Neun ungewöhnliche Krimis Juni 2019. Pete Hackett. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pete Hackett
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783745210118
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      Schritte wurden auf dem Gang laut, gleich darauf stürmte eine dunkle Gestalt heran und blieb in der raschen Bewegung wie erstarrt in der Tür stehen, als sie den Leutnant am Schreibtisch sitzend sah.

      „Guten Abend, Herr Graf. Bitte, treten Sie doch näher, ich habe Sie schon lange erwartet.“

      „Leutnant, Ihr überrascht mich schon wieder. So groß ist Euer Wissensdurst, dass Ihr meine Bibliothek benutzt?“

      Der Graf warf mit einer achtlosen Bewegung seinen Dreispitz in eine Ecke, zog sich den schwarzen Umhang von den Schultern und ließ ihn zu Boden gleiten.

      Danach ergriff er Stahl und Zunder von einem großen Leuchter und machte sich damit zu schaffen. Während er Funken schlug und gleich darauf die erste Kerze an dem Brennmaterial entzündet wurde, sprach er im leichten Plauderton weiter.

      „Habt Ihr eigentlich keine Sorge, dass ich Euer Verhalten Herzog Carl Wilhelm Ferdinand mitteilen werde? Ihr beleidigt einen Gast Eures Herzogs, indem Ihr in seiner Abwesenheit in sein Haus eindringt, und dann sitzt Ihr hier in aller Ruhe und erschreckt mich zu Tode, als ich schließlich nach einem arbeitsreichen Tag – und zwar für Euren Herzog! – zurückkomme. Unglaubliches Benehmen, das muss ich wirklich sagen.“

      Der Graf hatte nun mehrere Kerzen entzündet, die den großen Raum etwas erhellten.

      „Nun, das wird meine geringste Sorge sein, Herr Graf. Sollte unser Herzog irgendeinen Grund haben, Eurer Beschwerde zuzuhören, dann werde ich mich selbstverständlich in aller Form entschuldigen. Aber vorher, so glaube ich doch, müssen wir ein paar Dinge klären.“

      Der Graf stand jetzt vor dem Schreibtisch und warf einen Blick auf das schmale Bändchen, dass der Leutnant entdeckt und deutlich sichtbar auf den Tisch gelegt hatte.

      „Ach, die alte Schrift ist doch zu interessant, was meint Ihr, Graf?“, sagte der Leutnant ironisch und deutete mit seiner unbewaffneten Hand auf das Buch.

      Der Graf von St. Germain zuckte nur gleichgültig die Schultern und ging nun ein paar Schritte weiter, um sich neben eine Säule zu stellen, auf der sich eine große Schale befand. Misstrauisch folgte der Leutnant seinen Bewegungen, jederzeit bereit, auf eine verdächtige Bewegung des Mannes zu reagieren.

      „Interessant ist kaum der richtige Ausdruck, Herr Leutnant. Das griechische Feuer ist so unglaublich, dass es alles vergessen lässt, was man jemals über Brandsätze gehört oder gelesen hat. Die Gelehrten des Altertums haben damit eine Entdeckung gemacht, die in ihrer Anwendung fürchterlich effektiv ist. Leider ist vieles von dem Wissen über die Jahrhunderte verloren gegangen. Es war mühselige Forschungsarbeit erforderlich, um alles zusammenzutragen, was jemals über diese Waffe veröffentlicht wurde. Und es galt auszusortieren, was davon Legende ist und was weiterverfolgt werden konnte.“

      „Ich nehme doch stark an, dass Ihr nicht nur die Rezeptur zur Verbesserung des Porzellans gefunden habt, sondern auch beim griechischen Feuer Fortschritte erzielt?“

      „Ganz richtig erkannt, Leutnant, und ich möchte Euch dazu einladen, an meinen Versuchen teilzunehmen. Ihr sollt sehen, was es mit dem griechischen Feuer auf sich hat.“

      Jetzt überstürzten sich plötzlich die Ereignisse, und Leutnant Oberbeck verblieb kaum Zeit, zu reagieren.

      Der Graf stieß gegen den Ständer mit der Schale, die darauf gegen den Kerzenleuchter schwappte. Mit einer einzigen, fließenden Bewegung hatte der Graf sich weiter gedreht und die Hand gehoben.

      Als Oberbeck sich hinter den Schreibtisch fallen ließ, hörte er, wie das Messer hinter ihm gegen das Fenster klirrte. Noch ahnte er nichts von der Katastrophe, die der Graf mit seiner Tat verursachte. Hinter dem Schreibtisch liegend, sah er den Grafen zur Tür laufen, und hob die Pistole. Mit mächtigem Krachen löste sich der Schuss, aber er konnte nicht erkennen, ob er den fliehenden Grafen getroffen hatte, der schon im nächsten Moment die Tür von außen zudrückte und einen Schlüssel umdrehte.

