Neun ungewöhnliche Krimis Juni 2019. Pete Hackett. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pete Hackett
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783745210118
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hoben sie sich deutlich von den anderen Soldaten ab, bei denen die übliche Ansprache in der dritten Person erfolgte.

      Jäger Müller verneinte, und der Leutnant trieb sein Pferd schon an, als er seinen Leuten zurief:

      „Sergeant Eggeling und zwei Mann folgen mir, der Rest sichert die Liberei und lässt niemand hinein, der dort nichts zu suchen hat! Vorwärts, wir wollen den Kammerherrn nicht warten lassen!“

      Gleich darauf sprengte der kleine Trupp in scharfem Galopp über die Reichenstraße, bog in die Lange Straße zum Hagenmarkt ein und war schon wenige Minuten später vor dem Portikus. Sein Pferd stand noch nicht richtig, als der Leutnant schon aus dem Sattel war und im Schloss verschwand.

      Mit gemischten Gefühlen eilte er den langen Gang hinunter, der ihn zum Antichambrierraum und von dort in den Raum des Mächtigen führte. Er erinnerte sich in diesem Augenblick nur ungern daran, wie sich der Kammerherr bei dem letzten Fall verhalten hatte, der unter dem Titel Der Richmond-Mord zu den Akten gelegt wurde. Graf Florian von Osten-Waldeck hatte dem Leutnant untersagt, weiter zu ermitteln – für ihn waren die Zigeuner schuld am Tod des jungen Schafhirten. Nur der Hartnäckigkeit des Leutnants, der sich über diese Anweisung hinwegsetzte, war es zu verdanken, dass dieser Fall doch noch aufgeklärt wurde.

      Als er die Tür zu dem Antichambrierraum öffnete, starrten ihm wohl zwanzig Augenpaare zugleich entgegen. Der Leutnant ignorierte die Blicke, durchquerte den Raum eilig und musste noch nicht einmal vor dem Diener warten, der bei seinem Anblick sofort einen Flügel der Tür aufriss und ihm Zeichen gab, unverzüglich einzutreten.

      Das verstärkte die Befürchtungen des Offiziers noch, denn der Kammerherr schien nur darauf zu warten, ihm erneut Anweisungen für seine Arbeit zu geben.

      5.

      Doch Leutnant Oberbeck sollte sich getäuscht sehen. Wieder einmal empfing ihn der Kammerherr überaus freundlich, und zu seiner grenzenlosen Überraschung bot er ihm nicht nur einen Platz an, sondern ein Diener reichte gleich darauf eine fertig angerührte Tasse feinster Schokolade. Oberbeck wartete ab, bis der Kammerherr seine Tasse hob, und folgte ihm pflichtschuldigst. Als er den Schluck für einen Moment genussvoll im Mund behielt, verströmte die kalt angerührte Schokolade ihr Aroma, entwickelte in der Mundhöhle des Offiziers ein unglaubliches Geschmackserlebnis. Schokolade war sündhaft teuer, aber die einzige Leidenschaft Oberbecks. Nach diesem ersten Schluck fragte er sich allerdings auch gleich, ob der Kammerherr diese Leidenschaft kannte und ausnutzte, um den Offizier auf eine kommende, schwierige Aufgabe einzustimmen.

      „Mein lieber Oberbeck“, begann der Kammerherr, als er mit einer gezierten Handbewegung – den kleinen Finger weit abgespreizt – die Tasse zurückgesetzt hatte, „Ihr habt mit Euren Leuten hervorragende Arbeit geleistet. Euer Dossier über den Graf von St. Germain lässt keine Fragen offen und zeigt mir vielmehr einen überaus intelligenten, gefährlichen und offenbar vollkommen skrupellosen Menschen auf.“

      Der Offizier nutzte die Gelegenheit, als der Kammerherr innehielt, für eine verlegene Geste. „Ihr seid zu gütig, verehrter Graf, aber was wir an Nachrichten sammeln konnten ...“

      Der Kammerherr unterbrach ihn mit einer raschen Handbewegung.

      „Oberbeck, Ihr seid einfach zu bescheiden. Seit Eurer Rückkehr vom nordamerikanischen Kriegsschauplatz und der Übernahme von Polizeiaufgaben durch Eure Jäger ist schon so manches Unheil vom Herzogtum beizeiten abgewendet worden. Glaubt mir, ich weiß das zu schätzen.“ Erneut schwieg der mächtigste Mann am herzoglichen Hof, ergriff noch einmal seine Tasse, schwenkte sie kurz und leerte sie gleich darauf in einem einzigen Zug.

