An dieser Stelle möchte ich noch auf Werke verweisen, denen ich besonders viele Kenntnisse verdanke und deren Autoren angemessen gewürdigt werden sollten. Viel habe ich den Büchern zweier Freunde entnommen: von dem Wirtschaftshistoriker und unermüdlichen Sammler von quantitativen Daten Paul Bairoch und von Ivan Berend, dem ehemaligen Präsidenten der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, dem ich das Konzept des »Kurzen 20. Jahrhunderts« verdanke. Ein zuverlässiger und verständlicherweise manchmal auch gestrenger Führer durch die allgemeine politische Weltgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg war P. Calvocoressi: World Politics Since 1945. Besondere Kenntnisse über den Zweiten Weltkrieg verdanke ich dem vorzüglichen Buch War, Economy and Society 1939–45 von Alan Milward; und für die Wirtschaftsgeschichte nach 1945 fand ich Herman Van der Wees Prosperity and Upheaval: The World Economy 1945–1980 sowie Capitalism Since 1945 von Philip Armstrong, Andrew Glyn und John Harrison außerordentlich nützlich. Martin Walkers The Cold War verdient weit mehr Aufmerksamkeit, als laue Kritiker ihm zugestanden haben. Hinsichtlich der Geschichte der Linken seit dem Zweiten Weltkrieg verdanke ich sehr viel Dr. Donald Sassoon vom Queen Mary and Westfield College der Universität London, der mir freundlicherweise seine bislang unveröffentlichte, umfassende und scharfsinnige Studie über dieses Thema überließ. Kenntnisse über die Geschichte der Sowjetunion erhielt ich vor allem aus den Werken von Moshe Lewin, Alec Nove, R. W. Davies und Sheila Fitzpatrick; über China aus den Büchern von Benjamin Schwartz und Stuart Schram; und über die islamische Welt aus den Werken von Ira Lapidus und Nikki Keddie. Meine Ansichten über die Kunst verdanken vieles John Willetts Arbeiten über die Weimarer Kultur (und das Gespräch mit ihm) und Francis Haskell. Das Sechste Kapitel zeigt, wieviel ich Lynn Garafolas Diaghilev entnommen habe.
Mein besonderer Dank aber gilt all jenen, die mir tatkräftig bei der Vorbereitung dieses Buches geholfen haben. Dazu zählen in erster Linie meine Forschungsassistentinnen Joanna Bedford in London und Lise Grande in New York. Ohne die Hilfe von Ms. Grande wäre ich nicht in der Lage gewesen, meine enormen Wissenslücken zu füllen und nur vage erinnerte Fakten und Hinweise zu verifizieren. Besonders danke ich auch Ruth Syers, die meine Manuskripte tippte, und Marlene Hobsbawm, welche die Kapitel aus dem Blickwinkel des nichtakademischen, aber grundlegend an der modernen Welt interessierten Lesers las, an den sich dieses Buch richtet.
Wieviel ich den Studenten der New School verdanke, die meinen Vorlesungen zugehört haben, in denen ich meine Ideen und Interpretationen darzulegen versucht habe, habe ich bereits erwähnt. Ihnen ist dieses Buch gewidmet.
Das Jahrhundert aus der Vogelschau
Zwölf Menschen betrachten das 20. Jahrhundert
Isaiah Berlin (Philosoph, Großbritannien): »Ich habe fast das ganze 20. Jahrhundert erlebt, ohne persönliche Not zu erleiden, wie ich hinzufügen muß. In meiner Erinnerung ist es nur das schrecklichste Jahrhundert in der Geschichte des Westens.«
Julio Caro Baroja (Anthropologe, Spanien): »Es besteht ein ganz offensichtlicher Widerspruch zwischen den eigenen Lebenserfahrungen – Kindheit, Jugend und Alter sind still und ohne große Abenteuer vorübergegangen – und den Fakten des 20. Jahrhunderts … den schrecklichen Ereignissen, die die Menschheit durchlebt hat.«
Primo Levi (Schriftsteller, Italien): »Nicht wir, die Überlebenden, sind die wirklichen Zeugen. Das ist eine unbequeme Einsicht, die mir langsam bewußt geworden ist, während ich die Erinnerungen anderer las und meine eigenen nach einem Abstand von Jahren wiedergelesen habe. Wir Überlebenden sind nicht nur eine verschwindend kleine, sondern auch eine anomale Minderheit: wir sind die, die aufgrund von Pflichtverletzung, aufgrund ihrer Geschicklichkeit oder ihres Glücks den tiefsten Punkt des Abgrunds nicht berührt haben. Wer ihn berührt, wer das Haupt der Medusa erblickt hat, konnte nicht mehr zurückkehren, um zu berichten, oder er ist stumm geworden.«
