Der sich zu entziehen, selbst wenn die Operation tatsächlich notwendig gewesen wäre, was indes nicht zutraf, selbstverständlich einzig und allein ihre eigene Entscheidung war; niemand kann gezwungen werden, sich eine bestimmten Behandlung angedeihen zu lassen. Selbst wenn sich jemand für eine andere als die übliche Behandlung entscheidet, kann daraus nicht geschlussfolgert werden, er sei psychisch krank. Dies ist auch juristisch unumstritten.
Nach der Operation war Maria nicht auf Intensivstation oder in der chirurgischen Abteilung aufgewacht. Zunächst mit ungläubigem Staunen, dann mit wachsendem Entsetzen nahm sie zur Kenntnis, dass sie sich in der psychiatrischen Abteilung der Klinik befand. Was hatte man nun mit ihr vor? Hatte man sie noch nicht genug gequält?
Ihr blieb kaum Zeit, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen, denn schon näherte sich ein Pfleger, groß, dunkelhaarig, nicht unsympathisch wirkend, der wohl darauf gewartet hatte, dass sie aus der Narkose erwacht. In gebrochenem Deutsch sagte er zu ihr: „Ich geben jetzt Spritze gegen Schmerzen.“ Irmgard hatte keine Schmerzen, sie wollte keine Spritze und ahnte instinktiv Schlimmes. Dann schwand auch schon ihr Bewusstsein.
Aus Akten und Zeugenaussagen lässt sich das weitere Geschehen wie folgt rekonstruieren:
Jeder, der zwangsweise in der Psychiatrie untergebracht wird, muss bis zum Ablauf des auf die Einweisung folgenden Tages einem Richter vorgestellt werden, damit dieser darüber entscheiden kann, ob die zwangsweise Unterbringung rechtens und ggf. aufgrund des Gesundheitszustands des Betroffenen fortzusetzen oder nicht rechtens und zu beenden ist. Gegen den Willen des Betroffenen kann dieser nur bei akuter Selbst- und/oder Fremdgefährdung zwangsweise untergebracht werden; das Bayerische Unterbringungsgesetz ermöglicht eine zwangsweise Unterbringung auch, wenn im „erheblichem Maß die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet“ ist, was auch immer dies bedeutet. Eine Unterbringung kann ferner erforderlich sein, um eine Person, die nicht im psychiatrischen Sinne erkrankt ist, vor einer Gefahr für Leib oder Leben zu schützen, weil sie sich in einem Zustand befindet, der ihre freie Willensbildung ausschließt.
Maria indes gefährdete weder sich selbst noch andere; man konnte sie somit nur in der Psychiatrie eingesperrt halten, wenn man sie in diesen zuvor benannten, eine freie Willensbildung ausschließenden Zustand versetzte.
Deshalb wurde sie „abgeschossen“. Reinhard kannte diesen zynischen Begriff aus seiner früheren ärztlichen Tätigkeit in der Psychiatrie – so verfuhr man gegebenenfalls mit Patienten, die unruhig, aufsässig, störend waren. Sie erhielten eine entsprechend hohe Dosis eines Neuroleptikums, Benzodiazepins (z. B. Valium) oder eines ähnlichen Medikaments. Und Ruhe und Ordnung waren wieder hergestellt.
Solchermaßen sollte auch mit Maria verfahren werden. So dass der zuständige Richter eine nicht ansprechbare, (nur vorübergehend, was der Richter natürlich nicht wissen konnte) bewusstlose Person vorfinden und ihre weitere Unterbringung in der Psychiatrie verfügen sollte.
Ob Maria dann absichtlich (möglicherweise wollte Prof. Neunmalklug das, was bereits geschehen war, vertuschen) oder versehentlich eine viel zu hohe Dosis verabreicht wurde, wird sich wohl nie klären lassen. Jedenfalls hatte sie einen Herz- und Atemstillstand, war klinisch tot, musste reanimiert, intubiert und nach allen Regeln der Kunst von ehrenwerten Ärzten der Klinik, die nicht in das Komplott verstrickt waren, notfallmedizinisch versorgt werden.
Gottseidank überlebte sie den verbrecherischen Anschlag. Von dem der zuständige Richter natürlich nichts ahnte. Weshalb er – nachdem ihm Prof. Neunmalklug und dessen ärztlichen Schergen weitere Lügengeschichten über Maria aufgetischt hatten – verfügte, dass die bewusstlose, nach der Reanimation noch im Koma liegende Frau in psychiatrischer „Obhut“ verbleiben müsse.
Ein paar Wochen nach diesem Ereignis erstatteten Maria und Reinhard Strafanzeige und stellten Strafantrag gegen Prof. Neunmalklug.
