Sie redeten und riefen alle laut durcheinander. Die Bevölkerung hatte Angst und sie gerieten in Panik. Nochmals bat der Bürgermeister um Ruhe. „Ruhe!“, rief er erneut „Bitte seid ruhig und hört mich an!“ Die Snowlies wurden schweigsam und blickten zum Bürgermeister hoch, dem die Röte so in seine vollen Wangen stieg, dass seine kleine, hellrote Nase dazwischen nur zu erahnen war. Zum wiederholten Male wischte er sich mit dem Tuch sein Gesicht trocken und atmete tief durch. Er wusste nur allzu gut, was er von seinem Volk verlangte und fühlte sich dabei ganz elendig. Er hatte zwar schon gedanklich einen Plan, aber den konnte und durfte er noch nicht aussprechen. Somit blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Gemeinde erst einmal hinzuhalten. Er hob seine rechte Hand kurz in die Höhe, um zu zeigen, dass er weiterreden wollte, und sofort wurden die Snowlies wieder still. „Wenn einer von euch einen Vorschlag oder eine Lösung für unsere Wassernot hat, wäre ich demjenigen dafür sehr dankbar und er solle denn jetzt hervortreten“, forderte der Bürgermeister die Snowlies auf. Leises Getuschel war unter ihnen zuhören, kaum einer rührte sich vom Fleck. Ihnen wurde in diesem Augenblick die Situation deutlicher, dass diese schwere Last ganz allein auf den Schultern ihres Bürgermeisters lag, und niemand hätte mit ihm tauschen wollen. Keiner trat in den Vordergrund, um einen Vorschlag zu machen, oder hatte den Mut zu fragen, ob vielleicht die vier Himmelsmächte ihnen in dieser misslichen Lage helfen würden. Und wenn es so wäre, müsste der Bürgermeister eine Reise antreten, die für ihn extrem gefährlich werden könnte. Somit verhielten sich die Snowlies nachdenklich und abwartend still. Der Bürgermeister nickte und ergriff mit ernster Miene das Wort. „Am besten wäre es natürlich, wenn der Dieb sich stellen und den Kristall des ewigen Wassers wieder in unseren Brunnen legen würde. Da das aber wohl nicht der Fall sein wird, wird es schwierig, einen Ausweg zu finden. Ich weiß, dass ich heute Abend sehr viel Geduld von euch verlange, aber habt Vertrauen und verliert nicht die Zuversicht. Ich werde für uns alle mein Bestes tun. Sofern es etwas Neues zu berichten gibt, lasse ich es euch so schnell wie möglich wissen. Und nun, meine lieben Snowliebürger, wünsche ich euch trotz unserer schwierigen Lage ein abendliches Gutwohl und vergesst nicht, euer Tröpfelblatt von unserer Kräutermillie abzuholen! Das wäre erst einmal alles.“ Der Bürgermeister schaute von oben herab in die hoffnungslosen Augen der Snowlies, die sich tuschelnd nach und nach an die Warteschlange zur Kräutermillie stellten. Die meisten wussten von ihm, dass sie sich auf ihn verlassen konnten, sobald ein Problem auftauchte. Aber dass es für diese höchst lebensbedrohliche Gefahr einen Ausweg geben würde, bezweifelten viele. Der Bürgermeister verließ schwitzend den Dorfplatz. Seine Gedanken kreisten hin und her. „Was soll ich bloß tun! Ja, doch… es ist die einzige Möglichkeit, die wir haben“, murmelte er leise vor sich hin.
Nira
Nira biss schweigsam von ihrem Brot ab und blickte in die Tischrunde in der Hoffnung, ihre Eltern würden ihre Meinung ändern. Noch einmal zwinkerte sie ihren Papo bittend an, doch sein Blick verriet ihr, dass er standhaft bleiben würde. Ihre Mamo senkte die Augen und ihr großer Bruder Jonathan, den alle Jo nannten, zuckte kurz mit den Schultern. Was war denn nur los? Soeben teilten ihre Eltern ihr mit, dass sie mit Jo zur späten Abendstunde zu Großpapo, der der Bürgermeister des Dorfes war, gehen würden und Nira zu Hause im Bett bleiben müsse. Sie hätten was Wichtiges zu bereden, hatten sie gesagt. Nira traute ihren Ohren nicht. Ohne sie? Sie war noch nie ausgeschlossen worden. Und nur weil sie sich diesmal zur nächtlichen Zeit treffen mussten, durfte sie nicht mit. Dabei fällt die Schule aus und was noch viel wichtiger war … Morgen ist ihr Geburtstag und sie wird 10 Jahre alt! Alt genug, um auch mal länger wach zu bleiben. Nira verstand die Welt nicht mehr. So eine Gemeinheit. Ob Großpapo das auch wollte? Aber Nira, wagte es nicht zu fragen, zu widersprechen oder sich lauthals zu beschweren. Sie wusste, dass es keinen Sinn machte, und schmollte kauend vor sich hin. Hinzu kam ihr der Gedanke, dass sie gern ihren Großpapo getröstet hätte. Immerhin war es für ihn heute nicht einfach gewesen, vor der versammelten Gemeinde zu sprechen. Sie waren alle so wütend auf ihn. Armer Großpapo! Nira stöhnte kurz auf und hing ihren Gedanken weiter nach. Ob sie sich beratschlagen werden, wie und woher Großpapo einen neuen Wasserkristall herbekommt? Aber was hatte das mit ihren Eltern und ihrem Bruder Jo zu tun. Großpapo entschied wichtige Dinge immer für sich allein, hatte Mamo einmal gesagt. Nira trank ein Schluck Milch, während sie weiter nachdachte. „Und, wenn ich einfach wach bleibe und ihnen heimlich nachgehe? Mit Sicherheit werden sie das Fenster in Großpapos Besprechungszimmer auflassen, sodass man von draußen gewiss hören kann, worüber sie sich unterhalten. Ha … und dann werde ich wissen, was sie ohne mich vorhaben“, dachte sie trotzig und schmunzelte über ihren heimlichen Plan vor sich hin.
Nach dem Abendbrot verabschiedete sich Nira beleidigt von ihrer Familie und kraxelte die Holzleiter hoch, die zu ihrem Zimmer führte. Mamo rief Nira nach, dass sie mit Sicherheit das nächste Mal wieder mitkommen dürfe. Nira war es in dem Moment egal und sie reagierte nicht auf die Worte ihrer Mutter. Sie war stinksauer. In ihrem kleinen Reich, was unter dem Dach des Hauses lag, hatte ihr Bett unter einer runden Dachluke seinen Platz. Links davon stand eine kleine Kommode mit einer bunten Kerze drauf, in dessen Schublade sich allerlei Krimskrams befand, wovon Nira sich