Sammelband 7 Krimis: Tuch und Tod und sechs andere Thriller auf 1000 Seiten. Alfred Bekker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alfred Bekker
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783745204469
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Meyer geblieben sein könnte?“

      „Nein. Nachdem Gerndorf ihr den Koffer raus auf die Straße geworfen hat, hab ich sie nicht mehr gesehen. Das war ein Drama, kann ich Ihnen sagen. Ich hab mich so erschrocken, als das Ding aus dem Fenster flog, dass ich beinahe einen Herzanfall gekriegt hätte. Ich hab nämlich so Rhythmusstörungen, müssen Sie wissen. Mein Arzt sagt, dass wir das beobachten müssen, aber ...“

      „Dieser Gerndorf soll Jäger gewesen sein“, unterbrach Berringer sie.

      „Jäger? Glaub ich nicht.“

      „Und für Segelboote hat er sich auch interessiert.“

      „Ein Boot? Nein, bestimmt nicht.“

      „Ich habe in seiner Wohnung einen Prospekt von der BOOT gefunden. Das ist eine Wassersportmesse, die jedes Jahr hier in Düsseldorf stattfindet. Warum sollte er sich so einen Prospekt aufbewahren, wenn er sich gar nicht dafür interessiert?“

      „Tja, wo Sie es jetzt so erwähnen ...“ Sie zögerte, und Berringer rang innerlich mit sich, ob er sie auffordern sollte, weiterzusprechen oder ob er dadurch vielleicht die Situation verdarb. Er entschied schließlich, dass es das Beste war, einfach den Mund zu halten und einen Augenblick lang abzuwarten, bis die alte Dame ihre Gedanken geordnet hatte. Damit hatte er ja aus gewissen Gründen auch ab und an seine Schwierigkeiten. Also sei nicht zu streng und ungeduldig mit ihr, sagte er sich.

      „Sie fragen wie ein Polizist“, stellte sie fest und zwinkerte Berringer zu. „Ja, Sie scheinen immer alles ganz genau wissen zu wollen.“

      „Tja, da haben wir wohl was gemeinsam“, erwiderte der Detektiv und lächelte dabei milde.

      „Also Segelboote liegen ja meistens am Wasser, oder?“

      „Ja, würde ich auch sagen.“

      „An einem See zum Beispiel. Und da befinden sich häufig auch Campingplätze. Ich weiß, dass mir das Fräulein Meyer – die beiden lebten ja in wilder Ehe zusammen, so ganz modern, wie man das zu unserer Zeit noch nicht gemacht hat – also die Meyer hat mal auf dem Flur zu der Studentin von ganz oben, die inzwischen schon wieder ausgezogen ist, der gegenüber hat sie erwähnt, dass sie zu einem Campingplatz führen. Dort könnten sie den Wohnwagen ihrer Eltern benutzen, die einen festen Dauerplatz hätten. Aber das ist nun auch schon eine ganze Weile her ...“

      „Wissen Sie noch, wo dieser Platz war? Wurde irgendein Ortsname erwähnt?“ Sie rieb sich mit ihren knorrigen Fingern die Schläfe und schüttelte schließlich mit einer bedauernden Miene den Kopf. „Nein, tut mir leid. Ich erinnere mich einfach nicht mehr.“

      „Haben Sie sonst noch irgendetwas über ihn? Welchen Job er hatte oder ...“

      „Der hatte keinen!“, unterbrach ihn die alte Dame sofort. „Allerdings soll er studiert haben und irgendwas Besonderes gewesen sein. Ich weiß auch nicht mehr so genau.

      Aber viel getrunken hat er, das steht fest. Und dann wurde er laut.“

      „Verstehe.“

      „Und da fällt mir noch etwas ein, weil Sie doch vorhin ein Segelboot erwähnten.“

      „Immer raus damit. Vielleicht kann mir das weiterhelfen.“

      „Sie sollen ja schließlich Ihr Geld von diesem Betrüger kriegen, nur fürchte ich, dass Sie sich da in einer langen Schlange ganz hinten anstellen müssen.“

      „Sie sagten etwas von einem Boot“, erinnerte Berringer sie eine Spur ungeduldiger, als er es eigentlich beabsichtigt hatte.