Den werten Leser wird nicht erstaunen, dass das Ermittlungsverfahren gegen Neunmalklug und seine Helfershelfer von der Staatsanwaltschaft eingestellt wurde. Die zuständige Ärztekammer berief sich zunächst auf das laufende Ermittlungsverfahren und ließ nach dessen Einstellung nie mehr etwas von sich hören; bekanntlich hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus. Stattdessen versuchte Neunmalklug Maria und auch Reinhard mit den abenteuerlichsten, frei erfundenen Diagnosen als im psychiatrischen Sinne Kranke zu denunzieren und zu stigmatisieren.
So verfährt man mit politisch und gesellschaftlich missliebigen Menschen – ob sie nun Gustl Mollath, Reinhard, Maria oder wie auch immer heißen –, welche die Interessen der Reichen und Mächtigen stören. Denn viele von letzteren glauben, über den Gesetzen zu stehen. Und haben genügend Geld, nicht nur ihre Helfer und Helfershelfer zu bezahlen, sondern auch, um die Medien derart in ihrem Sinne zu beeinflussen, dass der breiten Öffentlichkeit ihre Schweinereien weder bekannt noch und schon gar nicht bezüglich Tragweite und Auswirkungen bewusst werden.
PROF. NEUNMALKLUG, FRAU PROF. TAUSENDSCHÖN UND DR. GREGOR GROSSKOTZ: PSYCHIATRIE ALS MACHT- UND HERRSCHAFTS-INSTRUMENT
Wie war die die unheilige Allianz von Prof. Neunmalklug, Frau Prof. Tausendschön und Dr. Gregor Großkotz – die ebenso gemeinsam wie jeder für seine eigenen Interessen agierten – zustande gekommen? Welche Beweggründe hatten sie, Reinhard und Maria zu verfolgen, zu drangsalieren und zu quälen?
Gregor Großkotz war früher Geschäftspartner von Reinhard gewesen. Maria hatte Reinhard gewarnt: „Wo andere ein Herz haben, hat der ein Portemonnaie. Wie kann ein Mensch so kalt, so verhärtet sein“, gab sie immer wieder zu bedenken. Reinhard jedoch glaubte, dass Menschen, auch Gregor, imstande sind, ihr Leben zum Positiven zu wenden, selbst wenn ihnen Schlimmes widerfahren ist; Opfer müssen nicht notwendigerweise zu Tätern werden.
Gregor und Reinhard waren gleichaltrig. Während Reinhard schon früh sein Abitur machte, glänzte Gregor nicht gerade mit schulischen Leistungen. Nachdem er zweimal nicht versetzt worden war, wussten seine Eltern, beide Ärzte, vermögend, vielbeschäftigt, ohne Zeit für ihre Kinder, sich nicht anders zu helfen, als ihn auf die Odenwaldschule zu schicken, jenes Internat, das lange Zeit als der Inbegriff der sogenannten Reformpädagogik galt, die, namentlich auf Rousseau und Pestalozzi zurückgehend und deren Ideen aufgreifend, das Kind in den Mittelpunkt ihres Interesses und ins Zentrum ihrer pädagogischen Bemühungen stellt.
Traurige Bekanntheit erlangte die Schule jedoch Ende der Neunziger-Jahre, als der jahrzehntelange sexuelle Missbrauch von Schülern durch Lehrer, aber auch durch andere Schüler publik wurde. Gregor war sowohl Opfer als auch Täter gewesen. Dies hatte er – nach einigen Flaschen Rotwein, äußerlich emotionslos, versteinert dasitzend – Reinhard mit monotoner, nachgerade erstickter Stimme erzählt.
Gregor war Alkoholiker, brauchte schon am frühen Morgen seinen Pegel, andernfalls konnte er nicht praktizieren. Zwar hielt er die äußere Fassade gut aufrecht, gleichwohl unterliefen ihm etliche Kunstfehler. Seine Freunde bei KV und Ärztekammer, jenen Institutionen, deren Spitzen dadurch unangreifbar werden, dass sie das Geheimnis teilen, wer von ihnen welche Leichen in welchem Keller versteckt hält, deckten ihn. Wie sie ihn ebenso schützten, als wegen Abrechnungsbetrügereien gegen ihn ermittelt wurde, wegen Betrügereien, die er, Gregor, zusammen mit anderen Ärzten und Apothekern, im ganzen Bundesland aufgezogen hatte, wie er Reinhard wiederholt mit stolz geschwellter Brust anvertraute.
Irgendwann hatte Großkotz nur noch Geld verdienen, saufen und, mit Verlaub, huren im Sinn. Er hatte einen unehelichen Sohn, seine Ehe mit Anne indes blieb kinderlos. Etwas tief in seinem Innersten jedoch neidete anderen das, was auch er sich einmal gewünscht hatte, aber aufgrund seiner deformierten Psyche nie würde erreichen können: Geborgenheit, emotionale Nähe, schlichtweg Liebe.
Und all das sah er bei Reinhard und Maria. Weshalb er die beiden hasste, was er indes nie zugegeben, sich nicht einmal selbst eingestanden hätte. Deshalb konnte er ihr Glück nicht ertragen,