„Ich weiß.“
„Er scheint Sorgen zu haben, die ihm wichtiger erscheinen.“
„Ja, die Schollenbrecher. Teufel, ich kann sie auch nicht leiden, weil sie die Prärie
umwühlen und Stacheldrahtzäune bauen. Aber die Rustler sind mir doch wichtiger. Weil sie Mörder sind!“
„Du musst es ihm selbst erklären.“
„Ich? Ich wäre fortgeritten. Ich bin nur noch wegen dir da, Roger. Ich möchte dabei sein, wenn dein Vater die Leitung einem seiner Söhne, oder beiden überträgt. Vielleicht kannst du dann einen Freund gebrauchen.“
Roger steht auf und schnallt seinen Patronengurt enger.
„Vielleicht“, antwortet er gedehnt. Er holt sein Pferd, sattelt es und steigt auf. Langsam reitet er aus dem Lichtkreis des Feuers. Der Gesang des Wächters schlägt deutlicher an seine Ohren. Er reitet nach links von der Herde weg, weil er allein sein möchte. Er fragt sich, ob er jetzt noch einmal zu Helen reiten sollte. Vielleicht hat sie mit ihrem Vater gesprochen und er sieht ein, dass der Kampf aussichtslos geworden ist. Er kommt über einen Hügel und hält bei den Büschen, über die hinweg er die Prärie im kalten, gleißenden Mondlicht vor sich liegen sieht.
Ja, er sollte es jetzt versuchen. Es ist noch nicht so spät, denn es wird schon früh dunkel. Vielleicht ist es neun Uhr. In einer halben Stunde kann er die Farm erreicht haben. Die Cowboys werden schweigen. Roger reitet um die Büsche herum und weiter über das Land.
Zehn Minuten später hält er wieder hinter Büschen. Vielleicht sollte er doch besser den Tag abwarten. Aber dann wird Andy vielleicht herauskommen. Und Andy wird sich freuen, wenn er wieder etwas in Erfahrung bringen kann, das sich vielleicht irgendwann einmal gegen Roger verwenden lässt.
Er ist noch unentschlossen, als er den Reiter auftauchen sieht. Der Mann kommt von links und scheint genau auf die Büsche zuzuhalten, hinter denen er hält. Er kommt rasch näher.
Roger gleitet aus dem Sattel und hält seinem Pferd die Nüstern zu. Er weiß nicht, warum er das tut. Er will nicht gesehen oder bemerkt werden. Da ist der Reiter schon dicht heran.
Roger erkennt für wenige Sekunden seinen Bruder, dann ist der schon vorbei, und der Hufschlag entfernt sich.
„Andy“, murmelt er.
Im nächsten Moment sitzt Roger wieder im Sattel und biegt um die Büsche. Er sieht den Reiter in einer Senke verschwinden. Langsam folgt er ihm. Er kann sich an die Spuren halten. Plötzlich interessiert es ihn, wohin Andy um diese Zeit reiten könnte. Nach Collins geht es hier nicht. Und noch einen anderen Ort wüsste Roger nicht, der Andy wie ein Magnet anziehen könnte.
Als er zu der Senke kommt, kann er Andy nicht mehr sehen. Aber die Fährte im Gras zeigt den Weg, den er genommen hat.
Roger folgt den Spuren weiter. In der Ferne sieht er schon die dunklen, massigen Schatten der Berge. Und dahin führt die Spur.
9
Steil und unüberwindlich ragen die Felsgiganten vor ihm in die Höhe. Das Heulen eines hungrigen Coyoten schlägt an seine Ohren. Vor sich sieht er den dunklen Schlund eines Canyons. Auf dem Boden kann er keine Spuren mehr finden. Er ist zu hart, um Hufeindrücke aufzunehmen. Aber dort in den Canyon muss Andy hinein geritten sein.
Roger reitet weiter. Der Hufschlag hallt von den glatten, grauen Felswänden wider. Er ist nicht weit gekommen, als ihn das Wiehern eines Pferdes zusammenzucken lässt.
Ein lästerlicher Fluch erschallt.
Roger ist mit einem Sprung auf dem Boden und drängt sein Pferd hinter eine Felsnase. Im gleichen Augenblick ist das Donnern eines Colts zu hören. Ein Flammenblitz zuckt durch den Canyon und das grollende Echo rast tausendfach zwischen den engen Felswänden hin und her. Das Sirren der Kugel geht darin unter.