      Sie nickte heftig. „Aber es war ein kleines Boot!“ Mit ihren Händen deutete sie eine Länge von gut achtzig Zentimetern an. „Aber mit Segel drauf. Ein Modell, so sagt man, glaube ich. Gerndorf hat es in die Wohnung getragen, als er einzog. Es ist mir gleich aufgefallen. Aber der Mast war gebrochen. Ich glaub nicht, dass das noch funktioniert hat.“

      Er nickte ihr zu und stand auf. „Trotzdem danke für Ihre Mühe.“

      „Ich hoffe, ich konnte Ihnen helfen.“

      „Das denke ich schon. Aber jetzt muss ich dringend weiter.“

      „Ja, so ist das, wenn man jung ist. Keine Ruhe, keine Geduld. Wenn Sie erst mal in mein Alter kommen, dann wissen Sie, dass Sie sowieso bald sterben und dass es deswegen keinen Sinn macht, sich vorher schon für irgendwas umzubringen!“ Berringer fuhr in die Altstadt und aß etwas in einer Snack Bar. Die Pommes waren sehr fettig, und vor allem war das Fett sehr alt, aber im Moment hatte Berringer keine Lust, größere Mühe auf die Suche nach einem besseren Lokal zu verwenden. Also aß er, was angeboten wurde, ließ aber die Hälfte stehen.

      Er dachte nach. Zwischen Gerndorf und Severin gab es immerhin schon eine wenn auch sehr lose Verbindung. Beide waren zumindest zeitweise Anhänger der Modellsegelei gewesen, und vielleicht kam man auf diese Weise Gerndorf auf die Spur.

      Möglicherweise kannten sich beide, schloss Berringer. Und wie sah dann die Verbindung zu den Geraths aus?

      Kurz entschlossen zog Berringer das Handy hervor und wählte Geraths Nummer.

      Fehlanzeige. Es meldete sich nur die Mailbox. „Herr Gerath, hier ist Berringer. Ich muss Sie dringend sprechen“, sagte er und hoffte, dass der Unternehmer die Mailbox in nächster Zeit auch abhören würde. „Es geht um einen Mann namens Matthias Gerndorf.“

      Berringer unterbrach die Verbindung.

      Als er das Handy in der Jackentasche verschwinden ließ, spürten seine Finger das Streichholzbriefchen, das die Gestalt zurückgelassen hatte, der er in der vergangenen Nacht begegnet war.

      Kreuzherreneck.

      Warum nicht mal in diesem Lokal einen Abend verbringen und sich gleichzeitig nach dem Typen mit der befleckten Kargohose erkundigen. Der Kerl hatte zwar nicht wie einer der Schläger ausgesehen, die Leute wie Ferdinand Commaneci zur Durchsetzung ihrer Interessen auszuschicken pflegten. Aber andererseits glaubte Berringer schon, dass das neugierige Herumlungern dieses jungen Mannes ihm oder dem Fall gegolten hatte.

      Verdammt, glaubte er denn wirklich, dass sich alles immer nur um ihn dreht? Oder mit irgendeiner Sache, in deren Zentrum Robert Berringer stand, von manchen auch Berry genannt? Ziemlich abgedreht, so eine Haltung. Das nannte man wohl Zwangshandlung, wenn er die psychologischen Fachbücher richtig gelesen hatte, die in deinem Bücherschrank standen, seit er gemerkt hatte, dass es mit seiner Seele ein Problem gab. Und zwar eins, das sich weder von selbst noch durch guten Willen oder eine Pille so einfach lösen ließ. Alles wissen, alles kontrollieren, immer eine Erklärung finden wollen ...

      Sieh es endlich ein, sagte eine nörgelnde Stimme in seinem Hinterkopf. Das Universum war chaotisch, die Welt ein Ort zunehmender Entropie, das sagte schon die Physik. Er sollte sich besser damit abfinden. In seiner Schiffswohnung herrschte doch auch das blanke Durcheinander, und er hatte allenfalls ein praktisches, aber kein existenzielles Problem damit ...

      Als Berringer das „Kreuzherreneck“ betrat, war es längst dunkel. Das Auffälligste an dieser urigen, auf liebenswerte Weise antiquiert wirkenden Kneipe waren die von Künstlern gestalteten Fenster, von denen Vanessa ihm vorgeschwärmt hatte. Eine Band trat in dem sehr kleinen Raum auf und holte sich ihren Applaus ab, bevor das nächste Stück folgte.

      Berringer ging zum Tresen.

      „Alt?“, fragte der Wirt.

      „Sehe ich so aus?“

      „Du kommst nicht von hier, was?“, sprach ihn einer der Gäste an, ein Mann in zerschlissener Jeans und mit einem Haarschnitt, wie er zu Zeiten der Beatles sicher der letzte Schrei gewesen war. Nur war sein Pilzkopf inzwischen in Ehren ergraut. Er gehörte jenem Typ Mann an, der im Alter irgendwann zwischen Mitte fünfzig und Mitte sechzig optisch übergangslos von der Pubertät ins Rentenalter wechselte.

      „Ich sage immer, der Jupp hat den Pilz auf dem Kopf, aber der würde sich nie ein Pils in den Kopf schütten“, sagte sein Tresennachbar, auf dessen