Und in all diesem Trubel hänge ich nur herum und habe Langeweile. Ja, Langeweile. Ich fühle mich seltsam isoliert. Klar, ich gehöre nicht wirklich zu denen hier. Ich bin mit meinem Sohn mitgekommen, weil ich bei ihm sein wollte und weil ich sehen wollte, was passiert. Neugier also, wenn ich ehrlich bin. Doch gerechnet hatte ich mit etwas ganz anderem: Wie ein Lauffeuer, so dachte ich, würde sich die Magie unter den männlichen Rebellen verteilen, so dass nur wenige Wochen vergehen würden, bis Adrian in den Krieg ziehen würde: Gegen die Hauptstadt Annaburg oder für den Anfang erstmal gegen eine Garde!
Doch nichts, Pustekuchen. Stattdessen das übliche Wanderleben und jede Menge Organisationskram. Das habe ich schon damals bei der Ostgarde gehasst, ich bin eine Frau der Tat! Und dummerweise gibt es nichts für mich zu tun.
Ich habe es ja versucht, weiß die Göttin! Habe mich abends an ein Lagerfeuer gesetzt, ein paar Becher Apfelwein getrunken und tiefsinnige Gespräche darüber geführt, wie die Welt wohl aussehen wird, wenn sich Männer von dem ihnen von der Göttin angestammten Platz erheben. Nicht, dass ich das gut finden würde. Aber spannend, immerhin.
Doch auch solche Gedankenspiele verlieren mit der Zeit ihren Reiz, wenn du jeden Abend wunde Füße hast und nicht weißt, wohin mit dir. Ich habe meinen Platz in dieser Welt schon vor Jahren verloren. Eine Zeit lang sah es so aus, als wäre es meine neue Bestimmung, Koljas Mutter zu sein. Das hat mich gerettet, ansonsten hätte ich mich sicher schon auf die ein oder andere Weise zur Großen Göttin befördert.
Aber dann musste ich ihn gehen lassen und zurück kam ein junger Mann, der weiterwachsen und mich irgendwann nicht mehr brauchen wird. Ja, ich habe meinen Platz in der Welt verloren. Und ich weiß nicht, wie ich je wieder einen finden soll.
»Hallo Mama!«
»Du bist spät dran heute!«, schimpfe ich halbherzig. Mit meinem ganzen Selbstmitleid habe ich mich wieder einmal selbst in trübe Stimmung versetzt. »Ich musste alles allein aufbauen und auspacken.«
»Tut mir leid.« Er schnieft. »Es hat heute eben alles ein bisschen länger gedauert.«
»Ist alles in Ordnung bei dir und Désirée?«
»Ja, wieso fragst du?«
»Ach, nur so. Wie kommt ihr denn voran?«
Kolja zuckt mit den Schultern. »Bei mir ging es damals schneller, aber wir sind dran.«
»Natürlich ging das bei dir damals schneller«, sage ich voller Stolz. »Du bist der intelligenteste Junge … junge Mann, den ich kenne!«
»Ach Mama, das sagst du ja nur, weil du –« Er stockt.
Ich weiß, was ihn dazu gebracht hat: Der Gedanke daran, dass ich ja eigentlich gar nicht seine Mutter bin, zumindest nicht im biologischen Sinn, sondern Ada. Und dass sie so etwas Schönes nie über ihn oder zu ihm gesagt hat. Weil sie eine dämliche, egoistische Mistkröte ist, der ich am liebsten mal ganz gehörig ein paar Ohrfeigen verpassen würde. Leider, leider besteht mein Sohn darauf, dass Ada allein seine Angelegenheit ist. Aber ich werde ja wohl noch träumen dürfen.
»Weil ich deine Mutter bin«, vollende ich seinen Satz. Dingen, die weh tun, muss er sich stellen, damit sie aufbrechen und heilen können. Auch wenn er es immer und immer wieder tun muss. Es wird jedes Mal besser, verdrängen bringt nichts außer schwärenden Wunden, die nach innen wachsen. »Ja, ich bin deine Mutter und nein, das sage ich nicht nur deswegen.« Ich schnaufe übertrieben. »Oder kannst du dir vorstellen, dass ich sowas zum Beispiel zu Corey sagen würde, wenn er mein Sohn wäre?«
Ich habe es geschafft, Kolja lächelt. Ganz vorsichtig. Er sieht immer so zerbrechlich aus!
Überhaupt: Jetzt, da das Licht meiner Öllampe über sein Gesicht huscht, sieht er kleiner aus, als er ist. Mehr Kind noch als Mann, und doch sagen seine Augen etwas anderes.
