicht vor der Agentur Flugblätter verteilen? Oder mich in der Kantine an die Espressomaschine ketten, damit sie ein paar Seniorinnen einstellen?“, fragt die Tochter einer Freundin, nachdem sie gerade einen heiß begehrten Texterjob in einer der angesagtesten Agenturen Deutschlands ergattert hat (die übrigens von einem gänzlich Frauen-freien Vorstand geleitet wird). Nö.
Es genügt eigentlich, wenn wir einander etwas besser zuhören. Auch den Frauen, die uns jetzt ein Stück voraus sind. Den 70-Jährigen oder 80-Jährigen. Wenn wir uns mit ihrem Leben, ihren Problemen beschäftigen. Denn die werden in nicht allzu langer Zeit auch unsere sein. Und nein, bloß weil wir jetzt noch besser aussehen, uns mehr leisten können, fitter sind, nicht die letzten zwei Wochen im Monat von Kartoffelbrei leben müssen und Männer noch nicht „Wie geht’s uns denn heute, Oma?“ zu uns sagen, bedeutet das nicht, dass uns ihr Leben erspart bleibt. So viel jedenfalls sollten wir aus der Geschichte gelernt haben. Es ist unsere Zukunft, die wir da sehen, und noch