      „Köstlich, was uns die Wiener Schokoladerie wieder geliefert hat, nicht wahr, Herr Leutnant? Ihr wisst doch durchaus zu schätzen, was man sich eigentlich als Premierleutnant nicht leisten kann.“

      Oberbeck ließ sich nichts anmerken und sah den Kammerherrn nur schweigend an. Graf Florian von Osten-Waldeck hatte ein leutseliges Lächeln um die Lippen, und gerade das war es, was den Offizier erneut beunruhigte.

      „Ich weiß, Ihr seid kein Freund höfischer Etikette und der Plänkelei, obwohl die Jäger als Plänkler ja hervorragende Arbeit geleistet haben, hahaha, köstliches Wortspiel ... Was ich eigentlich sagen wollte – es wird ein paar Änderungen geben, die Euch mit Sicherheit gefallen. Ich habe große Pläne mit Euch, die wir in Kürze umsetzen wollen.“

      Leutnant Oberbeck rutschte unruhig in seinem Sessel, schwieg aber weiterhin.

      „Es hat sich gezeigt, dass die Jäger als Polizei überaus effektiv sind. Dabei erscheint es mir als sehr sinnvoll, die militärischen Strukturen ein wenig zu verändern. Keine Sorge, lieber Oberbeck, alles zu Euren Gunsten“, fügte der Kammerherr schnell an, als er die bestürzte Miene seines Gegenübers sah. „Mit Durchlaucht bin ich einer Meinung, dass es sehr sinnvoll sein kann, wenn Eure Mannschaft nicht mehr einem militärischen Vorgesetzten untersteht, sondern einem ungleich ranghöheren Beamten bei Hofe. Um es kurz zu machen, denn ich sehe Euch an, wie betroffen Ihr von dieser doch guten Nachricht seid: Ab sofort sind die Jäger mir persönlich unterstellt – na, was sagt Ihr dazu?“

      Oberbeck musste sich zusammenreißen, um nicht ein vollkommen entsetztes Gesicht zu zeigen. Nach all den Jahren unter dem Kommando General Riedesels, mit dem er auf Seiten der englischen Verbündeten gegen die aufständischen Amerikaner gekämpft hatte, wurde nun per Federstrich ihm ein Zivilist vor die Nase gesetzt? Geradezu undenkbar. Aber der Leutnant hütete sich wohlweislich, etwas gegen diese Maßnahme zu sagen.

      „Nun – das kommt in der Tat etwas überraschend. Darf man nach den Gründen fragen?“

      „Man darf, lieber Leutnant, man darf.“ Der Kammerherr schien diesen Augenblick zu genießen. Noch immer lächelte er unverändert und beobachtete den Offizier genau. „Der Grund für diese Veränderung ist eigentlich klar. Als Soldat mit Polizeiaufgaben seid Ihr immer gezwungen, Eure Montur zu tragen. Der Auftritt des doch – nun, sagen wir – zumindest interessanten Grafen von St. Germain bedingt aber, wie Eure Vorarbeit schon deutlich gezeigt hat, dass meine Polizei auch einmal ohne diesen prächtigen Rock im Einsatz sein kann. Mit anderen Worten – unter meinem Kommando könnt Ihr in ziviler Kleidung und damit erheblich unauffälliger Beobachtungen machen, ohne dass wir Euch dazu vom Dienst freistellen müssen. Das dürfte doch in Eurem Sinne sein, habe ich Recht?“

      Leutnant Oberbeck ließ die angehaltene Luft geräuschlos aus. Die Gedanken wirbelten ihm durch den Kopf, rasch wog er ab, was diese Veränderung für ihn und seine Männer bedeutete. Schließlich nickte er bedächtig.

      „Wie wir schon in den vergangenen Wochen deutlich erkennen mussten, war es nicht möglich, gewisse Nachrichten zu erhalten, wenn wir als Soldaten auftraten. Zweifellos wird die polizeiliche Arbeit für uns erleichtert, wenn wir uns entscheiden, in einem zivilen Rock aufzutreten. Aber dann fehlt uns auch die Legitimation, um entsprechende Verhaftungen vorzunehmen, um möglicherweise Häuser zu betreten und ...“

      Wieder unterbrach ihn ein Handzeichen des Kammerherrn.

      „Herr Leutnant – Ihr beleidigt mich ja beinahe. Keine Sorge – das ist natürlich alles geregelt. In dieser Mappe befinden sich entsprechende Urkunden für Euch und Eure Männer, versehen mit dem herzoglichen Siegel, die Euch nicht nur legitimieren, sondern jedermann auffordern, Euch bei Euren Arbeiten zu unterstützen – jederzeit, überall im Herzogtum. Ihr habt damit alle Freiheiten für eine Geheime Polizei.“