»Sag mal, irre ich mich, oder hast du Ränder unter den Augen?«
»Was?« Kolja kramt einen Spiegel aus seiner Tasche und mustert dann kritisch sein Antlitz. Ich betrachte ihn indessen insgesamt etwas genauer. Dass er das mit den Augenringen nicht sofort abgestritten hat, macht mich stutzig. Normalerweise besteht er immer darauf, dass es ihm gut geht.
Waren seine Schultern nicht mal breiter? Zumindest waren sie mir so vorgekommen, als er aus Annaburg zurückgekommen war. Schlank war er, seit ich ihn kenne, und die Wachstumsschübe, die er in den letzten zwei Jahren gemacht hat, haben ihr Übriges getan. Aber dass er so dünn ist? Ja, die Versorgung ist hier nicht so gut, wie er es von Zuhause in Smaleberg gewöhnt ist, aber dennoch ausreichend. Er hatte viel zu tun in der letzten Zeit: Erst das Abenteuer in Annaburg und der harte Ritt zur Gefängnisburg-über-Almetal. Kaum angekommen, waren wir gemeinsam aufgebrochen und als wir dann auf Adrian gestoßen waren, ging es fast sofort wieder weiter. Von dem etwas längeren Aufenthalt in diesem Kuhkaff mal abgesehen, waren wir ständig auf Reisen. Und kaum, dass wir irgendwo unser Lager aufgeschlagen hatten, war Kolja mit Désirée und ein paar anderen im Wald verschwunden, um sein Wissen weiterzugeben. Mein Sohn sieht schon seit einiger Zeit ständig müde aus, ja, aber ich hielt das für normal, es geht uns ja allen so.
Während Kolja den Spiegel wieder wegpackt und sichtlich verlegen mit den Schultern zuckt, lasse ich meinen Blick wieder über sein Gesicht gleiten. Mag sein, dass es an den Lichtverhältnissen liegt, aber was sind das für dunkle Stellen unter seinen Wangenknochen?
»Mojserce, bist du krank?«
Er weicht meinem Blick aus. »Nein Mama, nur ein bisschen überanstrengt vielleicht. War ein bisschen viel in der letzten Zeit, ich bin auch ein bisschen müde.«
Dreimal »ein bisschen«, das ist mir aber ein bisschen zu viel!
»Schau mich an!«
Gehorsam richtet er seinen Blick auf mich. Darin liegt so knochentiefe Erschöpfung, dass ich mir Mühe geben muss, um nicht zusammen zu zucken.
»Kolja, Mojserce, du bist krank!«
»Ach nein, Mama, mach dir keine Sorgen! Es geht mir … na ja, es ging mir schon besser, aber ehrlich, es ist nichts. Ich bin nur total müde.«
»Dann schlaf jetzt, mein Schatz!«
Muss ich mir Sorgen machen? Nein, sicher nicht, beschließe ich. Kolja ist einfach nur erschöpft, wie wir alle.
Kapitel 4
Als Désirée am nächsten Morgen kommt, um Kolja abzuholen, erwarte ich sie bereits vor unserem Zelt. Sie und Kolja hatten es sich zur Angewohnheit gemacht, ihr Frühstück morgens mitzunehmen und unterwegs zu verzehren. Himmelfraugöttin nochmal, wieso habe ich das nicht unterbunden?
»Weil du keine dieser unbedarften, hilflosen Mütter sein wolltest, die meint, alles kontrollieren zu müssen, nur weil sie keinen Mann hat, der sich um das Kind kümmert. Weil du locker sein wolltest« – so in etwa würde wohl die richtige Antwort lauten. Was im Endeffekt – und dafür brauche ich nun wirklich keine Seelenärztin zu befragen – einfach darauf hinausläuft, dass ich will, dass mein Sohn mich nicht nur liebt, sondern auch mag. Verdammt. Erziehungskompetenztechnisch der totale Reinfall also. Wenn ich allerdings jemals gedacht hätte, den Kleinen noch erziehen zu müssen, wäre ich wahrscheinlich schreiend weggerannt. Und wenn ich »erziehen« einfach durch »beschützen« ersetze? Dann klingt es tausendmal besser, bei den Sieben Finsterhexen, und nicht so verflucht nach Kerlekram. Gut, beschützen also. Und dazu gehört, dass ich jetzt erstmal dafür sorge, dass Kolja Ruhe bekommt.
»Guten Morgen!«, begrüßt mich Désirée gut gelaunt. »Ich wollte Kolja abholen.«
»Sorry, das wird heute nichts.« Noch bevor die Rebellin etwas