Roger spürt den kalten Kolben des Revolvers in der Hand. Er sieht vor sich nichts als tiefe Dunkelheit. Doch er schießt. Er schießt auf die Stelle, von der der Flammenblitz auf ihn zusprang. Er denkt, dass dort vielleicht Andy liegt, der bemerkt, dass er verfolgt wird und der nun dort lauert, weil er etwas zu verbergen hat.
Seine Kugel scheint fehlgegangen zu sein, denn der Mann schießt wieder.
Roger klemmt die Zügelenden unter einen Stein, gleitet an dem Pferd vorbei und schiebt sich an der Felswand vorwärts. Noch einmal blüht eine Feuerblume wie buntes Leuchtfeuer auf, und wieder ist das Donnern des hin und her springenden Echos zu hören.
Roger schießt und lässt sich fallen. Es ist ihm, als würden seine Trommelfelle platzen. Er hört noch ein anderes Geräusch, aber er kann es nicht deuten, weil es zu schwach ist.
Endlich wird es still. Nur das schwache Stöhnen eines Mannes schlägt an Rogers Ohren. Er bleibt still liegen, weil er das für einen üblen Trick hält, der ihn aus der Deckung locken soll.
Minuten tropfen zäh dahin. Noch immer hält das Stöhnen an, und Roger fragt sich, ob ein Mann so anhaltend markieren kann.
Er hebt den Colt und schießt noch einmal in die gleiche Richtung. Er lässt die Waffe fallen und hält sich die Ohren zu.
Dabei blickt er nach vorn und wartet auf den zweiten Knall und das Irrlicht vor der Mündung. Aber es kommt nicht. Das Echo steigt nach oben und entflieht, weht über die Gipfel und Scharten davon. Und wieder ist das leise Wimmern zu hören. Es ist schwächer geworden, als läge ein Mann im Sterben.
Roger richtet sich vorsichtig auf. Er hat den Colt wieder in der Hand. An der Felswand tastet er sich weiter. Das Wimmern kommt ihm näher. Er versucht, die Dunkelheit mit seinen Blicken zu durchdringen, aber es gelingt ihm nicht.
Wieder ist er stehengeblieben. Das Stöhnen bricht ab. Ein Pferdehuf donnert gegen die Felswand. Ein leises Schnauben und dann wieder das Stöhnen eines Mannes.
Nein, das kann nicht markiert sein.
Roger geht weiter. Kann es Andy sein, der dort liegt und vielleicht sein Leben aushaucht, nur weil er seinen Bruder nicht hinter sich haben wollte? War es richtig, dass er geschossen hat?
Schweiß perlt auf seiner Stirn. Wie könnte er seinem Vater einen solchen Zwischenfall erklären. Er hat nicht zuerst geschossen, hat sich nur verteidigt.
Aber was wird das zählen. Berton Keefe wird sagen, dass sich jeder seiner Verfolger zu erwehren hat. Und sicher hatte Andy gar nicht bemerken können, wer es war, der ihn verfolgte.
Ein Stein liegt am Rande des Weges. Ein großer, abgewaschener Stein. Ein Stück dahinter scheint ein Pferd zu stehen, aber es ist immer noch nicht zu erkennen. Dafür sieht Roger jetzt deutlich ein paar große, mexikanische Radsporen, von denen ein schwaches Funkeln ausgeht.
Andy hat solche Sporen. Aber viele andere Reiter haben auch welche.
Roger lehnt an der Wand und schiebt den Colt ins Holster. Mit den Händen greift er gegen die kalten Steine. Er wagt es nicht, zu dem Stein hinüber zu gehen, obwohl er an keine Gefahr mehr glaubt. Der Mann dort hätte längst etwas unternommen, wenn er das noch könnte.
Seine Beine sind wie gelähmt. Was wird geschehen, wenn es Andy ist? Aber wer sollte es sonst noch sein? Die Spuren führten bis dicht an den Canyon heran. Andy kann keinen anderen Weg genommen haben. Er muss es sein!
Roger stemmt sich von der Felswand los, wischt den Schweiß von der Stirn und macht eine zögernde Bewegung.
Das Stöhnen bricht plötzlich ab.
Roger bleibt wieder stehen. Er lauscht, hört aber nichts mehr. Er weiß in dieser Minute, dass der Mann tot ist, oder zumindest bewusstlos.
Roger fühlt, dass seine Beine rückwärts wollen. Dabei denkt er daran, dass sich nichts ändert, wenn er bis morgen früh hier steht. Einmal wird er hinter den Stein blicken müssen.
Das Pferd