"Leck mich!"
Er zeigte mir sein makelloses Gebiss, während sich schon einige der in der Schlange stehenden Leute nach uns umdrehten.
Er wollte sich bereits abwenden und gehen, aber ich kam die paar Schritte hinter ihm her, überholte ihn und stellte mich ihm in den Weg.
Dann sagte ich: "Was glauben Sie, was passiert, wenn ich jetzt rufe: 'Überfall! Dieser Mann hat eine Waffe!'"
"Das würdest du nicht tun, du Wurm!"
"Doch, das würde ich!"
Er hielt an und schnaufte wie eine Dampfwalze. "Ich würde dich gerne zerquetschen, du Wanze!"
"Kannst du im Moment aber nicht. Es sei denn, du willst alles auf Video haben und dann für die nächsten Jahre in den Knast wandern." Ich zuckte mit den Schultern. "Ich schätze, einer wie du bekommt keine Bewährung mehr!"
Ich fühlte seine mächtige Pranke an meinem Kragen. Seine blassblauen Augen funkelten mich böse an. "Eines Tages kriege ich dich in die Finger, und dann hast du nichts zu lachen!"
"Im Augenblick habe ich dich in den Fingern, und wie es scheint, hast du nichts zu lachen, sonst würdest du nicht so ein verkniffenes Gesicht machen."
"So, denkst du ..." knurrte es zwischen seinen vollen Lippen hervor.
"Ich schätze, für die Waffe unter deiner Achsel hast du nicht einmal einen Schein." Ich deutete zu den Video-Kameras an der Decke, die suchend umher schwenkten. "An deiner Stelle würde ich mich weniger auffällig verhalten!"
Er ließ mich los, und dann gingen wir zu den Sesseln, um uns zu setzen.
"Warum bist du mir gefolgt?", fragte ich ungerührt.
"Leck mich!"
"Das kann nicht der Grund sein."
"Ach, scheiß drauf, was willst du von mir?"
"Das ist die falsche Frage. Die richtige lautet: Was wolltest du von Annette Friedrichs?"
"Wusste ich es doch!"
"Was?"
"Dass du mit ihr unter einer Decke steckst!"
"Nein, soweit ist es leider noch nicht gekommen!"
"Haha, sehr witzig!"
"Sie ist vor dir und deinem Spießgesellen in meine Wohnung geflüchtet", erklärte ich. "Reiner Zufall."
"Erzähl das deiner Großmutter."
"Es ist die Wahrheit, und ich erzähle sie erst einmal dir. Was hat Annette Friedrichs euch getan, dass ihr so hinter ihr her seid?"
Flash atmete tief durch. Seine trüben Augen blickten dabei himmelwärts, so als wolle er damit sagen: ›Ist der Kerl behämmert!‹
"Vielleicht ist es wirklich keine schlechte Idee, dass wir uns mal unterhalten. Die Sache ist ganz einfach. Annette hat etwas, dass ihr − wie soll ich es ausdrücken? − nicht gehört. Verstehst du, was ich meine?"
"Und dafür wollt ihr sie umlegen."
"Was?"
"Ja, du hast schon richtig verstanden. Umlegen."
"Hat die Friedrichs dir das weiszumachen versucht?"
"Wer auch immer!"
Er schüttelte den Kopf und lachte heiser. Dann griff er unter sein Jackett.
"Das würde ich nicht tun!", warnte ich ihn.
"Keine Sorge, ich ziehe keine Knarre hervor."
"Was dann?"
"Hier!"
Blitzartig riss der Blondschopf den 45er Colt aus dem tiefgeschnallten Holster. Nur der knappe Bruchteil einer Sekunde blieb Jake McCord, um zu reagieren − aber für einen wie ihn genügte das.
Es war weder eine Knarre noch ein Springmesser noch eine Handgranate oder irgendetwas anderes Gefährliches, was Flash Gordon da aus seiner Tasche zog.
Es war einfach eine Visitenkarte.
Ich nahm die Karte und glotzte ziemlich ungläubig auf den weißen, feinen Karton.
Raimund Schmidt GmbH, las ich da. Private Ermittlungen aller Art, Objekt- und Personenschutz.
"Das haut mich um", bekannte ich freimütig.
"Das sollte es auch."
Ich sah ihn an und runzelte die Stirn. "Bist du Schmidt?", fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. "Nein. Mein Name ist Oswald. Ich bin dort angestellt."
"Der Andere, der, mit dem ich dich die Treppe habe hochflitzen sehen ..."
"Der auch nicht. Schmidt braucht sich nicht mehr selbst die Hände dreckig zu machen. Observationen und so etwas, dafür hat er seine Leute."
"So wie dich."
"Genau."
"Das wirft natürlich ein anderes Licht auf die Sache."
"Ja. Die Kleine ist ein gerissenes Luder, die hat dir einen Bären aufgebunden." Er lachte. "Wahrscheinlich gleich mehrere."
Ich hielt die Karte hoch. "Kann ich die behalten?"
"Klar. Wenn du mal ein Problem hast ..."
"Wahrscheinlich kann ich eure Spesen nicht zahlen."
"Das schätze ich auch. Ich nehme an, du wirst überprüfen, ob es diese Firma wirklich gibt und ob ich dir die Wahrheit gesagt habe."
"Natürlich."
"Tu das nur!"
"Eine Frage noch."
"Ja?"
"Für wen arbeitet ihr?"
"Vergiss es! Wenn ich dir das sage, schmeißt mich mein Boss raus!"
"Und wer hat Jürgen Lammers ermordet?"
Er zuckte mit seinen überbreiten Schultern. "Was weiß ich!"
"Du hast wirklich keine Ahnung?"
"Wenn ich eine hätte, würde ich dir sowieso nichts davon sagen." Er sah mich mit einen merkwürdigen Blick an. Dann zuckte er die Schultern.
"War Lammers ein Freund von dir?", fragte er.
"Nein."
"Was soll dann die Frage? Kann dir doch egal sein, wer's war, oder?"
Aber darüber wollte ich mit ihm nicht diskutieren.
18
Unsere Unterhaltung hatte sich irgendwie totgelaufen, und so beendeten wir sie dann in stillschweigendem beiderseitigem Einvernehmen.
Wir hatten jeder etwas erfahren, das wir zuvor noch nicht gewusst hatten. Und jeder von uns hatte dafür auch etwas bieten müssen.
Doch dieses Spiel war jetzt ausgereizt. Keiner wollte mehr drauflegen.
Ich für mein Teil blieb skeptisch, als ich die Bank verließ und Flash Gordon nachsah, der eigentlich Oswald hieß und anscheinend ein nicht so schlimmer Finger war, wie ich bisher geglaubt hatte.
Eines stand wohl fest: Vor Oswald würde ich in Zukunft Ruhe haben − zumindest wenn er wirklich ein Profi-Schnüffler war, denn dann musste ihm klar sein, dass seine Rolle als mein Schatten zu Ende war. Er war aufgeflogen, sozusagen verbrannt.
Wahrscheinlich würde sich in Zukunft einer seiner Kollegen meiner annehmen.
Ich dachte an mein Rendezvous mit der Friedrichs, und mein Blick ging unwillkürlich zur Uhr am Handgelenk.
Ich war zu spät