"In der Klapse". Inge Müller-Keck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Inge Müller-Keck
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783347016514
Скачать книгу
sind wir schon mittendrin im Alltag eines Patienten der Klinik, genauer gesagt in meinem persönlich erlebten Alltag. Wie erwartet, ging es recht schnell ans Eingemachte. Meine Therapeutin bei den Einzelgesprächen war Frau Ächler. Die Arme hatte es nicht einfach mit mir. Da saß ich nun vor ihr, eine Frau, vereist, nicht richtig verstehend, wieso sie plötzlich zum Spielball des Schicksals geworden und wie es so weit gekommen war. Im allerbestem Rubenskörper saß ich gebeugt auf meinem Stuhl und haspelte blubbernd zusammenhanglose, deutsche Wörter ohne Sinn und mit wenig logischem Verstand. Den Kauderwelsch-Schlüssel in der Hand gelang es ihr erstaunlich schnell, die mich belastenden und erdrückenden Probleme aus mir herauszuholen. Durch ihre Fragen und ihre Empathie fasste ich Vertrauen und durch meine Tränen hindurch konnte ich einen ersten klaren Blick auf meine zerrissene gegenwärtige Situation riskieren.

      In einer von vielen Sitzungen erzählte ich ihr von meinen durchwachten Stunden und sie ermunterte mich zum bildlichen Denken. So gelang es mir, mich zu öffnen und ich erzählte ihr von dem verachtenden Verhalten der Amöbenhirne und dem genauso verachtenden Verhalten meines Vorgesetzten. Alles sträubte sich in mir, den Krämer „Chef“ zu nennen. Nein, er war für mich ein moralisches Vakuum geworden, weltenweit entfernt von allen Charaktereigenschaften, die ich an einem Menschen schätzte. Es entstand die Idee des “Raketenmannes“. Da meine berufliche Situation noch weit entfernt von einer Klärung war, ermutigte sie mich, ihn auf den Mond zu schießen bis ich eine Lösung habe. Der Raketenmann war geboren, eine wunderbare Umschreibung bis zum heutigen Tag.

      Mit dem Mond habe ich ein kleinwenig Mitgefühl, doch mehr Gefühle investiere ich nicht mehr. Die Amöbenhirne waren ihr und auch den anderen Therapeuten während meines Aufenthaltes nicht viel Zeit wert, ihr Verhalten wurde als unüberlegt und unreif eingeordnet. Neidische Menschen seien oft Empathieallergiker, die 30 Silberlinge hätten sie sich doch zu Recht verdient.

       Begegnung

      Frau Ächler schaffte es durch ihren Zuspruch, mich während des Weinens zum Lächeln zu bringen. In diesem besonderen unwirklichen Augenblick entstanden endlich wieder guttuende Farben in meinem Kopf.

      Die Eisbergschmelze begann, die Moorleiche, im Morast liegend, fing an, sich zu bewegen. Mich wieder zu spüren war Balsam für meine schmerzende Seele. Viele traurige, unsichere, mit Zweifeln und in Schmerz geführte Gespräche folgten. Frau Ächler ließ mir Zeit, meinen Gedanken nachzuhorchen, sie zu revidieren und neu zu überdenken. Sie lenkte mich mit Fragen, die mir in meinem Denken zu eigenen Antworten verhalfen.

      Die Therapiestunden beschäftigen mich derart, dass ich oft Sequenzen nochmals träumte oder sie im Traum fortführte. Dabei öffneten sich erstaunlicherweise Gedächtnisschubladen und es zeigten sich Wege, Richtungen und Möglichkeiten zu agieren.

      Die Einzelsitzungen waren kein Frühlingsspaziergang, doch sie brachten wieder ein laues Lüftchen in mein an gemieftes Denken. Das Lüftchen wurde recht schnell zu einer steifen Brise, es pfiff auch in den hintersten Ecken meines verwirrten Denkens. Ich kaufte mir ein Vokabelheft und schrieb jeden gehörten hilfreichen Satz hinein. Zu vielen Empfehlungen malte ich Bilder, Symbole und Lebenslinien. Ich hatte Zeit und die Nächte waren unendlich lang. Dieses Aufschreiben von getätigten Aussagen behielt ich bis zum Ende meines Aufenthaltes bei. Das Heft ist fast voll geworden und vermutlich gehört es zu den Dingen, die ich noch lange Zeit Zuhause in einer meiner „Gruschel-Schubladen“ behalten werde.

      Ich lernte, meine Gedanken zu sortieren und wieder kamen Erinnerungsteile zurück. Es war wie ein unvollständiges Puzzle im Kopf, unglaublich und erstaunlich, in meinem psychischen Ausnahmezustand hatte ich vieles vergessen. So saß ich dann bei Frau Ächler und schmolz vor mich hin. Meine Therapeutin half mir, mit einem klaren Blick auf meine Seele zu sehen, zum Teil sprachen wir in den Sitzungen Zukunftsmöglichkeiten auf ihre Tauglichkeit durch. Nach 14 Tagen Dauerweinens prickelte meine innere Haut und ich konnte mich wieder spüren. Das Selbstwertgefühl kam wieder zu mir zurück.

      Danke Frau Ächler.