      Oberbecks Aufmerksamkeit galt unmittelbar nach dem Schuss einer lodernden Flammenwand, der er hilflos gegenüberstand. Die in der Schale befindliche Flüssigkeit hatte sich entzündet, und mannshohe, blaue Flammen schlugen auf, breiteten sich in einer irrsinnigen Geschwindigkeit auf dem Fußboden aus, erfassten Bücher und Dokumente, fraßen sich quer durch den Raum und verwehrten dem Leutnant die Flucht durch die Tür.

      Fassungslos warf er einen kurzen Blick auf das flammende Inferno, gleich darauf drehte er sich zu dem Fenster um, öffnete es und war einen Augenblick später mit einem Sprung auf dem Pflaster.

      Ringsumher liefen Menschen durch die Dunkelheit, Schreie wurden laut, Schüsse peitschten plötzlich durch die Nacht und gaben der ganzen Szene etwas Gespenstisches, wenn die dunklen Gestalten der Soldaten durch den Feuerstrahl ihrer Büchsen für kurze Zeit sichtbar wurden. Der Leutnant lief zum Hof des Palais hinüber, als er die Kutsche herannahen hörte.

      Das schwere Gespann schaukelte in rasender Fahrt gefährlich um die Ecke direkt auf den Hagenmarkt, für einen Moment sah es aus, als würde sie umstürzen, als sich ein Rad bereits hob. Dann krachte der Kasten wieder herunter, und nur mit einem kühnen Satz konnte sich der Leutnant vor den herandonnernden Hufen retten. Er rollte auf dem harten Pflaster zur Seite und fluchte über den flüchtenden Verbrecher, als er drei Schatten bemerkte, die hinter der Kutsche auf die Straße sprangen. Dann erkannte er, wie die Männer kurz hielten, und gleich darauf krachte eine Gewehrsalve hinter der Kutsche her.

      Aber mit unverminderter Geschwindigkeit hielt sie jetzt auf das Fallersleber Tor zu. Oberbeck rappelte sich auf und bemerkte aus dem Augenwinkel, wie weitere Jäger aus dem Haus stürzten und der Kutsche nachliefen.

      Jetzt schien es ihm, als hätte die Kutsche für einen Moment ihre rasende Fahrt verringert, und tatsächlich schien sie in der Dunkelheit der Straße plötzlich zu stoppen. Im ungewissen Licht der Straßenbeleuchtung erkannte der Leutnant, wie eine dunkle Gestalt auf das Dach der Kutsche kletterte, gleich darauf nahm sie erneut Fahrt auf und war bereits nach ganz kurzer Zeit in der Höhe des Tores.

      Schwer atmend blieben die Jäger stehen, es hatte keinen Sinn mehr, die Kutsche zu verfolgen. Oberbeck wünschte sich nichts mehr als ihre Pferde, aber die Tiere wären natürlich vor dem Palais aufgefallen und hätten den Grafen vorzeitig gewarnt. So hatte der Leutnant alles auf den Überraschungseffekt gesetzt und nicht damit gerechnet, dass der Graf sein Palais rücksichtslos in Brand stecken würde.

      Während einige Jäger noch auf der Fallersleber Straße zu dem Ort unterwegs waren, an dem die Kutsche ihre Fahrt verlangsamt hatte, erkannte ihr Offizier, dass sich die Bürger aus der Nachbarschaft eingefunden hatten und bereits eine lange Eimerkette zum Okergraben bildeten, um die großen Flammen zu bekämpfen, die aus dem unteren Stockwerk des Palais gierig herausleckten.

      Jetzt musste zunächst der Schaden begrenzt und die benachbarten Häuser vor einer möglichen Feuersbrunst bewahrt werden. Die auf dem Hagenmarkt versammelten Jäger stellten ihre Waffen zusammen und reihten sich in die Eimerkette ein. Es gelang ihnen erst nach Stunden, nachdem die Trümmer der brennenden Balkenkonstruktion gelöscht wurden und das Griechische Feuer aufgrund von Nahrungsmangel allein verlöschte, größeren Schaden von der Nachbarschaft abzuwenden.

      Als sie sich erschöpft bei dem Posten neben ihren Gewehren versammelten und sich kurzerhand für eine Erholungspause auf das Pflaster hockten, sagte Sergeant Eggeling:

      „Die Männer sind die Fallersleber Straße noch abgegangen und haben am Okergraben in Höhe der Wilhelmstraße einen weiteren Toten gefunden.“

      Der Leutnant sah ihn erstaunt an.

      „Einen weiteren Toten? Etwa den Grafen?“

      Eggeling schüttelte den Kopf und deutete auf einen Handkarren, der im Dunkel an der Mauer des Hoftheaters stand.

      „Nein, es muss sich wohl um seinen Kutscher handeln, den wir mit einer Kugel getroffen haben. Ein unglaublich großer, kräftiger Kerl. Hat ihm aber nicht viel genutzt, eine von den Kugeln ist ihm durch den Rücken und vorn wieder ausgetreten. Sieht nicht besonders gut aus, der Mann.“

      „Das