Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten. Wachstum, neue Produkte, ein Großunternehmen entsteht. Aus der anfänglich direkten Beziehung zwischen einem Unternehmer und seinen Kunden muss eine Organisation geformt werden. In dieser Organisation muss der Unternehmer die Bedürfnisse der Kunden und seine eigene Bedürfnispyramide verankern. Er sucht die richtigen Menschen als Mitarbeiter, wählt sorgfältig die Produkte aus, definiert die Prozesse. Irgendwann wird das Unternehmen so groß, dass er sich auf eine Kontrollfunktion zurückziehen muss.
Beim Otto Versand hat das ganz offensichtlich bis heute hervorragend funktioniert. Er stieg schon Mitte der 90er Jahre in den e-Commerce ein und setzte sich immer wieder technologisch mit an die Spitze. Mittlerweile sitzt die 3. Generation im Aufsichtsrat des Unternehmens. Mit 14 Milliarden Umsatz in der Gruppe rangiert Otto als zweitgrößter B2C Versandhändler in Deutschland und zeitweise unter den ersten 10 weltweit. Wie erreicht man Stabilität in instabilen Zeiten und über Jahrzehnte hinweg?
Krisensichere Aufstellung
Auf die Frage, wie Du ein Unternehmen krisensicher aufstellst, erhältst Du höchst unterschiedliche Antworten. Die Kreditversicherer verstehen darunter wie Du Risiken erkennst und bewertest, wie Du Deinen Cashflow absicherst, Deine Liquidität schützt und Verträge optimal gestaltest. Sie empfehlen Dir, dass Du nur unter Vorbehalt lieferst und helfen Dir Warnsignale dafür zu erkennen, dass Kunden vor der Pleite stehen. Ein Leasinganbieter, ein Factoring Unternehmen oder Deine Hausbank haben dafür wieder andere Rezepte, die besser ihrem Angebotsportfolio entsprechen. Gemein ist allen diesen Ratschlägen, dass sie statisch und passiv sind und im Wesentlichen auf Deiner letzt-instanzlichen unternehmerischen Entscheidung beruhen.
Wie wäre es, wenn Dein ganzes Unternehmen so aufgestellt wäre, dass seine Mitarbeiter eine heraufziehende Krise frühzeitig erkennen, erste Vorschläge zur Reaktion machen und selbstverantwortlich und dynamisch reagieren? Die gute Nachricht: solche Unternehmen gibt es. Um ihre Eigenschaften zu beschreiben sollten wir einige Begriffe einführen: Resistenz, Resilienz und Antifragilität.
In der Vergangenheit wurden Unternehmen möglichst robust oder resistent gegen Krisen aufgestellt, indem man sie mit ausgeklügelten Prozessen in die Lage versetzte, auf äußere Einflüsse angemessen zu reagieren. Die zugrundeliegende Annahme war, dass man die möglichen Bedrohungen hinreichend gut kannte, und dadurch eine Anleitung zu ihrer Bewältigung geben konnte. In der heutigen Zeit, die auch mit dem Schlagwort VUCA charakterisiert wird (volatile, uncertain, complex, ambiguous) ist die Annahme die meisten Bedrohungen vorab zu kennen, nicht mehr gültig. Ein Unternehmen benötigt die Fähigkeit, auf unvorhersehbare Bedrohungen schnell und angemessen zu reagieren. Diese Fähigkeit nennt man Resilienz. Noch einen Schritt weiter geht das Konzept der Antifragilität. Antifragile Unternehmen nutzen Bedrohungen und Stress, um daraus zu lernen und besser zu werden. Sie verändern sich permanent und passen sich somit evolutionär an. Sie entwickeln sich weiter, wie die Natur um sie herum.
Übergabe, Transformation oder schleichender Niedergang
Zurück zum Status Quo. Bei den meisten Familienunternehmen läuft es nicht so gut wie beim Otto Versand. Meist kommt nach 20-30 Jahren die Bewährungsprobe: Gibt es noch einen Unternehmer im Unternehmen, der eine direkte Beziehung zu den Kernkunden hat? Springt immer noch ein Funke der Inspiration zwischen den sich verändernden Bedürfnissen der Kunden und der wachsenden Organisation über? Fühlen sich die Zulieferer noch der Qualitätsphilosophie verpflichtet, die den Ur-Unternehmer geleitet hat? Ist das Unternehmen von einzelnen Personen abhängig oder hat es die Transformation zu mehr Eigenverantwortung geschafft? Verliert es seine innovativen Ideen oder hat es sich so aufgestellt, dass auch ohne einen Inhaber an der Spitze ein ständiges Innovationsfeuer von innen heraus brennt?
