Von drei Seiten auf ihn eindrängend, hatten sie ihn langsam die Steilwand der Schlucht hochgetrieben, und die verkrümmten Körper, die seinen Rückzugsweg kennzeichneten, waren Beweis für die Grimmigkeit, mit der sie sich jeden Fußbreit erkämpften. Es war schon schwierig, in dem Gelände nicht den Halt zu verlieren, diese Männer aber kletterten und fochten gleichzeitig. Kulls Schild und Kriegskeule waren dahin, und das große Schwert in der Rechten war rot gefärbt. Sein kunstvoll geflochtenes Kettenhemd hing in Fetzen herab, und Blut rann aus Hunderten von Wunden. Seine Augen jedoch blitzten voll unverminderter Kampfeslust, und sein Arm lenkte das mächtige Schwert zu todbringenden Streichen.
Aber Cormac wußte, daß das Ende kommen würde, noch ehe er ihn zu erreichen vermochte. Auf dem Kamm des Hügels bedrohte ein Dutzend Schwertspitzen das Leben des fremden Königs, dessen Kräfte jetzt rasch schwanden. Soeben spaltete er das Haupt eines riesigen Angreifers und schnitt auf dem Rückschwung durch den Hals eines zweiten. Unter einem Regen von Schwerthieben taumelnd, hieb er wieder zu, und sein Opfer sank zu Boden. Und dann, als sich mehrere Schwerter über dem schwankenden Atlanter erhoben, um ihm den Todesstreich zu versetzen, geschah etwas Seltsames. Die Sonne versank hinter dem westlichen Horizont und tauchte die Heidelandschaft in blutrotes Licht. Kull stand vor der Sonnenscheibe, so wie er gekommen war, und hinter dem taumelnden König eröffnete sich ein wundersamer Anblick. Cormac sah einen kurzen Augenblick lang eine fremdartige Landschaft in fernen Sphären: Wie Spiegelbilder in den Sommerwolken gewahrte er anstelle der Heidelandschaft, die sich bis zur See erstreckte, undeutlich ein reiches Land mit blauen Bergen und schimmernden Seen und goldene, purpurne und saphierblaue Türme und gewaltige Mauern einer mächtigen Stadt, wie sie die Erde seit Äonen nicht mehr gekannt hatte.
Dann verging die Vision wie ein Traum, aber die Gallier auf dem Hügel hatten die Waffen sinken lassen und starrten wie betäubt, denn der Mann namens Kull war, ohne eine Spur zu hinterlassen, verschwunden!
Bestürzt wandte Cormac sein Pferd und ritt über das zertrampelte Schlachtfeld zurück. Siegesgeschrei dröhnte durch das Tal. Und doch war alles schattenhaft und sonderbar. Jemand schritt heran, und Cormac erkannte geistesabwesend Bran. Der Gäle schwang sich vom Pferd und trat dem König gegenüber. Bran war waffenlos. Aus Wunden an Stirn, Brust und Gliedern rann es rot, die leichte Rüstung, die er getragen hatte, war ihm vom Körper geschlagen worden, und ein Hieb war halb durch die Eisenkrone gedrungen. Nur das rote Juwel schimmerte fleckenlos wie ein Stern der Schlacht.
„Mein Sinn steht danach, dich zu töten“, sprach der Gäle schwerfällig und wie ein Mann unter einem Zauber, „denn du hast das Blut tapferer Männer auf dein Haupt geladen. Hättest du früher das Signal zum Angriff gegeben, so wäre mancher noch am Leben.“
Bran verschränkte die Arme. „Stoß zu, wenn du willst; ich bin des Schlachtens müde. Es ist ein bitteres Brot, König zu sein. Ein König muß mit Menschenleben und bloßen Schwertern als Einsatz spielen. Es ging um das Leben meines Volkes. Ich habe die Nordmänner geopfert, ja! Und mein Herz schmerzt mich in der Brust, denn es waren Männer! Aber hätte ich den Befehl gegeben, als du es für richtig hieltest, hätte alles schiefgehen können. Die Römer befanden sich noch nicht zur Gänze in der Talenge und hätten vielleicht Zeit und Platz gehabt, die Schlachtordnung umzustellen und uns abzuschlagen. Ich wartete bis zum letzten Augenblick – und die Seeräuber starben. Ein König gehört seinem Volk und darf sich nicht von eigenen Gefühlen und den Leben Fremder beeinflussen lassen. Jetzt ist mein Volk gerettet; aber das Herz ist kalt in meiner Brust.“
Müde stützte sich Cormac auf sein Schwert. „Du bist zum König geboren, Bran“, sagte der gälische Prinz.