René Dumont (Agronom, Ökologe, Frankreich): »Ich sehe es nur als ein Jahrhundert der Massaker und Kriege.«
Rita Levi Motitalcini (Nobelpreisträgerin, Wissenschaft, Italien): »Trotz allem hat es in diesem Jahrhundert auch Revolutionen hin zum Besseren gegeben … den Aufstieg des vierten Standes und das Erscheinen von Frauen nach Jahrhunderten der Unterdrückung.«
William Golding (Nobelpreisträger, Schriftsteller, Großbritannien): »Ich kann mir nicht helfen, aber ich glaube, daß dies das gewalttätigste Jahrhundert der Menschheitsgeschichte war.«
Ernst Gombrich (Kunsthistoriker, Großbritannien): »Das wesentliche Merkmal des 20. Jahrhunderts ist die schreckliche Vermehrung der Weltbevölkerung. Es ist eine Katastrophe, ein Desaster. Wir wissen nicht, was wir dagegen tun können.«
Yehudi Menuhin (Musiker, Großbritannien): »Wenn ich das 20. Jahrhundert zusammenfassen sollte, würde ich sagen, daß es die größten Hoffnungen hervorrief, die die Menschheit jemals gehegt hat, und alle Illusionen und Ideale zerstörte.«
Severo Ochoa (Nobelpreisträger, Wissenschaft, Spanien): »Die wichtigste Sache ist der wissenschaftliche Fortschritt, der wirklich außergewöhnlich war … Das ist es, was unser Jahrhundert kennzeichnet.«
Raymond Firth (Anthropologe, Großbritannien): »Technologisch betrachtet gehört die elektronische Technik für mich zu den bedeutendsten Entwicklungen des 20. Jahrhunderts; was Ideen anbelangt, der Wandel von einer relativ rationalen und wissenschaftlichen Sicht der Dinge zu einer nichtrationalen und weniger wissenschaftlichen.«
Leo Valiani (Historiker, Italien): »Unser Jahrhundert demonstriert, daß der Sieg der Ideale von Gerechtigkeit und Gleichheit immer nur kurzlebig ist, aber auch, daß wir immer wieder von neuem beginnen können, wenn es uns gelingt, die Freiheit zu erhalten … Es gibt keinen Grund zur Verzweiflung, selbst in den verzweifeltsten Situationen.«
Franco Venturi (Historiker, Italien): »Historiker können diese Frage nicht beantworten. Für mich ist das 20. Jahrhundert nur der immer neue Versuch, es zu verstehen.«
(Agosti und Borgese, 1992, S. 42, 210, 154, 76, 4, 8, 204, 2, 62, 80, 140, 160.)
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Am 28. Juni 1992, als Sarajevo bereits das Zentrum eines Balkankrieges geworden war, der im Verlauf des Jahres noch etwa 150000 Menschen das Leben kosten sollte, stattete Frankreichs Präsident Mitterrand der Stadt ohne Ankündigung einen überraschenden Besuch ab. Ganz offensichtlich ging es ihm darum, der Weltöffentlichkeit die Bedrohlichkeit der Krise in Bosnien bewußtzumachen. Und tatsächlich wurde der Anwesenheit des berühmten, alternden und sichtbar geschwächten Staatsmannes in der Stadt, die im Feuer von Heckenschützen und Artillerie lag, viel Aufmerksamkeit und Respekt gezollt. Ein Aspekt blieb dabei jedoch völlig ohne Kommentar, obwohl er eindeutig der wirkliche Anlaß für Mitterrands Besuch gewesen war: das Datum. Weshalb hatte der französische Staatspräsident ausgerechnet diesen Tag gewählt, um nach Sarajevo zu fliegen? Weil der 28. Juni der Jahrestag des 1914 in Sarajevo verübten Attentats auf Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Ungarn war, das innerhalb von nur wenigen Wochen zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führen sollte. Jedem gebildeten Europäer in Mitterrands Alter mußte der Zusammenhang zwischen Datum und Ort ins Auge fallen und dabei Erinnerungen an eine historische Katastrophe wecken, die durch politische Fehler und Fehlbeurteilungen heraufbeschworen worden war. Wie hätte man die potentiellen Auswirkungen der bosnischen Krise auch besser verdeutlichen können als durch die Wahl eines derart symbolischen Datums? Doch kaum jemand, abgesehen von ein paar Historikern und älteren Menschen, verstand diese Anspielung. Die historische Erinnerung war nicht mehr lebendig.
Die Zerstörung der Vergangenheit, oder vielmehr die jenes sozialen Mechanismus, der die Gegenwartserfahrung mit derjenigen früherer Generationen verknüpft, ist eines der