Üblicherweise taucht nach einer Generation die Frage nach der zukünftigen Organisationsform auf. Soll das Unternehmen inhabergeführt weiter existieren, aber niemand in der Familie kann oder will dies übernehmen, muss ein passender Nachfolger gefunden werden. Unternehmen sind in dieser Phase extrem anfällig für Krisen. Viele Unternehmer finden keinen passenden Nachfolger und müssen an einen Investor verkaufen. Die eher glücklicheren können die Leitung der Firma in der Familie weitergeben. Regelmäßig hat sich dann aber die 3. Generation derart stark vom Wissen und Geist des Gründers entfernt, dass das Unternehmen verkauft wird oder untergeht.
Das Problem: während es früher eine Unternehmergeneration oder länger dauerte, bis das Geschäftsmodell grundlegend verändert werden musste, schrumpft diese Zeit immer weiter zusammen. Nicht wenige Unternehmen müssen bereits nach 10 Jahren oder früher wesentliche Veränderungen vornehmen, um im Markt weiter bestehen zu können.
Die Gründe für eine notwendige Transformation kommen daher mittlerweile selten allein. Sie überlagern sich: Nachfolgersuche, Erosion des Kerngeschäfts, Mangel an Innovation, schwierige Personalsuche, überalterte Kernmannschaft, die möglichen Gründe könnten ein eigenes Kapitel füllen.
Die meisten Mittelständler sind jedoch völlig unerfahren in Transformation. Wie kann man auch Erfahrung sammeln in einem Thema, das einen nur alle 10-20 Jahre ereilt? Typischerweise müssen dann Berater oder Interim Manager einspringen, um zu versuchen das Ruder noch herumzureißen. Frage: Kann diese kritische Phase entschärft werden? Und wenn ja, wie? Die Antwort für gut etablierte Unternehmen heißt: ja, durch rechtzeitiges Erkennen und Einleiten der Transformation, solange es dem Unternehmen noch gut geht. Es ist eine der wichtigsten Transformationsaufgaben unseres Landes, die vielen erfolgreichen mittelständischen Unternehmen fit für die Zukunft zu machen. Eine Voraussetzung hierfür ist, rechtzeitig zu handeln. Die Aufgabe des Gründungsunternehmers besteht darin, frühzeitig den Unternehmergeist auf viele Schultern zu verteilen und im Kern des Unternehmens zu verankern. Durch das Verteilen von Verantwortung wird ein Unternehmen überhaupt erst in die Lage versetzt, sich antifragil aufzustellen. Die Organisation wird befähigt, rechtzeitig und angemessen zu reagieren. Das ist jedoch mit einem kompletten Umdenken und einer Umorganisation verbunden. Das Unternehmen sollte dazu die klassische hierarchische Struktur des Familienbetriebs gedanklich verlassen.
Das Future Fit Enterprise Modell
Betrachten wir zunächst den Unternehmenszyklus in Abbildung 2 links.
Abbildung 2: Ableitung des Future Fit Enterprise Modells
Ein neues Unternehmen entsteht klassisch durch die Inspiration und Interaktion eines Kunden mit einem Unternehmer. Die Bedürfnispyramiden beider Partner spielen dabei eine zentrale Rolle. Der Unternehmer baut, um den Kundenwunsch zu erfüllen, ein Unternehmen auf. Ebenfalls als Pyramide von unten nach oben betrachtet beinhaltet das Unternehmen die Prozesse als Basis, die Produkte als Kern und die Menschen, die es steuern an der Spitze. Im nächsten Schritt erreicht diese Organisation ausgehend von Ressourcen als Basis und Innovation als Kern eine standardisierte Wertschöpfung als Ziel des Unternehmens. Ressourcen, Innovation und Werterzeugung sind die Ermöglicher oder Enabler des Unternehmenserfolgs. Um immer gleichbleibende Qualität, kontrollierte Kosten und steigenden Ertrag zu erzielen, wird das Ergebnis – Produkt oder Dienstleistung - laufend überwacht bzw. kontrolliert und an den Kunden geliefert. Der Unternehmer erhält dann vom Kunden ein Feedback, ob das Produkt seinen Vorstellungen entspricht. In einem KMU, bei dem Unternehmer und Kunde in direktem Kontakt stehen, funktioniert diese Feedback-Schleife normalerweise reibungslos. Die Schwäche dieses Ablaufs tritt erst dann zutage, wenn das Unternehmen