Bran blickte über das Schlachtfeld. Die Römer, die die Schwerter weggeworfen und sich ergeben hatten, standen in Gruppen, von Wachen umgeben.
„Mein Königreich – mein Volk – ist gerettet“, sagte Bran müde. „Zu Tausenden werden sie aus den Hügeln hervorkommen, und wenn Rom wieder gegen uns marschiert, steht ihnen eine geschlossene Nation gegenüber Aber ich bin müde. Was ist mit Kull?“
„Meine Augen und mein Geist waren vom Kampf verwirrt“, antwortete Cormac. „Ich glaubte, ihn wie einen Geist mit der sinkenden Sonne verschwinden zu sehen. Ich werde nach seinem Leichnam suchen.“
„Suche ihn nicht“, sagte Bran. „Aus der aufgehenden Sonne kam er – in die untergehende Sonne ging er. Aus den Schleiern der Vergangenheit kam er zu uns, und in die Schleier der Äonen kehrte er zurück – in sein eigenes Königreich.“
Cormac wandte sich ab. Die Nacht brach herein. Wie ein weißes Gespenst stand Gonar vor ihm. „In sein eigenes Königreich“, wiederholte der Zauberer. „Zeit und Raum sind nichts. Kull ist in seine eigene Zeit zurückgekehrt.“
„Dann war er also ein Geist?“
„Fühltest du nicht den Griff seiner Hand? Hörtest du nicht seine Stimme? Sahst du ihn nicht essen und trinken, lachen und töten und bluten?“
Immer noch stand Cormac wie betäubt.
„Wenn es also für einen Mann möglich sein sollte, von einem Zeitalter in ein noch ungeborenes zu gelangen, mit seinem fleischlichen Körper und seinen Waffen, dann ist er so sterblich wie zu seinen eigenen Tagen. Ist Kull denn tot?“
„Er starb vor hunderttausend Jahren nach der Zeitrechnung der Menschen“, antwortete der Zauberer, „aber in seiner eigenen Zeit. Er starb nicht unter den Schwertern der Gallier aus dieser Zeit. Berichten uns nicht die Legenden, wie der König von Valusien in ein eigenartiges, zeitloses Land der nebligen Zukunft gereist ist und dort an einer großen Schlacht teilgenommen hat? Und das tat er auch! Vor hunderttausend Jahren – oder heute!
Und vor hunderttausend Jahren – oder vor wenigen Augenblicken – erhob sich Kull, König von Valusien, von seiner seidenen Liege im geheimen Gemach und sprach lachend zum ersten Gonar: ‚Ha, Zauberer, ich hatte in der Tat einen sonderbaren Traum, denn in meinen Visionen begab ich mich in ein fernes Land in einer fernen Zeit und kämpfte für den König eines eigenartigen Schattenvolkes!’ Da lächelte der große Zauberer und wies schweigend auf das gerötete, scharten-übersäte Schwert, die zerfetzte Rüstung und die vielen Wunden des Königs. Und Kull, aus seinem Traum nun völlig erwacht und den Schmerz der noch offenen Wunden spürend, schwieg verwirrt. Alles Leben sowie Zeit und Raum erschienen ihm wie ein Traum von Geistern, und die Gedanken daran ließen ihm für den Rest seines Lebens keine Ruhe mehr. Denn die Weisheit der Ewigkeiten bleibt selbst Königen verborgen, und Kull vermochte ebensowenig zu verstehen, was ihm Gonar erzählt, wie du meine Worte verstehst.“
„So lebte Kull also trotz seiner vielen Wunden“, sagte Cormac, „und kehrte in die Schleier der Stille und der Jahrhunderte zurück. Nun, er hielt uns für einen Traum und wir ihn für einen Geist. Wahrlich, das Leben ist nur ein dünnes Gewebe, gesponnen aus Geistern, Träumen und Illusionen, und ich ahne, daß das Königreich, das heute in diesem Tal mit Hilfe von Schwertern und Kampf geboren wurde, nicht beständiger ist als die Gischt der schimmernden See.“
Fragment
Über der düsteren Einöde wölbte sich grau der Himmel. Das hohe, trockene Gras wogte im kalten Wind, aber sonst unterbrach keine Bewegung die urhafte Stille des flachen Landes, das sich bis zu den kahlen, niedrigen Bergen erstreckte.