Er musste weiter, immer weiter...
Soweit ihn seine Beine noch trugen.
Er sah sich selbst bereits vor seinem geistigen Auge in den Sand sinken und die Augen endgültig schließen. Aber Reilly versuchte mit aller Kraft, solche Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen.
Noch atmete er, noch war ein Rest seiner Kraft in ihm, noch konnte Meter um Meter, Schritt um Schritt hinter sich bringen...
Er verlor das Gefühl für Zeit.
Wie automatisch bewegte er sich vorwärts und bald nahm er kaum noch etwas anderes wahr, als die Beine, die ihn trugen - und seine Wunden.
Er hörte den Wind durch die Felsen pfeifen und das klang in seinen Ohren wie ein gespenstisches Totenlied.
Irgendwann hatte er die langezogene Schlucht hinter sich gelassen, was sich für ihn vor allem dadurch bemerkbar machte, dass es jetzt nirgends mehr Schatten gab.
Er blinzelte.
Vor ihm befand sich eine weite, menschenfeindliche und von der Sonne verbrannte Ödnis. Reilly hielt einen Moment lang an und nahm einen Schluck aus der Feldflasche.
Wie weit mochte das nächste Wasserloch entfernt sein?
Diese Gegend machte den Eindruck, als hätte es hier in den letzten tausend Jahren nicht geregnet. Der Boden war trocken und an vielen Stellen aufgesprungen.
Die wenigen Pflanzen, die sich hier hatten halten können, waren hellbraun.
Säulen aus flimmernder, vibrierender Luft hatten sich in der Ferne aufgerichtet. Irgendwo dahinter kam dann die nächste Bergkette.
Reilly blickte sich kurz um, um sich ein wenig zu orientieren. Er kannte den Weg im Schlaf, aber es würde das erste Mal sein, dass er ihn zu Fuß zurücklegte.
5
Schritt um Schritt legte er wie mechanisch zurück, aber die Berge wollten einfach nicht näherkommen.
Es schien, als käme er kaum vorwärts. Gleichzeitig spürte er, wie ihn die Kräfte verließen.
Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn.
Er hörte sein eigenes, heiseres Keuchen und den Wind.
Sonst war alles still.
Ein Fuß vor den anderen, immer wieder und wieder.
Dann strauchelte er plötzlich. In ihm war nicht mehr genug Kraft, um das Gleichgewicht zu halten. Er fiel hin und schlug hart auf den trockenen, aufgesprungenen Boden.
Einfach liegenbleiben, dachte er. Und die Augen schließen.
Die Versuchung war groß, aber er hatte den festen Willen, nicht aufzugeben.
Einen Augenaufschlag lang geschah gar nichts. Nicht ein Muskel bewegte sich, nicht eine einzige Sehne seines Körpers wurde angespannt.
Wenn ich jetzt nicht bald wieder hochkomme, ist es aus!, durchfuhr es ihm.
Aber es war ihm bei diesem Gedanken nicht so zumute, als würde sich eine eisige Hand auf seine Schulter legen. Ihn fröstelte, aber das lag am Wundfieber, nicht an der Furcht.
Nein, die Wahrheit war, dass es sich um einen ganz nüchternen Gedanken handelte. Fast so, als wäre es gar nicht sein Leben, um das es ging...
Aber wenn er leben wollte, durfte er sich dieser gefährlichen Lethargie nicht hingeben, auch wenn es so naheliegend schien.
Er nahm seine ganze Kraft zusammen, versuchte hochzukommen und brach dann gleich darauf wieder zusammen. Die Winchester, auf die er sich gestützt hatte, knickte ihm weg und fiel in den Staub.
Er atmete tief durch, sammelte neue Kraft und versuchte es noch einmal.
Diesmal hatte er mehr Erfolg. Taumelnd und ein wenig unsicher setzte er seinen Weg fort.
Als es zu dämmern begann, hatte er die Ebene durchquert und die Bergkette erreicht. Sein Orientierungssinn musste trotz allem ganz gut funktioniert haben, denn die Stelle, an der er die Berge schließlich erreichte, war nicht weit vom Pass entfernt, den er nehmen musste.
Er sah zur Sonne, die Horizont versank.
Bald würde sie ihre letzten Strahlen über die Ebene schicken und dann würde es sehr schnell ziemlich dunkel werden.
Und vor allem kalt.
Reilly fror ohnehin schon erbärmlich, obwohl es eigentlich noch warm war. Er fror und gleichzeitig schwitzte er. Das Wundfieber war schlimmer geworden.
Es würde eine schlimme Nacht werden, ganz gleich, ob er sich dazu entschloss, weiter zu marschieren, oder ob er sich etwas Schlaf gönnte.
Zunächst schleppte er sich weiter.
Wenn er sich jetzt niederlegte, wusste er nicht, ob oder in welchem Zustand er am Morgen erwachen würde. Jeder Meter, den er heute noch zurücklegen konnte, wollte er hinter sich bringen.
Als die Dämmerung jedoch soweit fortgeschritten war, dass die Orientierung schwierig wurde, entschloss er sich doch widerstrebend dazu, sich einen Platz zum kampieren zu suchen.
In seinem Zustand konnte er es sich einfach nicht leisten, auch nur eine halbe Meile in die falsche Richtung zu laufen.
Er suchte also ein paar vertrocknete Sträucher zusammen und zündete sie an. Das ganze ergab ein notdürftiges Lagerfeuer.
Burnett...
Marquez...
Diese Namen kamen ihm jetzt wieder in den Sinn. Und auch die Stimmen, die dazu gehörten.
Er würde sie nicht vergessen.
Niemals.
Ihre Gesichter hatte er nicht gesehen, aber wenn es ihm gelang, dies hier zu überleben und er dann eines Tages einem dieser Halunken gegenüberstehen würde, dann würde er ihn an der Stimme wiedererkennen!
Reilly war sich in dieser Beziehung vollkommen sicher. Die Stimmen dieser beiden Männer hatten sich unlöschbar in sein Bewusstsein gebrannt.
Reilly legte sich auf den Boden. Dabei ließ er die Winchester immer in Reichweite. Dann fiel er in einen unruhigen, dumpfen Schlaf.
6
Es war die Kälte, die ihn am nächsten Morgen weckte. Eine Kälte, die