"Wenn dieser Inspektor sich erst einmal in Sie verbissen hat ..."
Ein Geräusch an der Tür ließ uns alle aufhorchen.
Schritte ...
Wir standen da und blickte in die Richtung, aus der diese Geräusche gekommen waren. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann tauchte Lucinda, das Hausmädchen auf. Sie wirkte immer noch verstört.
Die Kleider klebten ihr feucht am Leib. Sie war völlig durchnässt.
"Lucinda!", rief der Butler.
"Ich ..." Sie blickte auf und zitterte leicht. Ob vor Kälte oder aus Angst war schwer zu sagen. Sie schluckte und fuhr dann fort: "Ich bin in meinen Wagen gestiegen und wollte nach Hause fahren ... Aber der Sturm hat ein paar Bäume entwurzelt, die jetzt quer über der Straße liegen. Der Weg ist abgeschnitten Und dann ..."
"Was noch?", hakte ich nach, denn ich spürte instinktiv, dass da noch etwas anderes war. Etwas, von dem sie bis jetzt noch nichts erwähnt hatte.
"Da war ein Ritter ..."
"Ein Ritter?", echote ich und erinnerte mich jener Gestalt, die ich aus dem Burghof hatte reiten sehen.
"Er hat mit seinem Schwert auf meinen Wagen eingeschlagen! Sie können sich die Kratzer gerne ansehen, dann wissen Sie, dass ich keinen Unsinn rede! Und außerdem hat er zu mir gesprochen – wenn das das richtige Wort ist. Er sagte, dass niemand Gilford Castle in dieser Nacht verlassen würde ... Niemand ..."
Ihr Gesicht drückte Schaudern aus.
"Sie sollten sich erst einmal etwas Frisches anziehen", meldete sich indessen der Butler zu Wort. "Meine Güte, Sie sind ja ganz durchnässt!"
Lucinda schien das nicht sehr zu kümmern. Sie strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht und rief: "Wir sind Gefangene!"
25
Von Charles, dem Butler, ließ ich mir einen Schirm geben und ging dann zusammen mit Robert hinaus auf den Burghof, um mir Lucindas Wagen anzusehen.
Er stand direkt vor dem Portal. Lucinda hatte offenbar sofort die Tür des Fiats aufgerissen und war aus dem Wagen hinausgestürzt.
Die Beulen und Kratzer waren unübersehbar. Die Seitenscheibe war gesprungen.
Der Wind trieb uns den Regen ins Gesicht und zerrte am Schirm.
Robert bedachte den Wagen mit einem nachdenklichen, sorgenvollen Blick und fuhr vorsichtig mit der Hand über den zerstörten Lack. Dann atmete er tief durch und wandte den Kopf in meine Richtung.
"Patricia, du hättest nicht hierbleiben dürfen", sagte er.
"Nun ist es aber einmal geschehen", meinte sie.
"Außerdem ..."
"Was?"
"Es muss eine Möglichkeit geben, diesem Spuk ein Ende zu bereiten!"
"Du willst doch nicht im Ernst diesen abstrusen Ideen das Wort reden, die Ted McRory verbreitet!", erwiderte er, und seine Augenbrauen bildeten dabei eine Schlangenlinie.
Ich schüttelte den Kopf.
"Nein, natürlich nicht", versuchte ich ihn zu beruhigen.
"Das hätte ich auch ehrlich gesagt, nicht für möglich gehalten!"
Der Wind riss an unseren Kleidern und die beinahe klagenden Laute, mit der er zwischen den Mauern von Gilford Castle hindurchblies, erinnerte mich unwillkürlich an eine menschliche Stimme.
Joannes Stimme.
"Ich frage mich, warum dieses Wesen – oder wie immer man es nennen mag ..."
"Warum nennst du es nicht bei seinem Namen", unterbrach mich Robert und fügte dann hinzu: "Joanne ..."
Ich seufzte.
"Ich weiß nicht, ob dieser Geist wirklich noch sehr viel mit jener Frau gemeinsam hat, die Joanne einst wahr ... Ich kann es mir kaum vorstellen ... Andererseits ..."
Er sah mich an.
Seine Hand berührte meine Schulter.
Der Blick seiner braunen Augen musterte mich fragend.
"Ja?", flüsterte er.
"Du kennst sie besser als ich, Robert ..."
Er atmete tief durch.
"Auf gewisse Weise hast du recht. Aber wenn ich sie damals wirklich gekannt hätte, hätte ich ihre Entscheidung respektiert und hätte nicht meine Gefolgsleute zusammengerufen, um Mornsley Castle in Schutt und Asche zu legen ... Alles hat in dieser Tat vor mehr als sechshundert Jahren seinen Anfang genommen ..."
Ich legte ihm einen Finger auf die Lippen und so schwieg er.
"Solcherart Vorwürfe haben keinen Sinn, Robert!"
Er nickte langsam. Dann nahm er meine Hand. Sein Lächeln war verhalten. "Ich hätte diese Rückführung niemals durchführen lassen sollen", erklärte er dann. "Es ist besser, nicht zu wissen, wer man war und stattdessen den Blick in die Zukunft zu richten."
"Auch das ist Vergangenheit", erwiderte ich. "Und die lässt sich nicht rückgängig machen."
"Ich weiß ..."
Er strich mir über das Haar, dass schon recht feucht war.
Seine Hand war warm und vermutlich waren wir beide in diesem Moment froh, nicht allein zu sein. Er küsste mich auf die regenfeuchten Lippen.
"Ich liebe dich, Patricia", sagte er dann. "Und wenn ich dich ansehe, dann kommst du mir so vertraut vor, als würden wir uns schon unendlich lange kennen ..." Er lächelte und seine Augen blitzten dabei auf, als er noch hinzufügte: "Vielleicht aus einem anderen Leben ..."
Seltsam!, dachte ich. Daran habe ich auch schon gedacht.
Aber ich behielt diesen Gedanken für mich. Ich schlang die Arme um seine Taille und schmiegte mich an ihn.
Der Schlag seines Herzens wirkte beruhigend auf mich.
Das schrille Wiehern eines Pferdes ließ uns dann im nächsten Moment beide aufhorchen.
Wir sahen uns an.
Kein Wort brauchten wir, um uns zu verständigen. Wir hatten denselben Gedanken.
Dort draußen wartete jemand ...
Jener Reiter, von dem Lucinda gesprochen hatte und den ich durchs Fenster beobachtet hatte ...
Ich fasste nach Roberts Hand.
Dann gingen wir gemeinsam durch den Regen auf die andere Seite des Burghofs und blickten über die Zinnen der brusthohen, aus zentnerschweren Steinquadern errichteten Mauer hinweg in die Dunkelheit.
Die Türme von Mornsley Castle erhoben sich als dunkle Schatten gegen den Himmel. Der Wind fuhr durch den umliegenden Wald und bog die Baumkronen in seine Richtung.
Wieder war ein Wiehern zu hören, und die Geräusche eines galoppierenden Pferdes mischte sich in das Tosen von Wind und Regen.
Aber