„Mister Manetta?“, fragte Milo.
Ich trat die Tür auf. Sie flog zur Seite. Mit der Dienstwaffe in der Hand stürmte ich voran.
Die Wohnung war recht geräumig für einen allein stehenden Mann. Aber das es sich um die vier Wände eines Alkoholikers handelte, war schon im Flur nicht zu übersehen. Überall standen Flaschen herum.
Auf dem Fußboden, auf den Kommoden und in mehreren Tüten neben der Garderobe.
Ich ließ die Tür zum Wohnzimmer zur Seite fliegen. Mit der Waffe in der Hand stürzte ich in den Raum. „FBI!“
Der Inhalt mehrerer Koffer lag durchwühlt auf dem Boden. Die Polster waren aufgeschlitzt.
Ein sehr dünner Mann in dunkler Lederjacke und Jeans riss eine Waffe hervor.
Ein zweiter kletterte bereits über die Balkonbrüstung und versuchte wohl über die rostige Feuertreppe zu flüchten.
Der erste Schuss meines Gegenübers ging dicht an mir vorbei und verfehlte mich nur um Haaresbreite. Die Kugel fetzte in den Türrahmen und riss ein daumengroßes Stück Holz heraus.
Ich feuerte einen Sekundenbruchteil später und erwischte den Kerl an der Schulter.
„Waffe weg!“, rief ich.
Er taumelte zu Boden.
Seine Hände umklammerten den 22er in seiner Rechten. Er blickte in die Mündung meiner Dienstwaffe. Er zögerte einen Moment, dann ließ er die Pistole los. Ich trat auf ihn zu und kickte die Waffe zur Seite, sodass sie unerreichbar für ihn war.
Der Kerl auf dem Balkon war inzwischen verschwunden.
Milo spurtete an mir vorbei und nahm die Verfolgung auf. Innerhalb von wenigen Sekunden war er auf dem Balkon. Mit der Waffe zielte er über die Brüstung, während der Flüchtige auf dem ersten Absatz der Feuertreppe stehen blieb. Er hielt eine Waffe in der Hand. Es handelte sich um eine Beretta.
„Seien Sie vernünftig und zwingen Sie mich nicht zur Notwehr!“, rief Milo.
Einen Augenblick lang war der Kerl unschlüssig darüber, was er tun sollte. Er stand wie erstarrt da. Jeder Muskel und jede Sehne seines Körpers waren gespannt.
Der zweite Mann war schätzungsweise Anfang dreißig. Er trug einen dünnen Oberlippenbart und ließ sich außerdem noch eine exakt ausrasierte Haarinsel am Kinn stehen, sodass er Ähnlichkeiten mit den Darstellern in Piratenfilmen hatte.
„Okay, nicht schießen!“, sagte er.
„Lassen Sie zuerst Ihre Waffe fallen. Und dann kommen Sie ganz langsam wieder rauf.“
23
Wir riefen die Kollegen des Yonkers Police Department und den Emergency Service. Innerhalb weniger Minuten standen mehrere Einsatzfahrzeuge vor dem Haus.
Die beiden Männer hießen James Garcia und Miles Dalglish. Eine erste Überprüfung über NYSIS ergab, dass beide bereits wegen mehrerer Einbrüche, Körperverletzung und Drogenbesitzes vorbestraft waren.
Dalglish war auf Grund der Schussverletzung nicht vernehmungsfähig und wurde auf schnellstem Weg in die nächste Klinik gebracht – allerdings unter Bewachung durch Beamte des Yonkers Police Department.
James Garcia verweigerte zunächst hartnäckig jede Aussage.
Ich versuchte ihm klarzumachen, dass es angesichts der Beweislage am besten für ihn war, zu kooperieren. „Sie sind hier auf frischer Tat ertappt worden. Da werden Sie keine Jury der Welt von einem Freispruch überzeugen können. Also nutzen Sie Ihre Chance, sonst wird Ihr Partner das tun.“
James Garcia druckste noch etwas herum.
Wir hatten ihm Handschellen angelegt. Er ballte die Hände zu Fäusten und ließ sich in einen der Sessel sinken.
„Okay, ich packe aus“, sagte er.
„Wir hören Ihnen gerne zu“, sagte ich.
„Der Typ, der hier wohnt, hat irgendeinen italienisch klingenden Namen.“
„Mark Manetta.“
„Genau! Das ist ein notorischer Säufer. Der hat seine Tage in den Bars in der Gegend verbracht. Morgens um zehn war er oft im Drugstore und hat sich mit Whisky eingedeckt. Man konnte ihn zehn Meter gegen den Wind riechen und ich wüsste nicht, das ich ihm mal nüchtern begegnet bin.“
Nach der Adresse in Garcias Führerschein wohnte er nur ein paar Blocks entfernt. Der verletzte Dalglish ebenfalls.
„Wieso haben Sie sich Mister Manettas Wohnung ausgesucht?“, fragte Milo. „Soweit wie wir wissen, war er finanziell ruiniert und dürfte auch kaum über irgendwelche Wertgegenstände verfügt haben!“
James Garcia lachte. „Da irren Sie sich! Er hat vor kurzem das große Los gezogen. Jedenfalls haben wir einen Tipp bekommen, sonst hätten wir uns mit seiner Wohnung gar nicht erst abgegeben.“
„Wer hat Ihnen den Tipp gegeben?“, fragte ich.
Er verzog das Gesicht.
„Sie denken jetzt nicht im Ernst, dass ich Ihnen das sage, oder? Was glauben Sie, was ich dann für Ärger bekommen kann!“
„Was glauben Sie, welchen Ärger Sie bekommen, wenn Sie es nichts sagen“, erwiderte ich kühl.
Er schluckte und brauchte ein paar Augenblicke, um sich zu entscheiden. „Okay, es war Donald Clay, ein Stockwerk höher. Er hat mir den Tipp gegeben. Die beiden sind oft zusammen auf Sauftour gewesen. Clay meinte, Manetta würde plötzlich mit dem Geld nur so um sich werfen, obwohl er vorher arm wie eine Kirchenmaus war. Er hat angenommen, dass etwas davon in der Wohnung ist. Leider Fehlanzeige.“
„Haben Sie eine Ahnung, wo sich Manetta jetzt befindet?“
„Sie werden wohl sämtliche Bars in Yonkers absuchen müssen! Am besten, Sie fragen Clay, der kannte seine Gewohnheiten.“
24
Wenig später standen wir vor Donald Clays Wohnung, ein Stockwerk höher. Lieutenant Dan Terrence vom Yonkers Police Department begleitete uns. Er leitete den Verstärkungseinsatz, den wir angefordert hatten.
Clay war ein kleiner, unscheinbarer Mann mit aschblondem, schütterem Haar. Ich schätze ihn auf Mitte vierzig.
Milo hielt ihm die ID-Card des FBI unter die Nase.
„Agent Milo Tucker, FBI. Dies ist mein Kollege Jesse Trevellian. Sie werden der Mittäterschaft an einem Einbruch verdächtigt, der gerade ein Stockwerk tiefer stattgefunden hat.“