„… dass die Welt zwischen den Liebenden verbrannt ist“. Richard A. Huthmacher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard A. Huthmacher
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783959637633
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gibt keinen liebenden Gott, der dieses Absurde auflösen, keine Religion und kein Glauben, die Trost spenden könnten: Der Einzelne ist auf sich selbst, auf das Sinnlose (in ihm und um ihn) zurückgeworfen; das Absurde triff jeden und betrifft jeden: „Das Absurde kann jeden beliebigen Menschen an jeder beliebigen Straßenecke anspringen.“

      In der sinnentleerten Welt des Absurden müssen sinnloses Sein und unnützes Streben gleichwohl nicht ohne Hoffnung bleiben: Im Sinne des Existentialismus (und in Anlehnung an Nietzsche) postuliert und propagiert Camus den „Mensch in der Revolte“, der, zwar auf sich allein gestellt, aber deshalb auch unabhängig von einem Gott und den Unwägbarkeiten seiner Gnade, selbstbestimmt und sich immer wieder selbst bestimmend ein Bewusstsein für die Möglichkeiten innerer Revolte und äußerer Auflehnung entwickelt.

      Ähnlich Heidegger ist auch für Camus der Tod das einzige Verhängnis, dem man nicht entrinnen kann; der Tod wird mithin zum fatalen Abschluss eines absurden Lebens, gleichzeitig aber auch zur Umkehr des Absurden – in „Der glückliche Tod“, einem nicht veröffentlichten Vorentwurf von „Der Fremde“, stirbt der schwerkranke Mersault einen glücklichen, bewussten Tod: „Ein Stein zwischen Steinen, ging er in der Freude seines Herzens wieder in die Wahrheit der unbeweglichen Welten ein.“

      Eine Art von „materialistischer Transzendenz und Religion“, die sich hier offenbart?

      Weil Camus die Absurdität menschlicher Existenz, die Unvereinbarkeit von Mensch und Welt, d.h. des Einzelnen mit seinem Sein, letztendlich nicht erklären kann, versteigt er sich, meines Erachtens, in die (philosophische) Konstruktion des „existentiellen Sprungs“, d.h. des „Weitermachens“, „des Hinausgehens über das Bestehende“, des „Sich-zur-Wehr-Setzens“ als Antwort auf eine nicht erklärbare Sinnlosigkeit menschlichen Seins wie Handelns und macht die mythologische Gestalt des sich sinnlos mühenden Sisyphos zum Sinnbild sowie den vergeblich seinen Stein wälzenden Riesen zum Protagonisten des „absurden Menschen“.

      Letztlich ist Camus´ Revolte, so mein Dafürhalten, sinnlos, erfolglos, trostlos. Sie ist zweifelsohne nur im Zusammenhang mit Camus´ eigenem existentiellen Kampf, mit seiner „prekären“ Herkunft (um den euphemistischen Begriff von heute zu verwenden), mit seiner Tuberkulose-Erkrankung, mit seinen höchst komplexen und überaus schwierigen Frauenbeziehungen zu sehen. Sein „Mensch in der Revolte“ gegen das Absurde führt einen ebenso hoffnungslosen wie letztlich erfolglosen Kampf des Einzelnen und Vereinzelten gegen die übermächtige Welt des Absurden und der Anderen. Somit steht Camus´ Revolte des Einzelnen im Widerspruch zur gesellschaftlichen Revolte, wie Sartre sie fordert; dieser Umstand führte zum unausweichlichen Zerwürfnis der beiden.

      In Camus frühem Tod manifestiert sich die Absurdität seines eigenen Seins: Obwohl er bereits eine Bahnfahrkarte in der Tasche hatte, ließ er sich vom Neffen seines Verlegers Gallimard zu einer Fahrt mit den Auto überreden, bei der beide infolge eines geplatzten Reifens ums Leben kamen. Gerüchte, dass der sowjetische Geheimdienst KGB den Wagen manipuliert habe, wollen bis heute nicht verstummen. („Albert Camus war ein Freund klarer Worte – auch gegen die Politik der Sowjets bezog er immer wieder kritisch Stellung.“ Spekulation um Schriftstellertod – wurde Albert Camus vom KGB ermordet?)

      ALEXANDER MITSCHERLICH: „IRRUNGEN UND WIRRUNGEN“ EINES GROSSEN GEISTES

      Liebster!

      Andere Intellektuelle mit maßgeblich prägendem Einfluss in jener Zeit (der Sechziger und Siebziger) waren Alexander Mitscherlich und Horst Eberhard Richter (bei dem Du, wie ich mich gut erinnern kann, seinerzeit habilitieren wolltest, was daran scheiterte, dass, bei allem Bemühen von Richter, keine entsprechende Stelle geschaffen werden konnte).

      Das Leben von Alexander Mitscherlich wurde bereits früh durch die (gegensätzlichen) ideologischen Strömungen der Weimarer Republik (und Vor-Nazi-Zeit) sowie durch deren Wirrnisse und den hieraus resultierenden „realen Wahnsinn“ beeinflusst – so musste er seine Dissertation (er studierte in München Geschichte, Kunstgeschichte und Philosophie) abbrechen, weil der Antisemit von Müller diese nicht weiter betreuen wollte, nachdem Mitscherlichs Doktorvater, der Jude Paul Joachimsen, 1932 verstorben war.

