Ich hatte eine gerade Linie, der ich folgte. Christoph Wilker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Wilker
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783862223718
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Max-Weber-Platz [München] und Oberföhring durch Einwerfen in die Briefkästen. Den Rest sollte seine Frau, die Mitangeklagte Katharina Glasner verteilen. Diese will jedoch die Flugblätter verbrannt haben.“[11]

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       Abb. 8: Die Luzerner Resolution, ein Protesflugblatt, das während eines Kongresses in Luzern im September 1936 verabschiedet und am 12. Dezember 1936 und am 10. Februar 1937 im ganzen Deutschen Reich von Jehovas Zeugen verbreitet wurde

      Über die Bedeutung der Flugblattaktionen der Zeugen Jehovas im Dritten Reich wird in einer Veröffentlichung des Instituts für Zeitgeschichte, München/Berlin, Folgendes bemerkt: „Zweimal, am 12. Dezember 1936 und am 20. Juni 1937, gelangen ihnen [den Zeugen Jehovas] mit der schlagartig im ganzen Reichsgebiet durchgeführten Verteilung von Protestflugblättern Propagandacoups, wie sie in diesem Umfang keine andere illegale Gruppe zustande brachte.“[12]

      Ludwig Glasner wurde zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Er kam in das Münchner Strafgefängnis Stadelheim. Katharina Glasner erhielt eine Gefängnisstrafe von drei Wochen, die sie nach Ende der Haftzeit ihres Mannes antreten musste. Das Sondergericht nahm damit Rücksicht auf die siebenjährige Rita, eine für NS-Maßstäbe bemerkenswerte Entscheidung, die in München auch eine andere Familie aus den Reihen der Zeugen Jehovas erfahren durfte.

      Die inzwischen eingeschulte siebenjährige Rita musste mit ansehen, wie zuerst ihr Vater und dann ihre Mutter wie Verbrecher inhaftiert wurden. Ritas Vater war vom 2. Februar bis 13. August 1937 im Gefängnis. Sie vermisste ihren Vater sehr, auf den sie sechs Monate verzichten musste – für eine Siebenjährige eine lange Zeit.

       „Ich habe sehnsüchtig auf meinen Vater gewartet. Ich hing an meinem Vater. Er war mein Halt, weil er so ruhig und gelassen war.“

      Auch für Ritas Mutter war diese Zeit sehr belastend. Sie tat sich schwer, alles zu verarbeiten. Hinzu kamen wirtschaftliche Schwierigkeiten. Wie sollte sie die Wohnungsmiete zahlen, nachdem ihr Mann im Gefängnis nichts verdiente? Katharina Glasner begab sich auf die Suche nach Arbeit, die sie schließlich in der Münchner Großmarkthalle fand. Sie verdiente fünf Reichsmark am Tag, was sie wieder in die Lage versetzte, die Miete zu zahlen.

      IN GEGENWART VON RITA UNTER FOLTER ERZWUNGENE UNTERSCHRIFT

      Am Ende der Haftzeit im August 1937 wurde Ludwig Glasner – wie vielen anderen Zeugen Jehovas – eine Erklärung vorgelegt, die er unterschreiben sollte. Die meisten Zeugen Jehovas lehnten es ab, mit der Unterschrift ihre religiöse Auffassung als Irrlehre zu bezeichnen. Auch Ludwig Glasner war fest entschlossen, nicht zu unterschreiben. Doch die Gestapo fand einen perfiden, aber wirksamen Weg, seine Haltung zu brechen. Sie luden seine Frau Katharina mit der siebenjährigen Tochter Rita vor. In dem großen, länglichen Raum befanden sich fünf Personen: Auf der einen Seite nahe dem Fenster die kleine Rita mit ihrer Mutter, auf der anderen Seite Ritas Vater und zwei Gestapo-Beamte. Auf diese Weise hatte Ludwig Glasner gegen zwei Fronten zu kämpfen: Auf der einen Seite musste er psychische und körperliche Folter der Gestapo-Beamten ertragen und auf der anderen Seite ansehen, wie seine Frau und besonders seine kleine Tochter darunter litten. Letzteres machte ihm noch mehr zu schaffen. Die Vorgehensweise der Gestapo verfehlte nicht ihre Wirkung.

      Rita erinnert sich:

       „Mein Vater wurde furchtbar geschlagen – vor meinen Augen und den Augen meiner Mutter. Sie haben ihn regelrecht zugerichtet.Er wollte nicht unterschreiben. Als ich sah, wie mein Vater schwer geschlagen wurde, fing ich jedoch an zu weinen und zu schreien.Diesem Druck hielt meine Mutter nicht stand.Schließlich forderte sie meinen Vater auf, dem Ganzen doch ein Ende zu machen und zu unterschreiben. Mein Vater erlag dem enormen Druck und unterschrieb.“

      Zwei Gestapo-Beamte schlugen Ludwig Glasner blutig, dazu das schreiende Kind. Ludwig und Katharina Glasner hatten eine sehr herzliche Beziehung zueinander und zu ihrer Tochter. Die Emotionen seiner Frau und die der kleinen Rita übertrugen sich auf Ludwig Glasner, der so unter physischen Schmerzen und psychischem Druck zur Unterschrift gezwungen wurde. Besonders Ludwig, aber auch Katharina Glasner hat dieser Vorfall noch lange belastet. Die Erfahrung mit den Gestapo-Beamten hatte auch Einfluss auf spätere Entscheidungen von Ritas Vater, denn seine Moral war nun gebrochen.

      Ritas Lehre daraus:

       „Besser Folter in Kauf nehmen als nachgeben. Schläge und Schmerzen hören auf. Ein schlechtes Gewissen kann einen dagegen jahrelang belasten.“

      Und über ihre eigene Rolle als damals Siebenjährige urteilt sie:

       „Wäre ich nicht dabei gewesen, wäre das Ganze wahrscheinlich anders ausgegangen.“

      Ludwig Glasner hatte die Erklärung zwar unterschrieben, aber nicht freiwillig. Er war schwach geworden, doch seine Einstellung hatte sich nicht verändert und so betätigte er sich nach seiner Freilassung weiter als Zeuge Jehovas.

      RITAS MUTTER IM GEFÄNGNIS

      Katharina Glasner war nicht zur Unterzeichnung einer derartigen Erklärung gezwungen worden. Sie wurde ohne weiteres nach Ablauf ihrer dreiwöchigen Haft im September 1937 wieder freigelassen. Rita erinnert sich wie fürsorglich sich ihr Vater um sie gekümmert hatte, während ihre Mutter inhaftiert war – in einer Zeit, als Haushalt und Erziehung noch eine Domäne der Mütter war.

       „Das war eine wunderbare Zeit für mich.Mein Vater tat alles für mich.Die Zeit hat mich mit meinem Vater sehr verbunden.“

      Diese Erfahrung stand auch unter dem Eindruck der langen vorherigen Trennung vom inhaftierten Vater und seiner schrecklichen Behandlung, die Rita beim Gestapo-Verhör miterleben musste. So hatte die schmerzliche Trennung von der Mutter aus Sicht der kleinen Rita auch eine gute Seite. Es entstand ein noch engeres und herzlicheres Verhältnis zum Vater, wovon sie noch lange profitieren sollte.

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