       Jella

      Zu den Einzeltherapiestunden kamen noch massenhaft Gruppentherapiestunden dazu. Diese GT- Stunden sind in etwa einem Rodeo-Ritt gleichzusetzen. Sie fielen mir besonders schwer. Gleichzeitig jedoch waren sie hochinteressant. Zu Beginn werden jedem Newcomer die Gruppenregeln erklärt, an die sich jeder Teilnehmer zu halten hatte. In meiner GT-Gruppe wurde die Regelung „alle Probleme sind gleichwertig“, mit in den Regelkatalog aufgenommen. Die Teilnehmer hatten sich das so gewünscht.

      Ich als Frischling erlebte die einzelnen Mitglieder im Umgang mit den Problemen der anderen Patienten aber überhaupt nicht so. Es verwirrte und verunsicherte mich, die Regelung wurde in keinster Weise umgesetzt. Sehr schnell bekam ich mit, dass die Gruppe sich überhaupt nicht grün war. Jeder hatte an Jedem etwas auszusetzen, es ging einige Male hoch her. Nach den Stunden war es leicht mitzubekommen, wie über einen Patienten gelästert wurde. Man musste nur den gleichen Weg gehen. Ich fühlte mich völlig deplatziert und überhaupt nicht wohl. Ein Männchen in meinem Kopf riet mir den Mund zu halten und acht zu geben, dass ich aus der Nummer unbeschadet rauskomme. Noch mehr Theater um mich herum konnte ich nicht ertragen. Also versuchte ich mich als Neutrum so unsichtbar wie möglich in den GT-Stunden zurechtzufinden. Leider hatten die Therapeuten eine andere Auffassung und so wurde ich direkt angesprochen oder nach meiner Meinung gefragt. Die studierten Grillmeister liebten das provozierende Nachfragen und ein paar Mal hätte ich lieber eine Handvoll Dreck gegessen als mich dem Druck auszusetzen.

      Ein Gruppenmitglied, Jella, jammerte in den ersten zwei Tagen sechs Mal in meine Richtung, wie schade es doch sei, dass die Gruppe sich jetzt ändere, sie käme damit gar nicht klar. Sie sei jetzt so traurig, dass neue Patienten dazu kämen. Dabei unterstrich sie ihre Aussage pathetisch, sie drückte ihren Handrücken an die Stirn. Nun gut, meine pathetische Geste wäre in gesunden Zeiten vermutlich mit einem Fingerzeichen erledigt gewesen, aber ich war ja in der Knallerbergklinik und selbst waidwund, gesunde Reaktionen waren von mir nicht zu erwarten. Beklommen und unsicher entschuldigte ich mich für mein „Hier sein“ bei Jella.

      Recht schnell begriff ich aber, dass es bei ihr immer was zum Stöhnen, Jammern und Klagen oder eine Krise gab. Egal, was ihr an diesem Tag begegnete, irgendetwas gab es immer, was sie beklagenswert fand und besprechen musste. Hauptsache, die Erde drehte sich um ihre Befindlichkeiten. Ich erlebte sie als ein Sensibelchen der allersensibelsten Art, die mimosigste Mimose überhaupt, allerdings bissig wie ein Terrier bei der kleinsten Hinterfragung zu ihrer Person. Da war aber der Teufel los, da schossen aber Hassblicke durch die Gegend. Aber auch diese Dinge brachte sie mit in die Gruppentherapiestunden ein. Für Jella war ich zum Glück uninteressant und so geriet ich nicht in ihren Fokus, wenn ihr wieder jemand von der Gruppe vermeintlich Unrecht getan hatte. Zwei Mal sezierte und filetierte sie Mitpatienten in der Runde, Auslöser war jedes Mal eine Nichtigkeit. Ich bin mir sicher, der Teufel saß in einer Ecke und lernte bewundernd dazu. Die ganzen Wasserglasstürme gingen an mir vorüber und ich war nicht involviert. Halleluja! Für mich war klar: Wenn Jella nach rechts ging, ging ich nach links, wenn sie in den Leseraum kam ging ich raus, nein, die Frau roch nach Ärger und das war das letzte was ich wollte.

      Während der Gruppentherapiestunden erzählte sie einmal von ihren starken Gleichgewichtsproblemen und wie sie sich zum Schuhe anziehen stets an die Wand lehnen müsse. Sie könne kaum einen Schritt ohne Festhalten tun. Zwei Stunden später sah ich sie, herausgeputzt und sicher auf hohen Hacken stehend, zum Feierabendbier in die nahegelegene Kneipe stolzieren. Ich hörte, sie hätte einen gesunden Zug beim Trinken und die ersten zwei Bierchen fänden recht schnell ihren Weg. Medizinisch betrachtet verbesserten diese den Stand sicher nochmals um ein Vielfaches. Auch die ewigen Schmerzen, begleitet von Gestöhne und Jammern, waren am Abend wie weggeblasen.

      Magie lag in der Luft. Jella fand jeden Abend pünktlich nach dem Abendessen auf wundersame Weise ihr Gleichgewicht wieder, ein Wunder!

       Sam

      Ich gewöhnte mir an, mich in der GT-Stunde so zu setzen, dass ich Jella nicht gegenübersaß, da mich ihre Bregenzer Festspiele zusammen mit den Erzählungen aus dem Tal des Jammerns doch recht