      Prägend für Mitscherlich war auch die Begegnung mit Ernst Jünger. Dieser, Jünger, Verfasser von „In Stahlgewittern“, wo Jüngers nationalistische und antidemokratische Gesinnung in der Verherrlichung des Kriegs zum Ausdruck kommt (wiewohl manche Unverbesserliche hier gar ein „Antikriegsbuch“ erkennen wollen), Jünger, ebenso mit dem preußischen „Pour le Mérite“ ausgezeichnet und bis zu seinem Tod 1998 im gesegneten Alter von fast 103 Jahren letzter Träger dieses umstrittenen höchsten militärischen Ordens wie, in bundesrepublikanischen Zeiten, mit dem „Großen Bundesverdienstkreuz“ geehrt, Jünger, Freikorpskämpfer, voller Sympathie für die Idee der nationalen Revolution eintretend und „dem nationalen Führer Adolf Hitler“ sein Buch „Feuer und Blut“ widmend, Jünger, dezidierter Antidemokrat (er hasse die Demokratie wie die Pest, gegen das Literatenpack, das sich für Aufklärung, für Demokratie und Pazifismus einsetze, müsse die Prügelstrafe wieder eingeführt werden), Jünger, der sich mit antisemitischen Äußerungen, beispielsweise in seinem Essay „Nationalismus und Judenfrage“ (1930) hervortat und sich – angeblich – mit „Auf den Marmorklippen“ (die er als verdeckte Kritik an Hitler geschrieben habe) gegen den Tyrannen wehrte (bekanntlich waren im Nachhinein ja alle Widerstandskämpfer und hatten zuvor einen Juden im Keller versteckt), Jünger, der sich nach dem Krieg weigerte, den Fragebogen der Alliierten zur Entnazifizierung auszufüllen und deshalb mit Publikationsverbot belegt wurde, Jünger, der mit dem LSD-Entdecker Albert Hofmann mit Drogen experimentierte und seine Erfahrungen mit LSD in seiner 1952 erschienen Erzählung „Besuch auf Godenholm“ thematisierte, Jünger, der gegen Ende seines Lebens von den „Großen“(?) der Politik (wie Kohl und Mitterand) besucht wurde – die zum stauffenbergschen Forsthaus in Wilflingen, wo er seit der Zeit nach dem Krieg wohnte, wie zum Tempel eines weisen alten Philosophen pilgerten –, Jünger, Insektenkundler und Schriftsteller, dem Brecht jeden literarischen Rang absprach („Da er selbst nicht mehr jung ist, würde ich ihn einen Jugendschriftsteller nennen, aber vielleicht sollte man ihn überhaupt nicht einen Schriftsteller nennen, sondern sagen: Er wurde beim Schreiben gesehen“), eben diese vielschichtig-schillernde Persönlichkeit Ernst Jünger veranlasste Alexander Mitscherlich, sich in Berlin der nationalrevolutionären Bewegung anzuschließen, also jener Rechten, welche die Umwandlung der bürgerlich-parlamentarischen in eine autoritär-nationalistische Gesellschaftsform anstrebte.

      Auch Mitscherlich hatte mithin eine Zeit der „Irrungen und Wirrungen“.

       1936 (trotz dieser „Irrungen der jungen Jahre“) wegen der Nazis in die Schweiz emigriert, 1937 nach der Rückkehr von dort für einige Monate von der Gestapo inhaftiert, konnte er sein Medizinstudium gleichwohl in Deutschland fortsetzen und wurde 1941 in Heidelberg promoviert; 1946 habilitierte er sich mit seiner Schrift „Vom Ursprung der Sucht“.

       Nach Ende des 2. Weltkriegs wurde ihm die Leitung einer Kommission zur Beobachtung der „NS-Ärzteprozesse“ in Nürnberg übertragen; auftragsgemäß sollte er alles Erforderliche veranlassen, um in Presse und Öffentlichkeit die Vorstellung einer Kollektivschuld der Ärzte zu verhindern.

       Ein Jahr später, 1947, erschien dann seine Prozess-Dokumentation „Diktat der Menschenverachtung: Der Nürnberger Ärzteprozeß und seine Quellen“. Mitscherlich war über die Verbrechen deutschen Ärzte in den KZs, über deren schier unvorstellbare Grausamkeiten derart entsetzt, dass er nicht daran dachte, die Wahrheit zu schönen. Die Ärzteschaft schwieg die Publikation daraufhin tot, in keiner Fachzeitschrift (und auch sonst nirgendwo) durfte die Dokumentation, die schon in einer Auflage von 25.000 Exemplaren gedruckt worden war, erscheinen, auch in der Presse fand sie so gut wie keine Erwähnung.

      Über die NS-Ärzteprozesse veröffentlichte Mitscherlich drei Jahre später die Dokumentation „Wissenschaft ohne Menschlichkeit: Medizinische und eugenische Irrwege unter Diktatur, Bürokratie und Krieg“. Gedruckt wurden 10.000 Exemplare des Buches, die aber kurz nach dessen Erscheinen aus sämtlichen Buchläden verschwanden – nicht nur Mitscherlich selbst vermutete, dass